Das Gelände der Ford-Werke im Detroiter Highland-Park ist eine Stadt in der Stadt - und ein Monument des amerikanischen Automobils. Die Fabrik wurde 1910 eröffnet und machte drei Jahre später den Weg für die erste Fließbandfertigung von Fahrzeugen frei. 1925 wurden hier an einem einzigen Tag 9.000 Exemplare des berühmte Models T produziert: eine Revolution, die Amerika in eine Gesellschaft von Autofahrern verwandelte. "Die Massenproduktion breitete sich schnell von hier in alle Bereiche der amerikanischen Wirtschaft aus", heißt es auf einer Tafel am Haupteingang, "und legte den Grundstein für den Überfluss, der das Leben im 20. Jahrhundert bestimmen sollte."
Das liest sich heute, im Dezember 2008, wie ein schlechter Witz. Die Fabrik, die hier beschrieben wird, ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die roten Wände aus Ziegel und Granit stehen noch. Aber die Fenster sind entweder kaputt oder zugenagelt, in den Wänden klaffen riesige Löcher. Andere Firmen, andere Länder hätten aus Henry Fords Traumfabrik vielleicht eher ein Museum gemacht, anstatt es zu einem bemitleidenswerten Wrack verkommen zu lassen. Aber Ford und die anderen beiden der Großen Drei - General Motors (GM) und Chrysler - haben genug mit dem Überleben zu kämpfen, als dass sie sich um die Bewahrung des Vergangenen kümmern könnten.
GM hat in den vergangenen drei Jahren 73 Milliarden Dollar verloren und macht jeden Monat zwei Milliarden Dollar Verlust. Wenn das so weiter geht, wird das Unternehmen Mitte nächsten Jahres über kein Bargeld mehr verfügen, gegen Ende kommenden Jahres zusammenbrechen und möglicherweise Millionen von Arbeitern mit sich in den Abgrund reißen.
Nirgends ist dies deutlicher spürbar als in Detroit, wo die Großen Drei ihre Firmenzentralen haben. Die Hälfte der 100.000 GM-Arbeiter lebt in der Stadt, von ihnen wiederum hängt ein ganzes Netz von Verwandten, Zulieferfirmen und Dienstleistern ab. Als es General Motors noch gut ging, boomte auch Hamtramck, gleich neben den Produktionsstätten gelegen. Jetzt herrscht auch hier Flaute. Annas Schönheitssalon an der Hauptstraße macht nur noch einige Tage in der Woche auf, der Modeladen hat bereits dichtgemacht. Die Billard and Burger Hall: ausgestorben. Ein Antiquitätenladen: verlassen. Anwaltsbüros: stehen leer. Immerhin hat der Bestatter noch geöffnet.
Auf der anderen Straßenseite befindet sich der Family Donut Shop. Eine Institution in der Stadt und seit 28 Jahren von einer polnischen Familie betrieben. Vojno, der Eigentümer, bringt gerade einen Stapel Pappschachteln herein, mit denen Donuts verpackt werden. Vor ein paar Jahren bestellte er bis zu 30 Pakete im Monat, heute sind es noch zehn. An polnischen Feiertagen gab es einst eine lange Schlange von Kunden vor der Tür, die bis um die Ecke reichte und die Stühle waren voll. Heute ist der Tresen so gut wie leer. Wenn sich GM nicht erholt und wieder Geld hereinkommt, kann Vojno den Laden in ein paar Monaten dicht machen. "Das geht nicht nur mir so. Alle hier werden aufgeben." Was wird er dann machen? "Ich werde zuhause bleiben und schlafen. Ich bin totmüde."
Aus Schönheiten wurden Panzer
Draußen auf der Straße wird der Blick auf die Skyline von Detroit frei - bestimmt vom GM-Hauptgebäude. Die Glastürme wurden 1977 vom Konkurrenten Ford errichtet. Später kaufte General Motors die sieben zylindrischen Gebäude. Heute erinnert eine Ausstellung an frühere GM-Modelle, schöne und aufregende Autos.
Ein schwarzer 1955er Chevrolet Bel Air etwa - das Auto, das wie kein zweites den amerikanischen Traum verkörpert: geräumig genug, um eine Familie nach Hause in die Vorstadt zu transportieren, aber auch stark und geschmeidig genug, um nicht altbacken zu wirken. Besonders stolz sind die Aussteller auf einen Cadillac series 62 convertible von 1959 - ein Auto von umwerfender Schönheit, entworfen von GMs legendärem Designer Harley Earl: Flossen am Heck, Bremslichter in Form von Raketen und ein Auspuffgeräusch wie von einem Düsenjet. Der 59er Cadillac prägte eine ganze Generation - jung, gefährlich, schnell und durch nichts aufzuhalten.
"Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Auto das Symbol für die Stärke Amerikas. GM war das Symbol für die Stärke Amerikas und die meisten Amerikaner waren stolz auf den Erfolg des Unternehmens, das großartige Autos baute, die die Leute haben wollten", erzählt Peter DeLorenzo. Der Werbeberater arbeitete 22 Jahre in der Automobilbranche und betreibt heute die einflussreiche Website Autoextremist.com. Damals war Detroit gerade der Rolle als Rückgrat der amerikanischen Kriegsproduktion entwachsen. In den fünfziger Jahren explodierte die Kreativität, das Selbstbewusstsein war groß.
Die am Design orientierte Strategie machte sich auch für GM bezahlt. 1955 kamen weltweit vier von fünf Autos aus Amerika - die Hälfte davon produziert GM. Die Großen Drei hatten den heimischen Markt mit einem Anteil von 95 Prozent fest im Griff und miteinander veränderten sie die USA.
Doch irgendwann begann der Abstieg. DeLorenzo datiert den Beginn des Niedergangs auf das Jahr 1979. Zu diesem Zeitpunkt waren japanische Autofirmen den Großen Drei schon auf den Fersen, Detroit aber ignorierte die Herausforderung und erging sich in Selbstzufriedenheit - die guten Zeiten würden schon ewig dauern. Auch die Führung innerhalb des Unternehmens änderte sich entscheidend und ging von den Designern in die Hände von Leuten über, die DeLorenzo als "Erbsenzähler" bezeichnet.
Zu Beginn der neunziger Jahre war der Ruf von Innovation und Schönheit dahin, die Autos der Großen Drei waren zum Synonym für fehlerhafte Produkte geworden. Und aus der geschmeidigen Eleganz der Cadillac von 1959 war die klobige Brutalität des Hummer geworden. Was ging in den Köpfen der General-Motors-Vorsitzenden vor sich, die die Idee hatten, gepanzerten Fahrzeugen nachempfundene Maschinen auf die amerikanischen Straßen zu bringen, die es noch dazu gerade mal auf 13 Meilen pro Gallone bringen? Bei den Benzinpreisen.
Als Abfindung einen Auto-Gutschein
Ron Nidiffer aus Hamtramck ist vorübergehend arbeitslos, weil die örtliche GM-Fabrik die Produktion aufgrund mangelnder Nachfrage ausgesetzt hat. Er gehört einer aussterbenden Gattung an, jenen Beschäftigten, deren Konditionen noch aus der Blütezeit der Automobilbranche stammen. Die Gewerkschaft, der er angehört, die United Auto Workers, hat in den siebziger und achtziger Jahren eine Reihe von Deals ausgehandelt. Er verdient 29 Dollar die Stunde - wesentlich mehr als die amerikanischen Arbeiter in den japanischen Fabriken, die in den Süden, nach Alabama und Texas verpflanzt wurden, wo es nur eine schwache gewerkschaftliche Bindung gibt.
Nun sitzt Nidiffer in der New Dodge Lounge und trinkt Bier. Sechsunddreißig Jahre lang hat er in Autofabriken gearbeitet, zehn davon am Fließband. "Es gab einmal das Sprichwort: Wie General Motors, so das Land", sagt Nidiffer. "Es stammt aus den glücklichen Tagen, gilt aber noch immer. Wenn General Motors untergeht, werden die Auswirkungen in ganz Amerika zu spüren sein."
Dass ein Arbeiter, der an seinem Job hängt, so etwas sagt, ist selbstverständlich. Doch auch Ökonomen stimmen dem zu. Sollte General Motors nächstes Jahr Pleite gehen, so Susan Helper, Professorin an der Case Western Universität, könnte ein Dominoeffekt nicht nur die 240.000 Angestellten der Großen Drei, sondern auch 730.000 Arbeiter bei Zulieferern und rund eine Millionen Beschäftigte bei Händlern im ganzen Land treffen.
Auf dem Gelände des Dodge-Autohauses in Galeana, unweit von Nidiffers Kneipe, ist die Tragödie des amerikanischen Autos deutlich zu spüren. Ballons in rot, weiß und blau schmücken die lange Reihe der Autos. Doch wen können sie noch täuschen? Drinnen wird die Frage, wie die Dinge laufen mit dem Hinweise beantwortet: "Schauen Sie doch auf die Anschlagtafel." Auf dieser ist handschriftlich nur ein einziges Auto vermerkt - die Verkaufsbilanz des heutigen Tages. Vor zwei Jahren waren es noch durchschnittlich fünfzehn pro Tag.
Unlängst hat eine lokale Chrysler-Fabrik angekündigt, 5.000 Stellen zu streichen. Alle Arbeiter, die ihren Job verlieren, würden jedoch einen Gutschein für einen neuen Dodge erhalten. Soweit ist es gekommen im Herzen des Autolandes USA: Die einzige Hoffnung der Händler in Detroit sind die Abfindungspakete für jene Arbeiter, die bisher die Wagen bauten und nun vor der Arbeitslosigkeit stehen.
Aus dem Guardian übersetzt von Zilla Hofmann und Holger Hutt
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