Freitag: Frau Rühle, halten Sie die Parteiaustritte von Ozan Ceyhun und Wolfgang Kreissl-Dörfler für eine Überreaktion?
HeidE Rühle: Ja, es war nicht richtig. Parlamentarier im Europaparlament zu sein, ist ein harter Job. Da verlieren manche schnell den Boden unter den Füßen. Die Probleme im vergangenen Jahr und jetzt zeigen, dass wir bei der nächsten Listenaufstellung zu Europaparlamentswahlen nur noch erfahrene Politiker nach Brüssel schicken können. Die Anforderungen sind so hoch und die Probleme so groß, dass man hier Leute braucht, die bereits parlamentarische Erfahrung haben.
Sie spielen damit auch auf Ilka Schröder an ...
Ein 22-jähriges Mädchen, das noch nie ein parlamentarisches oder parteipolitisches Amt bekleidet
sches oder parteipolitisches Amt bekleidet hat, ist schlicht überfordert, wenn es nach Europa geht. Das versucht Frau Schröder durch besonders forsches und dummes Auftreten zu übertünchen.Sollte man denn nicht auch weiterhin jungen PolitikerInnen bei den Grünen eine Chance geben?Es kommt immer darauf an, auf welcher Ebene Leute einsteigen. Wenn man die Leute nach Europa schickt, haben sie keine Chancen, sondern werden verheizt. Daher ist es um so wichtiger, dass wir eine kontinuierliche und langfristige Aufbauarbeit des politischen Nachwuchses betreiben, an der ich mich bereits beteilige. In diesem Jahr habe ich schon mindestens fünf PraktikantInnen als Mentorin betreut. Das kann aber nur jemand machen, der auch einen gewissen Erfahrungshintergrund mitbringt.Sie wollen also eine Altersgrenze für grüne Europaparlamentarier einführen?Man muss sich vorstellen, dass man als Europaabgeordnete mehr Arbeit als im Bundestag oder in jedem anderen parlamentarischen Amt hat. Die Einflussmöglichkeiten des Parlaments und seine Arbeitsbereiche sind heute sehr viel größer als früher. Gleichzeitig muss die Anbindung an die nationalen Parlamente gewährleistet werden, damit man gemeinsam an einem Strang zieht. Wie soll das jemand machen, der noch gar nicht die entsprechenden Kontakte und Verbindungen hat?Ilka SchöderWenn sie bei Bundeswehrgelöbnissen auftaucht, ist ihr grüner Armeerucksack bis oben hin vollgepackt. Tröten, bunte Plastiktrillerpfeifen, rote Farbe und Regenschirme gehören zur Standardausrüstung für solche Anlässe. Ilka Schröder ist nicht nur das jüngste Mitglied der grünen Fraktion im Europaparlament, sondern auch das Enfant terrible: Seit dem NATO-Angriff auf Jugoslawien treibt sie mit Verbalattacken angriffslustig immer wieder neue Keile in die deutsche Gruppe - politische Individualisten, die kaum zusammengefunden haben.Zuletzt war Schröders Lieblingsfeind Ozan Ceyhun. Der türkischstämmige Abgeordnete war Experte für Ausländer- und Asylpolitik. Als Ceyhun sich für schärfere Grenzkontrollen in Europa einsetzte, warf Schröder ihm vor, Flüchtlingen »das Messer im Rücken herumzudrehen«. Stattdessen favorisierte sie eine Subventionierung von kriminellen Schleu serbanden aus öffentlichen Mitteln, um Einwanderung mit unkonventionellen Mitteln zu fördern, und erntete zornige Ordnungsrufe aus Berlin und Brüssel. Der grüne Europapolitiker im Bundestag, Christian Sterzing, fand, Schröder habe »die Grenzen des guten Geschmacks überschritten«. Und Dietmar Huber, Pressesprecher der Grünen im Bundestag, bezeichnete sie als »dumme Gans«, die eine »Vollmeise habe«.Ozan Ceyhun aber zog die Konsequenzen und ist vor zwei Wochen zur SPD übergelaufen - angeblich, weil er Schröders Terror nicht mehr ertrug. Doch die Auseinandersetzung mit Schröder könnte auch nur ein willkommener Anlass gewesen sein. Liebäugeleien mit der SPD werden Ceyhun schon seit der Europawahl 1999 nachgesagt. Ähnliches gilt für Wolfgang Kreissl-Dörfler, der Ceyhun in der vergangenen Woche folgte. Er begründete dies nicht mit der rothaarigen Querulantin, sondern: Die Grünen seien ihm nicht mehr grün genug. In der SPD fühle er sich politisch aber auch persönlich besser aufgehoben. In Brüssel heißt es aber, Kreissl-Dörfler habe interne Absprachen nicht eingehalten und müsse deshalb Angst haben, für die nächste Legislaturperiode wieder aufgestellt zu werden.Letztlich ist der Abgeordnetenschwund das Ergebnis einer völlig chaotischen Listenaufstellung für die Europawahlen 1999 in Erfurt. Und kontraproduktiv für den grünen Außenminister Joschka Fischer, der inzwischen auf ein starkes europapolitisches Profil setzt und eine stärkere Verknüpfung der nationalen und der EU-Parlamentsfraktion verlangt. Bis zur nächsten Europawahl 2003 wird das schwer werden. Grüne Bundestagsabgeordnete reagieren nur inzwischen ungern auf Einladungen aus Brüssel.Sind die Differenzen mit Ilka Schröder denn nur altersbedingt?Frau Schröders unsägliche Äußerungen haben nichts mit ihrem Alter zu tun. Ich kenne genügend Jugendliche, die ihr Auftreten und ihre politische Agitation schlichtweg bescheuert finden. Deshalb war ich auch nie bereit, mit ihr eine Sozialtherapie zu machen. Es gibt mit Frau Schröder politische Differenzen, die man mit ihr so austragen muss wie mit jedem anderen Abgeordneten. Allerdings haben ihre Aussagen nichts mit grüner Politik zu tun. Wer kriminellen Menschenhandel mit öffentlichen Geldern subventionieren will, kann entweder nicht Ernst genommen oder muss politisch bekämpft werden.Sie haben während der jüngsten Fraktionssitzung gedroht, ihr Amt als Schatzmeisterin niederzulegen ...Frau Schröder hat allerdings einen großen Teil der öffentlichen Gelder für innerparteiliche Schlammschlachten missbraucht. Die Fraktion hat mir nun bestätigt, dass ich künftig nur noch Öffentlichkeitsgelder für Frau Schröder bewilligen werde, wenn sie nachweist, dass sie über Europa informiert und die Regeln des Parlaments einhält. Solange sie diesen Nachweis nicht erbringt, wird sie keine Gelder für Öffentlichkeitsarbeit aus der Fraktionskasse mehr bekommen.Wie sollte mit Ilka Schröder jetzt umgegangen werden, nachdem der Parteivorstand ein Ausschlussverfahren abgelehnt hat?Ich gebe dem Bundesvorstand völlig recht, dass diese Frage sehr sorgfältig abgewogen werden muss. Man will ja nicht jemanden wegen inhaltlicher Fragen ausschließen, sondern es muss ein formal parteischädigendes Verhalten nachgewiesen werden können. Das ist sehr schwierig, und jedes Parteimitglied kann sich gegen einen Ausschluss - völlig zu Recht - gerichtlich wehren.Ihr Fraktionskollege Graefe zu Baringdorf hat erklärt, eine politische Einheit der Fraktion hätte bisher noch nie bestanden. Stimmt das?Bei der deutschen Delegation gab es von Anfang an keine politische Gemeinsamkeit. Mit Frau Schröder verbindet mich zum Beispiel nichts. Man muss aber auch berücksichtigen, dass unsere Fraktion aus sehr unterschiedlichen nationalen Parteien besteht. Unsere britischen Fraktionskollegen haben bisher noch gar keine parlamentarische Erfahrung gemacht. Die schwedischen grünen Abgeordneten sind noch heute EU-Gegner. Eine gemeinsame politische Strategie bei einer solchen Mischung von Abgeordneten hinzubekommen, ist nicht immer einfach. In den vergangenen zwei Tagen sind wir aufgrund der Krisensituation sicherlich ein paar Schritte nach vorne gekommen.Das Wahlergebnis der Grünen bei der Europawahl 1999 fiel in Deutschland nicht günstig aus. Nach den jüngsten Parteiaustritten bleiben nur noch fünf deutsche Parlamentarier in ihrer Fraktion übrig. Gibt das für die nächsten Europawahlen zu denken?Da sehe ich keine Gefahr. Insgesamt muss man sehen, dass die grüne Bewegung in Europa sehr stark gewonnen hat. In der vergangenen Legislaturperiode gab es lediglich 28 grüne VertreterInnen im Europaparlament. Nach den Wahlen stieg diese Zahl auf 48. Die Grünen sind damit die viertstärkste Fraktion im Parlament und an insgesamt fünf nationalen Regierungen in ganz Europa beteiligt.Das Gespräch führte Oliver Schilling