Tolle Werke und aufgemotzte Peinlichkeiten

Pariser Triennale Im Palais de Tokyo findet momentan die dritte Triennale für zeitgenössische Kunst statt - und zeigt Nietzsche wo der Hammer hängt
"Half-Pipe" von Ulla Brandenburg
"Half-Pipe" von Ulla Brandenburg

Foto: André Morin

Im Palais de Tokyo findet momentan die dritte Triennale mit zeitgenössischer Kunst statt. Das 1937 errichtete Gebäude wird seit zehn Jahren renoviert und erweitert, so dass Chefkurator Okwui Enwezor seine bis Mitte August andauernde Schau auf einer rund 20.000 Quadratmeter großen Baustelle präsentiert. Enwezor, der die Documenta 11 organisierte und jetzt das Münchener Haus der Kunst leitet, hat 113 Künstler aus der ganzen Welt eingeladen und präsentiert deren Werke unter dem Titel „Intense Proximity“. Die schiere Größe des Ausstellungsareals zwingt zur Auswahl aus einer bunten Mischung aus exzellenter Kunst und aufgemotzten Peinlichkeiten wie der riesigen Installation in Form einer knallig bunt angemalten Half-Pipe aus Kunststoff der deutschen Künstlerin Ulla von Brandenburg.

Den ästhetisch und politisch ambitionierten Anspruch, Kunst aus der ganzen Welt zu zeigen, lösen zu allererst einige verstorbene Altmeister ein. Walter Evans’ Fotos zu „African Negro Art“ (1935) sowie Expeditionszeichnungen von Claude Lévi-Strauss gehören ebenso dazu wie der hinreißende Film „In the street“ der Fotografin und Dokumentarfilmerin Helen Levitt.

Beeindruckend ist auch Carrie Mae Weems’ Fotoserie „From here I saw what happened – And I cried”. Die historischen Schwarz-Weiß-Fotos aus anthropologischen Werken sind auf rotes Papier aufgezogen und schwarz umrandet. Selten hat man die bluttriefende Geschichte der Sklaverei ästhetisch überzeugender gesehen.

Für einen gelungen Beitrag in der gar nicht einfach zu bespielenden Sparte politische Satire stehen die Installationen des jungen Franzosen Camille Henrot. Unter dem Titel „Kann man revolutionär sein und Blumen lieben“ arrangiert er Blumengestecke mit Materialien aller Art und ordnet die Objekte Revolutionären aus Philosophie und Politik zu – mal mit empathischem Augenzwinkern, mal mit beißender Ironie. So kommt Karl Marx zu seiner roten obligaten Rose und Nietzsche, der Philosoph mit dem Hammer, zu seinem spießigen Gummibaum.

Der Israelin Ariella Azonlay gelang, was bei Günter Grass kürzlich völlig danebenging: einen historischen Blick auf den Palästina-Konflikt zu werfen – ohne Pathos und ohne Scheuklappen. Die Künstlerin besuchte das Archiv des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) in Genf. Dort verwahrt man Fotos der unter den Augen von UNO-Beobachtern organisierten Vertreibung der Palästinenser im Jahr 1948. Wer diese Fotos veröffentlichen will, muss sich verpflichten, die Bild-Legenden des IKRK zu übernehmen. Dort ist von „Repatriierung“, „Umsiedelung“ und ähnlichen Euphemismen die Rede – nur nicht von „Deportation“ und „Vertreibung“. Diese nach ihrem Empfinden Geschichtsfälschung wollte die Fotografin nicht mitmachen. Sie zeichnete die Fotos mit Bleistift ab und versah sie mit eigenen Kommentaren dazu, was sie selbst auf den Fotos von Kfar Yona sah: „Die staatliche Unabhängigkeit ist durch pure Gewalt und Deportation erlangt worden.“ Das ist gewiss keine neue Einsicht, aber die schlichte ästhetische Umsetzung aus „zivilem Blickwinkel“ beschämt politisch-militärische Staatsgründungslegenden ebenso wie die Rechtfertigungspirouetten von Historikern und Leitartiklern.

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