In einem exklusiven Schuhgeschäft des Athener Nobelviertels Kolonaki antwortet der Besitzer auf die Frage, ob ein exzentrisches Modell in Schwarz vorrätig sei, mit der Bemerkung, diese traurige Farbe passe eher zu den miserablen Amerikanern, die ja gerade Krieg führten. Die Episode zeigt, daß die griechische Gesellschaft gleich nach der Öcalan-Affäre in neue Turbulenzen gestürzt wurde. Einerseits ist man darauf bedacht, sich innerhalb der westlichen Allianz nicht zu isolieren, erhebt deshalb keinen Einspruch gegen die Luftangriffe und hat - nach einigem Zögern - auch dem Ölboykott gegen Belgrad zugestimmt. Andererseits beteiligt sich das Land aus Rücksicht auf seine exponierte geographische Lage und die traditionellen Bindungen mit Serbien nicht an den Militäroperationen. Premier Kostas Simitis (PASOK) insistiert daher, Jugoslawiens Grenze sei ebenso zu respektieren wie eine Autonomie des Kosovo. Griechenland verurteile die ethnischen Säuberungen der Serben und beharre gleichfalls auf neuen politischen Lösungsversuchen.
Fraglich ist allerdings, ob die Regierung ihren halsbrecherischen Balanceakt zwischen Bündnis- und Balkanloyalität durchhalten kann, wenn es zum Landkrieg kommt.
Dann dürfte Athen extrem unter Druck stehen, der NATO weitere »Erleichterungen« außer den bisherigen einzuräumen. Wegen der störanfälligen Infrastruktur Albaniens und Bulgariens müßte der Haupttransport von Truppen und Material auf der Route Thessaloniki - Skopje durch das Vardartal erfolgen. Saloniki war bisher schon für den NATO-Aufmarsch in Mazedonien unverzichtbar - 25 Schiffe und 120 Flugzeuge beförderten 8.500 Soldaten, 4.350 Fahrzeuge, davon 550 gepanzerte, sowie eine Fülle an Kriegsmaterial. Der nordgriechische Hafen dürfte bei Bodenoperationen mehr denn je als Logistikzentrum gefragt sein - und das im weitesten Sinne. Mutmaßungen von griechischen Experten gehen dahin, daß die UÇK noch in der ersten Mai-Hälfte eine Offensive startet, unterstützt von den in Albanien stationierten US-Kampfhubschraubern des Typs Apache. Sollte Milosevic dann immer noch nicht kapitulieren, gilt ein Angriff von NATO-Truppen auf das Kosovo als sehr wahrscheinlich. Der würde vermutlich an zwei Fronten vorgetragen: Im gebirgigen Dreieck Albanien-Kosovo-Mazedonien von leichten, beweglichen Sondereinheiten und auf der Tallinie Skopje-PrisÂtina von schweren Panzerkräften - darunter Leopard-II-Panzern der Bundeswehr.
In diesem Fall wird Griechenland der NATO das Durchzugsrecht wohl nicht verweigern können, mit der Einschränkung, daß keine türkischen Soldaten teilnehmen. Die konservative Oppositionspartei Neue Demokratie trägt den Regierungskurs, der das Land auch auf den Landkrieg vorbereitet, bisher insgesamt mit, während einen prinzipiell NATO-feindlichen Standpunkt im Parlament hauptsächlich die Kommunisten vertreten. Sie organisieren Proteste gegen NATO-Transporte, wodurch auch ein Eisenbahnzug mit Panzern der Bundeswehr vorübergehend zum Stehen kam. Gewerkschafter, Vertreter einzelner Berufsgruppen, Kommunalpolitiker und andere Personen reisen zur Zeit nach Belgrad, um - bei unterschiedlicher Gewichtung - Protest gegen den »US-Imperialismus« und Solidarität mit den »orthodoxen serbischen Brüdern« auszudrücken. Von diesem Geist beseelt ist nicht zuletzt die Kriegsberichterstattung der griechischen Medien, die in ihrer Einseitigkeit zugunsten der Serben kaum mehr zu überbieten ist. Der Abschuß des amerikanischen Stealth-Bombers wurde richtiggehend mitgefeiert, die meisten Zeitungen brachten auf der Titelseite das Bild des Jungen, der mit seiner Spielzeugpistole auf den Trümmern posierte. Kaum Erwähnung fand dagegen die Tatsache, daß es der NATO möglich war, nur 40 Kilometer von Belgrad entfernt eine Hubschrauberaktion zur Rettung des Piloten durchzuführen. Im Fernsehen sind brennende Häuser zu sehen, wenn sie von Cruise Missiles getroffen werden, aber nicht, wenn sie die paramilitärischen Einheiten der Serben im Kosovo angesteckt haben, nach vorheriger Vertreibung oder Ermordung der Bewohner. In Journalistenkreisen kursiert die Anekdote, daß ein Zeitungskorrespondent seine Tätigkeit aus Protest aufgab, weil die Redaktion seine Berichte aus dem Kosovo ins Gegenteil verdrehte. Ein Redakteur der Zeitung To Vima, die eine Ausnahme bildet, kritisierte die Luftangriffe, meinte aber, »bei allen Meinungsunterschieden sollten wir auf der Ebene der politischen Auffassung und des ideologischen Bezugs Gesinnungsverwandte von Schröder und Fischer sein, nicht von Milosevic und Draskovic«.
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