Tonkopf

Vielstimmig Wer ist eigentlich die »Generation Pop«?

Kam das Ende vor dem Anfang? Als 1995 Christian Krachts Roman Faserland erschien, war die Aufregung groß. Die Geschichte des jungen Schnösels, der auf dem Weg von Sylt nach Zürich eine Tour de Force der Markenartikel absolviert, versetzte weiland das Feuilleton in Aufruhr. Krachts Roman gilt als Initialzündung der neueren deutschen Popliteratur. Doch folgt man dem Münchener Germanisten Andreas Schumann, war er eher der Versuch der Überwindung des Pop mit seinen eigenen Mitteln. Zwar lassen sich in Faserland, so Schumann, alle Kriterien der Pop-Literatur nachweisen: Die Lust an der Oberfläche, die dandyhafte Attitüde, die unpolitische Haltung. Doch die Anspielungen auf die klassische Literatur und die erfolglose Suche nach der klassischen Zweisamkeit jenseits des Waren-Pop machten diesen Roman eher zum Prototyp eines romantischen Scheiterns.

Doch wie kommt es dann, dass Krachts sprachlich dürftiger Band, der von Kritikern und Lektoren wegen seiner zynischen Abrechnung mit dem Moralzwang der gutdeutschen 68er zur Ikone stilisiert wurde oder die furiose Pennälerprosa eines Benjamin von Stuckrad-Barre das facettenreiche Phänomen Pop(literatur) so verdunkelt beziehungsweise überstrahlt? Wahrscheinlich liegt es an seinen vielen naiven Epigonen. Alexa Hennig von Lange lässt grüßen! »Generation Pop?« - wie berechtigt das Fragezeichen hinter dem Titel einer kleinen Tagung der Neuen Gesellschaft für Literatur vergangenes Wochenende in der Berliner Volksbühne war, klärt ein Blick auf die Tradition. Wer wollte die Kluft, die zwischen Autoren wie dem 1940 geborenen, 1975 zu früh gestorbenen Rolf Dieter Brinkmann, quasi dem ersten deutschen Pop-Poeten, dem 1942 geborenen Jukebox-Handke, dem 1955 geborenen Matthias Politycki, der den leichtfertigen Schlachtruf »Literatur muss sein wie Rockmusik« einfach nicht los wird und dem 1975 geborenen Stuckrad-Barre, der bekanntlich lieber einen Autoreifen ficken als im Literaturhaus lesen würde, im Ernst über einen generativen Leisten schlagen? Ganz zu schweigen von ihren angloamerikanischen Heroes: Burroughs, Ginsberg, Warhol, Nick Hornby.

Mit der Blickverengung auf zwei Galionsfiguren kommt man also nicht weiter. Für Thomas Ernst, den 1974 geborenen Germanisten aus dem Ruhrgebiet, zählen nämlich der aus der randständigen Alltagskultur schöpfende Social Beat, die Slam-Poetry oder die Kanak-Sprak eines Feridun Zaimoglu genauso zu den Varianten des Pop. Was unter gleichem Label allerdings am selben Wochenende als »Lesershow« in der Volksbühne abging, war aber bestenfalls harmloser weißer Mittelstandspop. Ernsts Hoffnung auf eine subversive Sprachpolitik, die die Normalitätsdiskurse der Neuen Mitte und der Berliner Republik aufbrechen können richtet man besser auf die Textmaschinen der Münchener Autoren Thomas Meinecke, Andreas Neumeister oder die Theaterstücke des Berliners Rene Pollesch - die Trias des so genannten »Suhrkamp-Pop«. Aber auch der affirmative Realpop ist besser als sein Ruf. Denn für den Rostocker Germanisten Moritz Baßler leistet er Unentbehrliches als Archiv der zeitgenössischen Alltagskultur - von Krachts berühmten Barbour-Jacken, über Stuckrads Chiochipstüten bis zu Polityckis Flokatiteppichen.

Inventarisieren statt kritisieren? Für Germanisten wie Ernst oder den Berliner Phil Langer, die auf eine Repolitisierung des Pop von unten hoffen, ist das natürlich zu wenig. Doch dass der gesellschaftskritische Neo-Pop in Literatur und Musik sich womöglich wieder den naiven Rock der siebziger Jahre zum Vorbild nimmt, davor möge uns ein mitfühlender Popgott bewahren. Was haben wir auf der Berliner Friedensdemonstration im Februar gelitten als Hannes Wader und Konstantin Wecker ihren Moralkitsch entmotten durften! Wer lieber mit kalter Lust an der allernächsten Gegenwart entlangscratcht, sie abtastet und wiedergibt muss nicht unbedingt unpolitisch sein. Wenn man es so kann wie Tomboy-Meinecke oder Abfall-für-alle-Goetz! Denn für den Kölner Germanisten Eckhard Schumacher setzen sich die beiden mit ihren taktilen Schreibarmen gefährlich nah den Diskursströmen der Gegenwart aus. Doch so wie sie ihn zu Papier bringen, »prozessieren« sie ihn immer auch neu. Nur weil Christian Krachts zynischer Held in seinem letzten Roman 1979 die Berluti-Schuhe abstreift und auf Holzpantinen in chinesische Umerziehungslager pilgert oder Stuckrad-Barre in Zürich seine Soloalben versteigert, ist doch nicht die ganze Popliteratur am Ende. Sie lebt! Sie hat eine Zukunft! Als Tonabnehmer!

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