DVB-T
"Hegel bemerkte irgendwo", lesen wir immer wieder gern bei Marx, "dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce." Die Tragödie der weltgeschichtlichen Tatsache Fernsehen ereignete sich in jener Frühzeit, in der ein Familienvater entnervt an der Zimmer- oder Dachantenne herumdrehte, während Mutter und Kinder vor dem Bildschirm saßen und riefen: "Ja, so, nein, ja, so ist gut." Dann kam das Kabelfernsehen, und die Zimmer und Dachantennen landeten rostig auf dem Müll. In gewisser Weise war das auch notwendig, denn mit dem Kabelfernsehen und seinen unzähligen Kanälen löste sich die vor dem Fernseher versammelte Familie in ihre gefühlten Zielgruppen zugehörigen Einzelteile auf: Es gab schlichtweg niemanden mehr, der an der Antenne hätte drehen können. Mit "Digital Video Broadcasting-Terrestrial", kurz DVB-T, beginnt die Farce der weltgeschichtlichen Tatsache Fernsehen. Seit 2004 senden Fernsehen und Rundfunk digitale Signale aus, was - wie unlängst irgendwo bemerkt wurde - zu einem starken Stadt-Land-Gefälle geführt haben soll. Mit DVB-T kamen Sorgen zurück, von denen man glaubte, sie nie mehr haben zu müssen: lautes Brummen, schwarzer Schirm. Das Zappen, das unmotivierte Umherstreunen in der vielfältigen Senderlandschaft mittels Fernbedienung, das sich der Zielgruppenzuschauer im Zeitalter des Kabelfernsehens angewöhnt hatte, wurde zum Verdruss. Mit der klobigen DVB-T-Empfänger-Fernbedienung dauert jeder Senderwechsel drei Sekunden. Geduld wäre noch etwas, das sich aufbringen ließe. Wobei der Zuschauermensch aber an seine naturgegebenen Grenzen stößt, ist der Versuch, die dürftige Zimmerantenne an die richtige Stelle zu halten und gleichzeitig die Verbesserungen auf dem Bildschirm zu kontrollieren. Er kann sich ja schlecht zerteilen. Nach unzähligen Nächten des Hilfesuchens in den Internet-Foren Gleichgesinnter und mehreren erfolglosen Zusatzeinkäufen im Elektronik-Fachmärkten bleibt nur noch die Aufgabe des Fernsehens aufgrund von DVB-T. Jetzt kann mal wieder ein gutes Buch gelesen werden, Hegel, Marx. Oder so.
Matthias Dell
DigiCam
Zu Zeiten von Super 8 konnte man sich Urlaubsfilme noch ansehen. Auch wenn der Filmer nicht vor originellen Bildideen sprühte, er musste sich doch überlegen, wie er die drei Minuten füllen wollte, musste auswählen, strukturieren. Dann war ein Filmwechsel nötig, und die Filme kosteten schließlich Geld. Später kam Video in die Haushalte, viele Stunden Film für wenig Geld. Man musste nicht mehr strukturieren, sondern nur noch draufhalten, und tat das auch, stundenlang. Seitdem verweigere ich mich den Urlaubsfilmen meines Vaters. Die alten Super-8-Filme gucke ich noch immer gern.
So ging es auch der Fotografie an den Kragen. Wer einen Film mit 36 Bildern in der Kamera hat, der überlegt sich, was er aufnimmt und was nicht, und lässt zumindest eine minimale Sorgfalt walten, da er das Ergebnis nicht gleich kontrollieren kann. In der Digitalfotografie hingegen ist das Prinzip Polaroid universell geworden: der Reiz, das Resultat gleich sehen zu können, als Gruppenspaß. Ein zweites Mal wollte man diese Sofortbilder eigentlich schon damals nicht sehen. Der Fotograf, der diesen Namen nicht mehr verdient und der heute mit seiner Digitalkamera hantiert und fuchtelt, hat das Fotografieren verlernt. Unter 100 Schnappschüssen, denkt er, wird schon ein annehmbarer sein. Oder auch nicht. Er bewegt sich noch unterhalb des Niveaus dessen, was man in der analogen Epoche als Knipsen bezeichnet hat - ein liebevoll-dilettantisch betriebenes Hobby, von dem heute noch die Fotoalben auf Dachböden und Flohmärkten zeugen.
Zum Glück sind die digitalen Bilder schnell wieder gelöscht, im Prinzip. Es werden aber viel zu wenig Fotos gelöscht. Im Gegenteil, man wird mit ihnen auf allen Kanälen zugeballert, die Bilder verstopfen die Mailboxen und machen selbst vor Mobiltelefonen nicht halt. Was bleibt, ist Datenmüll. Unsere Nachkommen werden auf dem Dachboden keine Schachteln mit alten Fotos mehr finden, sondern nur noch Datenträger, die sie mit ihren zeitgenössischen Computern nicht mehr werden öffnen können. Schade ist das wahrscheinlich nicht.
Florian Neuner
ICE
Es waren schönere, glänzendere Zeiten, als eine Bahnfahrt in die Nähe des Abenteuers rückte. Internationale Nachtzüge lagen mir besonders am Herzen. Ein Zug, er fuhr von Frankfurt, in Karlsruhe sich entzweiend, nach Mailand und Paris, verströmte den Charme des Orientexpresses, nicht luxuriös zwar, aber welthaltig. Keine Werbetafeln in den Abteilen, sondern alte Stiche norditalienischer Städte. Wie stille Künder, temporär und räumlich von den Gegebenheiten getrennt, versahen sie ihre auf die Reise einstimmende Aufgabe. Ich fuhr diesen Zug bestimmt fünfzig Mal, über drei Jahre hinweg. Es gab nur ein oder zwei Waggons mit Sitzreihen, den Rest bildeten Wagen mit Sechser-Abteilen, einer Form der Sitzaufteilung, die aus der Zeit der Pferdekutschen stammt. Die Abteile eines Waggons teilten sich annähernd zu gleich Teilen auf in Raucher und Nichtraucher. Im Übrigen waren die Raucherabteile in diesem Zug selten verqualmt, einfach weil sich die Fenster öffnen ließen. In der Regel wurde die Abteilbeleuchtung erst weit nach Darmstadt angestellt. Der Grund hierfür erschloss sich mir nicht. Ich habe auch nie den Schaffner gebeten, diesen Zustand zu beheben. Eindrücklicher empfand ich den Blick in das tiefe Schwarz der Nacht, unbeeinträchtigt von den Spiegelungen der Innenbeleuchtung in der Fensterscheibe. Ich liebte und liebe es nach wie vor, am Beginn einer Zugfahrt, ehe ich mich der ersehnten Lektüre zuwende, zunächst für ein halbes Stündchen aus dem Fenster zu schauen. Um mir des Reisens bewusst zu werden und in der Gewissheit, noch genügend Zeit zum Lesen zu besitzen. Es gab nichts Erhebenderes, als an warmen Sommernächten mit diesem dunklen Zug durch das Rheintal zu gleiten. Auf paradoxe Weise fühlte ich mich trotz des Unterwegsseins heimatlich geborgen.
An den ICE hab ich mich gewöhnt. Ich kann damit leben, dass der Zugführer durch An- und Durchsagen meine Leseruhe stört, dass die Klimaanlage ihren eigenwilligen Geruch verströmt, dass sich mir über den Glastüren angezeigte Informationen zu Geschwindigkeit und speziellen Konditionen für Bahncard-Inhaber aufdrängen und dass die Landschaft wie auf einem Flachbildschirm an mir vorbeizieht; unwirklich, da nun kein Geruch der Felder und Wälder ins Innere strömt. Was mich unlängst aber verstörte: der ICE fährt mittlerweile so schnell, dass die Zeit der Reise praktisch entfällt. Leipzig - Berlin, kaum eine Stunde Fahrzeit. Meine Gewohnheit des Aus-dem-Fenster-Schauens lässt sich mit meiner Gewohnheit des Lesens nicht mehr vereinbaren. Als ich nach dem üblichen Schauen das zu lesende Buch aufschlug, kündete der Zugführer auch schon die Ankunft in Berlin-Südkreuz an. Die drastische Reisezeitverkürzung raubt in Wahrheit wertvollste Zeit.
Immerhin: Im gleichen Zug zwei Kahlrasierte mit T-Shirt-Aufdrucken in Fraktur, schwere Laptops auf dem Tisch. Markige Sprüche klopfend, von denen "Heute ist Schminktag", als ein Afroeuropäer vorbeilief, noch der harmloseste war. Dann aber setzten sie sich Kopfhörer auf und sahen einen Film. Kein Wort mehr. Ruhe. Es lebe die moderne Technik.
Sebastian Januszewski
APS
Einparken ist eigentlich ganz einfach: Man fährt solange herum, bis man eine angemessen große Lücke gefunden hat und stellt das Auto dann dort ab, nachdem man rums-bums die umgebenden Stoßstangen sanft touchiert hat.
Dieser simple Vorgang wird allerdings seit einiger Zeit durch ein teuflisches Gerät namens elektronische Einparkhilfe - englisch: Acoustic Parking System (APS) - verkompliziert. Wobei der Name des mittlerweile massenhaft verbreiteten Dings ein absoluter Euphemismus ist.
Dabei kann man Auto-Zubehör-Herstellern rein sprachlich normalerweise nicht sehr viel vorwerfen, denn fast alle Dingse, die mit "elektronisch" anfangen, tun exakt das, was ihre Bezeichnung verspricht. Die Wegfahrsperre sorgt zum Beispiel dafür, dass ein Unbefugter nicht einfach so mit dem Wagen davonfährt. Der Fensterheber öffnet und schließt auf Wunsch die seitliche Verglasung, der Bremskraftverstärker macht, dass man nach einer Vollbremsung nicht drei Tage lang Muskelkater im rechten Bein hat, sondern die Karre mit sanftem Pedaldruck zum Anhalten bringen kann.
Die "elektronische Einparkhilfe" ist dagegen nicht nur eine völlig irreführende Bezeichnung. Das Schwierigste beim Autoabstellen ist nämlich ganz eindeutig, eine Parklücke zu finden, in die das Fahrzeug auch hineinpasst. Ein electronic device, das genau das tut und deswegen den Namen Einparkhilfe verdiente, müsste also ungefähr so funktionieren: Hat der Autofahrer nach mehr oder weniger verzweifelter Suche endlich eine Lücke gefunden, drückt er ganz entspannt auf ein formschönes, hübsch coloriertes Knöpfchen und wartet entspannt ab, bis der Einpark-Computer den freien Platz und die Maße des eigenen Wagens miteinander verglichen hat. Und nach wenigen Zehntelsekunden seine Analyse verkündet, die grob "Passt" oder "Passt nicht" lautet. So einfach könnte das Autofahrerleben ein.
Ist es aber nicht, weil das, was als Einparkhilfe firmiert, im Grunde nur ein Gerät zur Verhinderung von fremder Leute Stoßstangen Berührung ist. Und ausgesprochen alarmistisch veranlagt ist: Kaum nähert man sich dem Anfang oder Ende eines anderes Fahrzeugs, schrillt und/oder blinkt das Ding in belästigender Weise los. Lässt man sich von dem akustisch-optischen Inferno beeindrucken, wird man nach dem Aussteigen erbost feststellen, dass die nächste Stoßstange noch rund einen halben Meter entfernt und das Einparken durch das angebliche Hilfsmittel nur unnötig erschwert worden ist. Und entsprechend beim nächsten Mal auf die gute alte Rums-Bums-Methode setzen, also erst dann bremsen, wenn man das hinter einem stehende Auto definitiv berührt hat.
Natürlich erst, nachdem man die elektronische Einparkhilfe ausgeschaltet hat. Für alle Zeiten, selbstverständlich.
Elke Wittich
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