Ausstellung Video, Textfragmente, Pop: Im Haus der Kunst in München sind Werke des US-Künstlers Tony Cokes zu sehen. Sie widmen sich auch der Geschichte der Stadt zwischen Kunst-Hauptstadt der NSDAP und Olympia 1972
Läuft man durch München, hat man so oft das Wort „Nazis“ im Kopf, dass es fast zu einer Art Beat wird. Königsplatz, Haus der Kunst, Musikhochschule, Marienplatz – Nazis, Nazis, Nazis, Nazis. Und um Nazis und um Beats geht es ja auch irgendwie in einer zweiteiligen Ausstellung, die gerade in München zu sehen ist.
Läuft man nämlich die Treppe zum ersten Stock des Kunstvereins München hoch, steht man vor Aufnahmen der zerbombten Stadt und hört dazu laute Techno-Beats, Bass, und das verwirrt erst mal, denn im Körper erwachen Party-Assoziationen: Ein Teil will tanzen, der andere erst mal die Bar suchen. Aber ist das denn gestattet, hier ist doch Krieg gewesen, vielleicht taucht gleich eine Leiche auf? Der Kopf will Kontext suchen. Wa
suchen. Was soll ich fühlen? Und warum?Fragments, or just Moments heißt die Ausstellung von Tony Cokes. Seit mehr als drei Jahrzehnten arbeitet der 1956 in Richmond, USA, geborene Künstler mit seinen Videoarbeiten zu Themen, die heute populär sind: die Aneignung afroamerikanischer Musik, die ideologische Wirkung von Bildern oder Musik, Verschwörungserzählungen. „Rassismus, Kapitalismus, Kriegsführung und Gentrifizierung“, so steht es in einem der Ausstellungstexte. Für seine Werke kombiniert er Fragmente aus Interviews, Büchern, Artikeln mit Popmusik. Und dadurch verändern sich Aussage und Lesart, gleich die ganze Wahrnehmung dieser Recherche-Arbeiten.Die Kunst und der FührerSein Geld verdiente Cokes vor allem als Lehrender, kürzlich aber habe er Arbeiten an das MoMA in New York verkaufen können, erzählt Maurin Dietrich, Direktorin des Kunstvereins München. Vor ein paar Jahren wurden einige seiner Videoarbeiten auf der Berlin Biennale gezeigt, dies ist nun seine erste deutsche Einzelausstellung, und weil sowohl Kunstverein als auch Haus der Kunst Interesse am Künstler hatten, taten sich beide Institutionen für diese Ausstellung zusammen. Und der Künstler verschwand in den Archiven der Häuser, mit deren historischer Verbindung er sich beschäftigt.1933 legte Hitler den Grundstein zum Bau des von Paul Ludwig Troost entworfenen Gebäudes, das zum „Haus der Deutschen Kunst“ werden und München zur Hauptstadt der Kunst machen sollte, wovon München touristisch wahrscheinlich noch heute profitiert. Mit der Großen Deutschen Kunstausstellung eröffnete das Haus 1937, zeigte die vom Führer anerkannten deutschen Künstler und wurde so zum massiven Propaganda-Werkzeug der NSDAP, eröffnet mit einem absurden Festzug. Auch diesen sieht man in Cokes’ aktueller Arbeit.Einen Tag nach der Eröffnung des Hauses der – damals noch – Deutschen Kunst zeigte das Galeriegebäude am Hofgarten, wo sich eben heute der Kunstverein befindet, die Ausstellung zur „entarteten“ Kunst, die die Nazi-Ideologie-ferne und bei „Säuberungsaktionen“ konfiszierte Kunst schief an die Wände klatschte, anstatt sie anbetungswürdig in den hohen Hallen zu präsentieren.Und an diesen damals so verbundenen Orten zeigt Cokes nun – neben älteren Arbeiten – Some Munich Moments 1937 – 1972 und stellt darin die ideologisch begründete Stadtpolitik der Nazis Überlegungen zur Olympiade 1972 gegenüber. Denn ebenfalls ideologisch basiert sollte das Sportevent der Welt das entnazifizierte Deutschland präsentieren. Ein Fest des Friedens sollte es werden, was sich nicht nur in der Architektur des Olympiastadions wie des Olympischen Dorfes niederschlagen sollte, das zum Teil auf Kriegsschuttbergen gebaut wurde. Besucherströme sollten so geleitet werden, dass sie eher nicht an den monumentalen Nazibauten ankommen und „Nazi, Nazi, Nazi“ im Kopf haben würden.Die Münchner Bevölkerung wurde gebeten, ganz weltoffen Besucher zu beherbergen. Und das Gestaltungskonzept des Grafikdesigners Otl Aicher beinhaltete Überlegungen zur Wirkung von Farben: Was sind unfaschistische Farben? Heraus kamen ein helles Blau, ein Orange, ein Grün. Die Textfragmente, die Cokes in den Arbeiten für den Kunstverein und das Haus der Kunst verwendet, etwa aus Hitlers Rede zur Eröffnung desselbigen, zeigt er vor ebendiesen Farben. Und die Arbeit, die im Kunstverein auf große Panels projiziert wird, wird von Füßen gehalten, deren dreieckige Gestaltung sich ebenfalls an der Olympia-Architektur orientiert. Von hinten betrachtet sind die parallel im Raum aufgestellten Panels weiß und fordern zum eigenen Füllen auf.Eine weitere Arbeit hängt in der Fußgänger-Unterführung am Südende des Englischen Gartens, die für die Olympiade gebaut wurde und Kunstverein und Haus der Kunst sozusagen verbindet. Dort läuft Donna Summers I Feel Love,und man steht vor drei Plakatwänden: „The street is more important than the museum“ steht unter anderem darauf, und dass es wichtig für München war, sein Image vor der Welt zu kontrollieren. Aber wann? Im Krieg, zur Olympiade? Heute? Aus den Spielen des Friedens wurde jedenfalls nichts, weil palästinensische Terroristen die Bilder bestimmen sollten.Die Wirkung von Bildern, die Darstellung von Terrorismus, darum geht es auch in Cokes’ gesamtem Werk. Auf der Suche nach Bildmaterial, von vor und nach dem Krieg, fanden Archivare der Institutionen spektakuläre Aufnahmen, die Cokes hier einsetzt.Etwa das Material von Willi Cronauer. Der Antifaschist, Künstler und spätere SPD-Politiker bekam nach Kriegsende eine Kamera von den Alliierten, erzählt Direktorin Dietrich, und hielt sie drauf auf die Trümmer. Das Material wurde weitestgehend vergessen, bis Münchner Partyveranstalter die Idee gut fanden, Filme und Techno für eine Veranstaltungsreihe zu kombinieren. Cokes hat das im Internet gefunden.Man sieht hier also, dass der überwiegende Teil Münchens in Trümmern liegt, die „Hauptstadt der Bewegung“ wurde von den Alliierten nicht geschont. Und anders als in anderen Städten habe man sich in München entschlossen, fast alles so wieder aufzubauen. Die Nazibauten allerdings blieben erhalten. Das Haus der Kunst etwa sei mit einem Tarnnetz überdeckt gewesen, das habe man auf den Aufnahmen entdeckt, erzählt Elena Setzer, Co-Kuratorin der Ausstellung im Haus der Kunst, als sie in den Luftschutzbunker führt, der am Seiteneingang des Nazibaus liegt.Cronauers TrümmerbilderUnd wenn man in diesen eh schon gruseligen Keller geht, in dem damals nicht nur Mitarbeitende, sondern auch Kunst Schutz fand, vorbei an Duschen, in einen langen Gang hinein, der in blaues Licht getaucht ist, von dem Räume abgehen, in dem 15 Arbeiten von Cokes gezeigt werden, dann läuft wieder dieser dunkle Techno-Beat. Und hier wirkt er schon bedrohlicher. Nicht erst die Nazis wussten um die Effekte, die Trommeln, Musik haben. Eine affektive Kraft, die Stimmungen beeinflusst, sagt Elena Setzer.Neben den neuen Arbeiten, die beide Häuser zeigen, gibt es eine weitere, die sowohl im Kunstverein als auch im Haus der Kunst zu sehen ist. In Black September (Evil.2/3) listet Cokes Terroranschläge und Militärputsche des 20. Jahrhunderts auf, die im Monat September stattfanden. Zwischendrin erscheint der Geburtstag von Theodor W. Adorno. Die Arbeit ist von 2003, und hier tauchen die Olympischen Spiele 1972 in München bereits auf. „Der mediatisierte Gewaltakt wird zum ultimativen Bild und zur Ware innerhalb eines kapitalistischen Systems, das Sichtbarkeit als Währung versteht“, so steht es im Ausstellungstext im Haus der Kunst. „Mittels Cokes’ künstlerisch-historischer Auseinandersetzung wird die Geschichte in den öffentlichen Blick gerückt“, heißt es in der Publikation des Kunstvereins München.Es sind nicht nur Fühl-, sondern auch Lern-Arbeiten, die Cokes macht. In einem anderen Video etwa sieht man vor rotem oder blauem Hintergrund Teile eines Interviews mit der früheren Sprecherin des Außenministeriums der USA zum Völkermord an fast einer Million Tutsi durch Hutu-Soldaten 1994 in Ruanda, den sie nicht als Völkermord bezeichnen wollte. Denn sonst hätten die Vereinten Nationen militärisch eingreifen müssen. So hatte man das nach dem Genozid, den die Nazis in Deutschland und angrenzenden Ländern verübten, verabredet.Dazu spielt Cokes Songs der Band Nirvana, deren Sänger im Jahr 1994 ebenfalls starb. Was – so steht es im Ausstellungstext – größere mediale Aufmerksamkeit nach sich zog als der Genozid oder die Weigerung, ihn so zu nennen. Man tanzt dann irgendwann dazu. Denn dabei lässt sich ganz gut nachdenken. Über Nazis, über die Kraft der Stille und die Notwendigkeit von Gegenbewegung in Kopf und Körper.Placeholder infobox-1
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