Aufgebracht, dass sie ihre "Morgenstern"-Fahne auf Anweisung der Sicherheitskräfte wieder einholen mussten, rissen 200 Muyus die verhasste rot-weiße Flagge Indonesiens vor dem Tourismusbüro in Merauke herunter und attackierten die Polizisten. Doch die Kugeln der Militärs waren weit tödlicher als die Pfeile der Stammeskrieger. Als die Köcher leer waren und sich der Pulverdampf gelegt hatte, lagen sechs Muyus tot im Staub der Straße.
Am nächsten Tag besetzten Militär und Polizei das Kulturzentrum in Irian Jayas Hauptstadt Jayapura, in dem die sogenannte "Papua Einsatztruppe", eine in der ganzen Provinz 5.000 Mann zählende Unabhängigkeitsmiliz der verschiedensten Stämme, ihr Hauptquartier eingerichtet hatte. 47 Mann wurden wegen illegalen Waffenbesitzes festgenommen. Stolz führte General Sylvanius Wenas anschließend das Arsenal der Unabhängigkeitsstreiter vor: Macheten, Bogen, Pfeile, eine zerbrochene Schreibmaschine, ein paar Poster und Broschüren. Zwei Menschen starben bei Zusammenstößen zwischen den Unabhängigkeitskämpfern und Sicherheitskräften in Fakfak, zwei weitere in Brongkendik, drei in Abepura, weitere in einem Holzfällerlager in Skouw. Die Polizei nahm zahlreiche der üblichen Verdächtigen fest, Studenten, Mitglieder des Papua-Präsidiums einer politischen Organisation, die mit Indonesiens Regierung über den Wunsch der einheimischen Papuas nach Unabhängigkeit verhandelt.
Irian Jaya, die westliche Hälfte Papuas und die östlichste Provinz Indonesiens, brodelt. Zwar haben Indonesiens Militärs das Zeigen des Morgensterns und der Königstaube (ihr Wappen) oder das Absingen ihrer Hymne "Hallo, unser Vaterland Papua" in den meisten Teilen der Provinz zum Landesverrat erklärt, doch kaum jemand scheint sich darum zu kümmern. Auf Jayapuras Marktplatz bieten Straßenverkäufer Flaggen an oder T-Shirts mit dem Aufdruck "Ballot Yes, Bullet No" (Wahlen ja, Kugeln nein). An Hauswänden prangt rotes Graffiti "Bereit oder nicht, Papua kommt". Das Prima Garden Café im Herzen der Stadt bietet zwar den Anblick touristischer Postkartenidylle, doch bei einem Besuch entpuppt es sich als Debattierclub unabhängigkeitsbewegter Papuas.
Das malerische, erst vor 50 Jahren von westlichen Forschern entdeckte Baliem-Tal im Zentrum Irian Jayas - mit seinen tiefen Schluchten und von 4.000 Meter hohen Bergen gesäumt, die größte Touristenattraktion der Gegend - ist eine Brutstätte der Unabhängigkeitsbewegung. Hier gibt es gleich gar keine indonesischen Fahnen mehr, nur noch den weiß-blauen Morgenstern. Entlang der Trekking-Routen und zwischen Feldern süßer Kartoffeln hat die Satgas Papua, eine der zahlreichen Unabhängigkeitsmilizen, Wegstationen aufgebaut. Gelassen geht der Tourführer in die strohbedeckte Hütte, vor der natürlich der Morgenstern weht, grüßt vertraut und bittet seine Reisegruppe um einen kleinen Beitrag für die Miliz: 5.000 Rupiah pro Person, knapp eine Mark. Der Tourführer bestreitet die Behauptung der indonesischen Regierung, Irian Jaya sei heute zu gefährlich für Touristen. Die beiden Männer mit dem Penisgourd, die er als Träger angeheuert habe, seien Mitglieder der Organisasi Papua Merdeka (Organisation Freies Papua).
Sie seien "bereit zu kämpfen", versichern nicht nur die Vertreter politischer oder paramilitärischer Organisationen, sondern nahezu alle Papuas. Doch Jakarta, das auch in Aceh auf Sumatra, in Sulawesi (Celebes), auf Kalimantan (Borneo) oder Riau mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hat (siehe Kasten) und um die Einheit des Staats fürchtet, bleibt unnachgiebig. Es werde keine Verhandlungen über eine Unabhängigkeit Papuas geben, zeigt sich Präsident Abdurrahman Wahid hart. "Jeder Versuch in diese Richtung wird entsprechend beantwortet", drohte er. Sein einziges Zugeständnis: Ab 1. Mai soll Irian Jaya einen besonderen autonomen Status erhalten. Doch das reicht den Papuas längst nicht mehr.
Jakartas Goldesel
Zu lange schon fühlen sie sich als Kolonie Javas, benachteiligt, vernachlässigt, ausgebeutet und rassistisch verfolgt. Jahrzehntelang flossen die Reichtümer dieser reichsten Provinz Indonesiens - hier werden die größten Goldvorkommen der Welt, riesige Kupferlager, Nickel und Uran abgebaut sowie Ölquellen erschlossen - nur in die Schatztruhen der Regierenden in Jakarta. Investitionen blieben aus. Stattdessen förderte Indonesien mit steuerlichen und anderen finanziellen Anreizen die Ansiedlung Zehntausender Javanesen oder Bugis aus Sulawesi. Noch im vergangenen Jahr zeigte ein heimlich gedrehter BBC-Film die schockierende Arroganz der javanesischen Herrscher. 500.000 weitere Ansiedler aus anderen Teilen des Landes sollten bei Jayapura ein riesiges Industriezentrum schaffen. Auf die Frage des BBC-Reporters, wo in all dem die Papuas blieben, kam die beleidigende Antwort: "Die Papuas sind dumm, ungebildet und rückständig. Der Stärkere setzt sich durch. So ist das eben in der Marktwirtschaft."
Weltpolitik, von der sie nicht die leiseste Ahnung hatten, war es, die einst das Schicksal der Orang Papua Barat, wie sie sich nennen, entschied. Zwar hatten die Niederlande, als sie 1949 ihre Kolonie Ostindien in die Unabhängigkeit entließen, Westpapua nicht als Teil des neuen indonesischen Staates anerkannt und die Kontrolle über die Westhälfte der Insel behalten. Indonesiens Staatsgründer Sukarno bestand jedoch darauf, dass auch Irian Jaya Teil seines Landes sei. Nach zahlreichen vergeblichen Versuchen, in der UN-Vollversammlung das Thema wenigstens auf die Tagesordnung zu bringen, lieferte ihm ein misslungener, von den USA und Großbritannien unterstützter Umsturzversuch die Möglichkeit, Washington, das sich bei den UN-Entscheidungen zur Irian-Jaya-Frage stets der Stimme enthalten hatte, zu einer Revision seiner Haltung zu bewegen.
Wie aus Dokumenten hervorgeht, die erst jetzt von der amerikanischen Regierung freigegeben und von der Universität Washington veröffentlicht wurden, unterstützten die amerikanischen und britischen Geheimdienste CIA und MI6 einen Umsturzversuch indonesischer Obristen Ende der fünfziger Jahre. Besorgt über den wachsenden Einfluß der Kommunistischen Partei Indonesiens, sandten Washington und London Material, Agenten und später Soldaten, die - wie in solchen Fällen üblich - für die Zeit der Operation vom Dienst freigestellt und als Söldner verpflichtet waren, um die Rebellen auf Sumatra und Sulawesi zum Sieg zu führen.
Am 18. Mai 1958 bombardierte ein Rebellenflugzeug die Molukkenstadt Ambon. Nach der Versenkung eines indonesischen Kriegsschiffs, der Zerstörung einer Kirche sowie des Marktes, der nach Angaben des damaligen US-Botschafters in Jakarta 700 Menschen zum Opfer fielen, gelang es regierungstreuen Flakschützen, die B-26 abzuschießen. Der Pilot, der US-Bürger Allen L. Pope, wurde gefangengenommen. In seinem Besitz fanden sich Unterlagen, die Washington zutiefst kompromittierten. Zwei Jahre später wurde Pope zum Tode verurteilt. Im Februar 1962 schließlich handelte der damalige Justizminister und Präsidentenbruder Robert Kennedy bei einem Besuch in Jakarta Popes Freilassung gegen eine Änderung der amerikanischen Haltung in der Irian-Jaya-Frage aus.
Washingtons Kuhhandel
Noch im gleichen Jahr gab Den Haag die Kontrolle über Westpapua ab an die Vereinten Nationen, die das Land ein Jahr später unter die Verwaltungshoheit Jakartas stellten - allerdings unter der Bedingung, dass die Bevölkerung innerhalb von sechs Jahren in einem "Akt freier Wahl" über ihre Zukunft entscheiden könne. Dieses Plebiszit verlief, wie derartige politische Entscheidungen in Indonesien eben entschieden werden: Jakarta drohte, erpresste, bestach bis das gewünschte Ergebnis herauskam. Jakarta behauptet heute noch, die Bürger Irian Jayas hätten "frei entschieden", Teil Indonesiens zu werden. Kritiker hingegen, wie etwa die Anti-Sklaverei-Gesellschaft, widersprachen: "Das Plebiszit war inszeniert von den Indonesiern, die eine Mischung von Bestechung und brutaler Gewalt einsetzten, um 1.025 lokale ÂDelegierte zu überzeugen, der fortgesetzten indonesischen Besetzung Westpapuas zuzustimmen." Doch trotz eines ebenfalls sehr kritischen Berichts des offiziellen UN-Beobachters Fernando Ortiz Sanz stimmten die Vereinten Nationen im November 1969 der indonesischen Annexion Irian Jayas zu.
Heute zelebrieren sie zwar in Massen ihre diversen Unabhängigkeitstage, wie den 1. Dezember 1961, den 12. November 1999 oder den 1. Dezember 1999, als sie zum ersten Mal offiziell ihren Morgenstern hissten, und sie besuchen zu Tausenden ihre Kongresse, wie im Februar vergangenen Jahres die Papua Ratskonferenz oder Ende Mai den Papua Volkskongress. Doch viele dieser Papuas, die im Gegensatz zu den malayischen Indonesiern zu der Volksgruppe der Melanesier zählen, haben kaum die leiseste Ahnung von diesen historischen Ereignissen.
Paradiesische Zeiten
"Wir wissen nichts über Unabhängigkeit", gibt ein Gemüsehändler auf dem Amperamarkt in Jayapura zu. "Wenn sie uns aber zu einem besseren Leben als heute verhilft, dann sind wir dafür." Kenner der lokalen Stammestraditionen sehen das Streben nach Unabhängigkeit denn auch in einem viel weiter zurückliegenden Ereignis wurzelnd. Mitte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts entstand in den entlegenen Gebirgsgegenden Papuas eine "Cargoismus" genannte Bewegung, eine Art Erlöserlehre. Demnach sollten nach der Wiederkunft eines legendären Führers paradiesische Zeiten anbrechen. Das Datum wird ein 1. Dezember sein (ebenfalls das Datum der Unabhängigkeitserklärung). Er habe sie darüber reden hören, berichtete ein Ethnologe, "wie sie in ihrer Wildnis gefangen gewesen seien. Nun sei die Zeit gekommen, in das verheißene Land einzutreten". Einheimische in Timika, wo der Bergwerkskonzern Freeport Gold und Kupfer abbaut, sind überzeugt, dass sie an einem 1. Dezember die Jobs von Hubschrauberpiloten und Ärzten übernehmen werden, einfach indem sie Pilotenhelme tragen und weiße Kittel überwerfen.
Nicht nur Daten, auch Symbole übernehmen oftmals eine unbekannte Rolle. So etwa ihre Flagge, der Morgenstern, dem sie angeblich sogar Menschenopfer darbringen. "Ihr Flattern im Wind symbolisiert den hehren Ruf der Ahnen, sich vom Elend des irdischen Lebens zu befreien", erklärte der Sozialwissenschaftler Muridan Widjojo. Und im Hintergrund lauert bereits ein religiöser Konflikt. Die Lehren christlicher Missionare von einem Gott, der sich um das geistige und soziale Wohl seiner Menschen sorgt, fielen bei den Papuas auf fruchtbaren Boden. Doch solche Kunde könnte böse Folgen haben, wenn das verheißene Land nicht kommen sollte. "Sie sind überzeugt, dass ihr (christlicher) Gott auf dem Kriegspfad ist und auf magische Weise alles richten wird", warnte ein westlicher Wissenschaftler. Doch solch philosophische Kenntnisse pflegen Indonesiens Sicherheitsoffiziere kaum zu behelligen.
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