Teheraner Verhältnisse

Gesellschaftskritik "Nader und Simin, eine Trennung" erzählt die tragische Geschichte einer Ehescheidung. Am Ende mag ein juristisches Urteil stehen, moralisch unversehrt kommt keiner heraus

Eine Scheidung ist eine persönliche Tragödie. In einer Gesellschaft, in der die sakuläre und die religiöse Sphäre keinerlei Trennung unterliegen, kann sich diese schnell auch zu einer politischen ausweiten. Der iranische Spielfilm Nader und Simin, eine Trennung beginnt vor dem Scheidungsrichter. Die Eheleute blicken direkt in die Kamera, die Stimme des Richters ist nur aus dem Off zu vernehmen. Im Grunde geht es um einen ganz alltäglichen, zivilrechtlichen Streitfall. Dass Regisseur Asghar Farhadi im Lauf des Films immer wieder an den Ort der Gerichtsbarkeit zurückkehren wird, deutet aber schon darauf hin, wie schwierig hier das juristische Urteil noch von einem moralischen zu trennen ist.

Juristisch liegt der Fall eindeutig, die Implikationen sind für die Betroffenen jedoch unvorhersehbar – zumal auch die Justiz keine objektive Position mehr besetzt. Der Richter verfügt, dass sich Simin ohne die Einwilligung ihres Ehemannes nicht scheiden lassen darf. Die junge Frau plant, mit ihrer elfjährigen Tochter Termeh das Land zu verlassen; das Mädchen soll in Freiheit aufwachsen. (So unverblümt darf der Film das natürlich nicht aussprechen.) Aber auch Nader hat eine familiäre Verantwortung: Er will seinen an Alzheimer erkrankten Vater nicht dem iranischen Gesundheitswesen überlassen. Mit diesem Dilemma beginnt die politische Tragödie ihren Lauf zu nehmen.

Simin zieht zu ihrer Mutter zurück, und Nader muss aus finanzieller Not die unerfahrene Razieh als Pflegerin einstellen, die die Stellung wiederum ohne die Erlaubnis ihres jähzornigen Mannes annimmt. Jede der Figuren ist in gesellschaftlichen Konventionen gefangen, am schlimmsten aber hat Termeh, um deren Wohl es ja eigentlich geht, unter der Situation zu leiden. Sie kann nicht verstehen, warum die Mutter sie verlassen hat, und schlägt sich auf die Seite des Vaters, obwohl auch dessen moralische Integrität zu bröckeln beginnt. Die ohnehin schon zugespitzte Konstellation eskaliert, als Nader die völlig überforderte Razieh aus der Wohnung wirft und sie als Folge des Sturzes ihr ungeborenes Baby verliert. Wieder steht Nader vor Gericht, diesmal als Angeklagter. Wusste er zum Zeitpunkt der Tat von Raziehs Schwangerschaft, hat er sich eines Mordes schuldig gemacht.

Wie schon in seinem letzten Film Elly fungiert auch in Nader und Simin, eine Trennung eine klassische Genrestruktur als Prisma für Farhadis Gesellschaftskritik. Angelehnt an das Topos des Gerichtsfilms führt Farhadi sehr genau vor, wie gegensätzlich die gesellschaftlichen Positionen im Iran immer noch sind. Nader und Simin sind wie die Paare in Elly Vertreter des modernen Teheraner Mittelstandes, Razieh und ihr Mann Hodjat einfache, gläubige Menschen aus dem Umland der Metropole. Der Film mag letztlich zu einem juristischen Urteil kommen, doch moralisch unversehrt gehen gerade die männlichen Figuren aus dem Rechtsstreit nicht hervor. Indem er sich auf erzählerischer Ebene (dem Genre) eines gemeinhin westlich konnotiertes Sujets bedient, obwohl sich der Prozess der juristischen Wahrheitsfindung in Nader und Simin, eine Trennung als blind für die gesellschaftlichen Verhältnisse im Iran erweist, impliziert Farhadi möglicherweise schon, dass dem Westen im Modernisierungsprozess des Landes allenfalls eine Statistenrolle zukommt. Eine Lösung hat auch er nicht parat. Selbst Termehs Entscheidung, mit welchem Elternteil sie zukünftig leben möchte, geht am Ende im Hintergrundlärm unter.

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