Umbenannt

A–Z Dass nichts für die Ewigkeit ist, haben nicht nur die Bürger von Fugging bewiesen, deren Ort zweimal den Namen wechselte. Oder auch der Musiker Prince. Unser Lexikon
Ausgabe 12/2021
Umbenannt

Foto: Mladen Antonov/AFP/Getty Images

A

Adalbert Gleich zweimal ist Siegburg bei der Beschriftung eines Straßenschildes am Vornamen eines österreichischen Schriftstellers, Malers und Pädagogen gescheitert: Das Schild in der Adalbert-Stifter-Straße hatte Moos angesetzt. Im ersten Anlauf verkürzte der zuständige Baubetriebshof ihn zu „Albert“. Beim zweiten Versuch verwechselte man a mit e zu „Adelbert“ ( Zwei).Mittlerweile sei der Fehler behoben, erklärte ein Sprecher der Stadt. Die Kosten hielten sich in Grenzen: Die korrekten Buchstaben wurden aufgeklebt. Die Stadt nahm es mit Humor, gestand den Fehler in einem Newsletter ein und zitierte den Biedermeier-Autor: „Es regnet viele Tropfen, eh man Einsicht gewinnt, und Jahre vergehen, ehe man weise wird.“ Spiegel, Bild-Zeitung und Deutschlandfunk Kultur berichteten. Auch eine Form von Erinnerungskultur. Ich heiße Alberti. Wie Albert. Mit i. Adalberti wäre eine Alternative. Sarah Alberti

C

Chemnitz 1953 wurde die wenig glamouröse Industriestadt Chemnitz in Sachsen vom damaligen DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl in „Karl-Marx-Stadt“ umbenannt. Wegen der starken Traditionen der Arbeiterbewegung und den Leistungen der Stadt beim Neuaufbau, hieß es. Als Geschenk gab es ein paar Jahre später einen gewaltigen Karl-Marx-Schädel, ein tonnenschweres Monument, realisiert nach Entwürfen des russischen Künstlers Lew Kerbel. Es wurde Chemnitz’ Wahrzeichen. Dabei war Chemnitz nur die dritte Wahl. Ursprünglich war Eisenhüttenstadt vorgesehen, aber dann starb Stalin. Das auf der Wunschliste des Zentralkomitees folgende Leipzig blieb wegen seiner Messetradition und der vorgesehene Rolle als Tor zur Welt von einer Umbenennung verschont. So mussten sich nun die Chemnitzer des Namens des Theoretikers als würdig erweisen. Zur Rückbenennung gab es 1990 eine Befragung, bei der 76 Prozent der Einwohner dafür stimmten, dass die Stadt ihren alten Namen zurückbekommt. Elke Allenstein

E

Ernst Moritz Arndt Seit Juni 2018 ist es amtlich. Der Name der Ernst-Moritz-Arndt-Universität wurde zu „Universität Greifswald“ geändert. Ein langer Kulturkampf schien beendet, losgetreten 2009 von Studierenden der Universität (➝ Radebeul). Sie sahen in dem 1769 auf Rügen geborenen vermeintlichen Freiheitskämpfer und Paulskirchen-Abgeordneten Arndt, einst selbst Student und Professor in Greifswald, nur noch einen Antisemiten und Kriegsverherrlicher. Umso lauter fiel 2018 der Aufschrei der Befürworter aus, die am Namen festhalten wollten.

Eine Bürgerinitiative sah pommerisches Erbe bedroht, der Historiker Götz Aly brandmarkte ein „Werk von Geschichtsexorzisten“, die Kanzlerin war über die Umbenennung „einigermaßen fassungslos“. Warum eigentlich? Hermann Göring verlieh 1933 als preußischer Ministerpräsident der Universität den Titel. Unter Demagogen war Arndt einer der einflussreichsten, mitverantwortlich für die Etablierung antisemitischer Stereotype künftiger Rassisten. Arndt forderte einen germanischen Nationalstaat, ein Universitätsverbot für „Juden“, Aberkennung der Staatsbürgerschaft bei Heirat mit Ausländerinnen. Gegen die „dekadenten“ Franzosen rief Arndt zum Krieg auf. Helena Neumann

F

Fugging Das kleine Fugging liegt in Oberösterreich. Obwohl es nur 100 Einwohner hat, ist es weit über die Katastralgemeinde Hofstatt hinaus bekannt. Das liegt an dem Namen, den die Bürger erst voriges Jahr ablegten: Fucking. Ja, worüber eigentlich nur Pennäler lachen, wurde den Fuggingern zur Last. Sie begründeten die Entscheidung damit, dass immer wieder Ortsschilder gestohlen wurden. Vielleicht war ihnen die Prominenz einfach ein bisschen peinlich. Ein Berliner Unternehmen vertreibt ein Bier unter dem Namen „Fucking Hell“, das nach dem Ort benannt ist, um den anstößigen Namen zu rechtfertigen. Es ist nicht die erste Umbenennung: Aus Fuking war 1829 Fucking geworden. Übrigens sind Bewohner anderer Gemeinden weniger schamhaft. Im grenznahen Deutschland kann man die Ortschaften Ficker, Kitzler, Blasen und Tittenkofen abklappern. Tobias Prüwer

G

GEZ Nachdem der Eintreiber mit einem Blumentopf beworfen wurde, fragt ihn am Abend die Frau nach seinem Tag. Er, verletzt, aber diebisch lächelnd: „Am Anfang haben sie sich ein bisschen gesträubt, aber am Schluss haben sie alle gezahlt.“ Kaum zu glauben: Das war ein echter Spot für die „Gebühreneinzugszentrale“. Das Wort-Ungetüm wurde 2013 zum „Beitragsservice“, die Gebühr zum „Rundfunkbeitrag“ ( Marken). Das einst selbst protegierte Image vom harten Eintreiber ließ sich aber nicht mit weichen Vokabeln austreiben. Konstantin Nowotny

H

Heike Seltsam, meinen „richtigen“ Namen überhaupt zu tippen. Ich fand ihn immer blöde und öde, vor allem in Kombination mit dem Rheinischer-Adel-Nachnamen Schmitz ( TAFKAP). Heike klang nach Bankkauffrau, und Bankkauffrau wollte ich nicht werden. Im Schüleraustausch nannte mich der schöne Alexandre „Eikö“. Später, als Au-pair, sollte mir das nicht wieder passieren. Nach Paris ging ich mit dem Namen meiner Oma, auf Französisch: Catherine. Die Katharina auf allen offiziellen Dokumenten erforderte eine Löschung der Heike im Namensregister, das traute ich mich aber nie, Katholiken sind abergläubisch. Meine Mutter nennt mich bis heute Heike, und Teile dieser Heike fühle ich heute stärker in mir, was schön ist. Katharina Schmitz

M

Marken Neue Namen gehören seit jeher zu Unternehmen. Man denke an den Mars-Werbespruch: „Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix.“ Eine Umbenennung kann allerdings viel bewirken. So wird etwa versucht, Marken reinzuwaschen: Der Mutterkonzern des Philip-Morris-Tabakkonzerns wurde 2003 in Altria umgetauft, um sich vom Marlboro-Image zu befreien. Monsanto ist seit der Übernahme von 2018 Geschichte und zählt zu Bayer, Klageverfahren in den USA erinnern weiter an die alte Marke. Überfällig ist die Umbenennung von Marken mit diskriminierenden Namen. Manche Umbenennung soll Markennamen griffiger und dadurch bekannter machen. Als sich 1911 drei Tech-Firmen zur „Computing-Tabulating-Recording Company“ zusammenschlossen, klang das kaum eingängig. 1924 folgte die Umbenennung zur „International Business Machines Corporation“, kurz: IBM. Oder kennen Sie noch AuctionWeb, Confinity & X.com und BackRub? So hießen früher eBay, PayPal und Google. Ben Mendelson

P

Plastikwörter Wer trauert, ist nicht einfach mit einem negativen Gefühl beschäftigt, sondern muss Trauerarbeit leisten. Ein pflegebedürftiger Mensch benötigt nicht Unterstützung, ihm werden Hilfsbedarfe zugewiesen, im Rahmen des Case-Managements. Und die Beratungsgesellschaft übernimmt jede Kanalisierung von Entscheidungen, die am Ende „informiert“ erscheinen sollen. „Plastikwörter“ hat Uwe Pörksen diese aus der Wissenschaft in die Alltagssprache eingewanderten, semantisch diffusen, aber Aura ausstrahlenden Begriffe genannt. Sie breiten sich auch in der Sphäre des Sozialen aus, wie ein von Reimer Gronemeyer und Charlotte Jurk herausgegebenes Kritisches Wörterbuch über die Sprache in Pflege und sozialer Arbeit belegt. Oft abgeleitet vom Management-Sprech, behaupten sie Professionalität und sind Ausdruck der Forderung nach sozialtechnologischer Effizienz, die an „Dienstleister“ und „Kunden“ gestellt wird. Zu den neuesten Kreationen zählt das „Impfangebot“, das das Arsenal gesundheitspolitischer Offerten bereichert. Ulrike Baureithel

R

Radebeul Vielerorts wird über Umbenennung von Straßen mit problematischen Namen diskutiert. So befassen sich die Stadträte in Erfurt mit dem Nettelbeckufer, das einen Kolonialisten ehrt, jene in Leipzig diskutieren über die Arndtstraße, benannt nach einem Nationalisten und Antisemiten (➝ Ernst Moritz Arndt). Während man in Köln über eine sogenannte „Mohrenstraße“ streitet und in Berlin deren Umbenennung beschlossene Sache ist, baut man sie in Radebeul einfach mal aus. In der Stadt nahe Dresden wurde ebenfalls die Forderung laut, die Straße mit dem M-Wort umzubenennen. Bisher wurde nicht einmal darüber diskutiert, das rassistische Label zu tilgen. Dafür beschloss der Stadtrat kürzlich, diese Straße sogar um einen Abschnitt zu verlängern – gegen den Widerspruch von SPD, Linken und Grünen. Der Bürgermeister meinte, das sei aus formalen Gründen unumgänglich gewesen.

Überhaupt sei der Name nicht abwertend. Das M-Wort verwende heute doch keiner mehr, erklärte er dem Spiegel. Das ist nicht nur ein skurriler Streit um Wörter, wie manche Beobachter meinen. Was sich in Radebeul einmal mehr zeigte, ist das hochbrisante Zusammenspiel von CDU und AfD in der Lokalpolitik, wo die Christdemokraten keine Berührungsängste zu extrem rechten Positionen haben. Vielleicht sollte sich die Union im Freistaat umbenennen. Denn mit der CDU will sie offensichtlich nichts zu tun haben – seit längerer Zeit tritt sie vor allem als „Die Sächsische Union“ auf. Tobias Prüwer

T

TAFKAP Als Warner Records das Black Album von Prince 1994 endlich veröffentlichte, war das Verhältnis zwischen Konzern und Genie schon schwer gestört. Bereits am 7. Juni 1993, seinem 35. Geburtstag, verkündete Prince, er heiße von nun an nicht mehr Prince. Im Showbusiness eine Art Selbstentleibung. Auslöser war wohl der Wunsch der Plattenfirma, ein Greatest-Hits-Album des Meisters zu veröffentlichen. Prince sah sich in seiner künstlerischen Freiheit eingeschränkt und reagierte konsequent. Er verkündete, er werde sich in ein unaussprechliches Symbol umbenennen. „Love Symbol #2“ ließ er urheberrechtlich schützen. Das Symbol war ein frühes Beispiel von Genderneutralität. Prince trat mit dem Schriftzug „Slave“ im Gesicht auf und wurde raunend „The Artist“ genannt. Bis er 2000 wieder Prince heißen wollte, behalf man sich mit dem Akronym TAFKAP (The Artist Formerly Known As Prince). „TAFKA“ wird seither als Begriff bei der Umbenennung von Nicknames im Netz verwendet. Marc Ottiker

Z

Zwei Der deutsche Titel von Sergio Leones legendärem Western Il buono, il brutto, il cattivo lautet Zwei glorreiche Halunken. Lange habe ich mich gefragt, wen sie da unter den Tisch haben fallen lassen, den von Lee Van Cleef verkörperten „Bösen“ (il cattivo) oder den von Eli Wallach gespielten „Hässlichen“ (il brutto)? Die Praxis der Filmverleiher, Titel weniger zu übersetzen als in der Tat umzubenennen, wird oft verlacht, hat aber lange Tradition. Statt sich darüber aufzuregen, dass Taken hier 96 Hours heißt, sollte man vielleicht auch mal Positives hervorheben. Inspirierte Ideen wie Leichen pflastern seinen Weg zum Beispiel, für den im Original vergleichsweise schnöden Il grande silenzio. Barbara Schweizerhof

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