Ende November 2003 hat die Opposition in Venezuela erneut Unterschriften gesammelt, um ein Referendum zur Abberufung von Hugo Chávez zu erzwingen. Nicht der erste Versuch, den Präsidenten auf diesem Wege zu stürzen. Und auch diesmal hegt die Regierung Zweifel am korrekten Ablauf der Unterschriftenaktion. Doch liegt die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens beim Nationalen Wahlrat (CNE), wie das die Verfassung vorschreibt, sagt Ana Elisa Osorio, die seit zwei Jahren dem Kabinett von Chávez angehört.
FREITAG: Wie beurteilen Sie die Chancen der Opposition, ein Referendum gegen Chávez zu erzwingen?
ELISA OSORIO: Wichtig ist, dass es sich bei einer solchen Abstimmung um ein demokratisches Mittel handelt, das zunächst einmal mit der Verfassung in Einklang steht. Die Möglichkeit, ein Referendum einzuberufen, ist eine der Säulen der bolivarianischen Konstitution, die entscheidend Hugo Chávez zu verdanken ist und 2000 in Kraft trat. Während der Krise im Jahr 2002 hatte der Präsident der Opposition immer wieder vorgeschlagen, ein Referendum einzuberufen. Nur wurde das Angebot ausgeschlagen und stattdessen im April ein Putsch inszeniert. So gesehen ist die jetzige Kampagne für ein Referendum ein demokratischer Fortschritt. Zugleich mehren sich die Spannungen, weil die Chávez-Gegner ihre Konditionen diktieren wollen.
Bezogen auf den Ablauf des Referendums?
Ja, darin besteht der Konflikt. Die Verfassung sieht zwei Arten von Referenden vor: Während der ersten Hälfte der Amtszeit eines Mandatsträgers kann ein beratendes Referendum anberaumt werden, erst danach besteht die Möglichkeit zu einer Abstimmung, deren Ergebnis zu Neuwahlen führen kann. Führende Oppositionspolitiker wollen nun schon jetzt - noch bevor die halbe Amtszeit des Präsidenten vorüber ist - ein sogenanntes Abberufungsreferendum. Als sich Regierung und Wahlbehörde dagegen aussprachen, wurde ihnen diktatorisches Verhalten vorgeworfen. Mit anderen Worten: Wir werden attackiert, weil wir die Verfassung verteidigen.
Weshalb kann ein politischer Streit derart ausufern, wenn die Rechtslage so klar ist?
Weil die Opposition dank ihrer Medienunternehmen massiv Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen kann. In Venezuela gibt es eine Handvoll privater Verlagshäuser und Fernsehsender, die gegen die Regierung polemisieren. Und es stimmt leider, dass eine Unwahrheit irgendwann als "wahr" erscheint, wenn man sie nur oft genug wiederholt. Wir haben teilweise erhebliche Schwierigkeiten, dieser Propaganda entgegenzuwirken. Auch weil sie sich auf internationaler Ebene fortsetzt.
Ende Januar wird nun der Nationale Wahlrat über die Gültigkeit der Unterschriften entscheiden.
So ist es, wobei wir momentan eine heftige Debatte über die Gültigkeit der Unterschriftensammlung haben, die Ende November begann, weil die Organisatoren vier Tage lang Unterschriften zusammentragen wollten. Das haben wir abgelehnt, denn es hätte einem Missbrauch des Verfahrens Tür und Tor geöffnet. Dann gab es das Verlangen, die Bürger an den Haustüren unterschreiben zu lassen. Wie zu erwarten, kam es dabei zu Unregelmäßigkeiten: Die Unterschriftensammler, die von Tür zu Tür zogen, haben ihre Listen nicht täglich abgegeben, wie es Vorschrift gewesen wäre. Zahlreiche "Unterzeichner" beschwerten sich später, weil sie tatsächlich nie unterschrieben hatten. Es gab Regierungsgegner, die fuhren von einer Wahlkabine zur nächsten, um mehrmals zu unterschreiben. Insassen von Seniorenheimen wurden zum Teil gegen ihren Willen zu den Wahlkabinen gefahren. Sogar die Namen Verstorbener tauchten auf den Listen auf. All das wird nun der Nationale Wahlrat (CNE) untersuchen. Die Organisatoren behaupten, sie hätten mehr als drei Millionen Unterschriften zusammengetragen - wir bezweifeln das und verweisen auf zahlreiche Beschwerden und teilweise nachgewiesene Unregelmäßigkeiten. Sollte allerdings der CNE der Gegenseite Recht geben, werden wir ein Referendum haben.
Würde die Opposition auch eine Niederlage einstecken? Immerhin hat sie den Nationalen Wahlrat als unabhängige Instanz akzeptiert.
Die überwiegende Mehrheit dieser Leute hat im Verlauf des Konfliktes leider bewiesen, dass sie notfalls auch zu undemokratischen Mitteln greifen, um ihre Ziele zu erreichen. Das gilt besonders für die gewaltbereiten Teile der Opposition, die auch hinter dem Putschversuch vom April 2002 standen. Es gibt Anzeichen dafür, dass sie erneut die öffentliche Ordnung destabilisieren wollen, um im dadurch geschaffenen Chaos die Regierung zu übernehmen.
Welchen Sinn hat dann das Referendum noch?
Wie ich gesagt habe: Es ist ein durch die Verfassung verbrieftes Recht, das wir als Regierung anbieten und verteidigen müssen, wollen wir glaubhaft bleiben.
Mit welchem Beschluss des Nationalen Wahlrates rechnen Sie?
Natürlich hoffe ich auf eine demokratische Entscheidung. So wie die Dinge derzeit liegen, habe ich aber ernsthafte Zweifel, ob die Opposition tatsächlich mehr als drei Millionen Unterschriften gesammelt hat.
Glauben Sie an einen friedlichen Ausgang des politischen Konflikts in Venezuela?
Bis jetzt fehlt es dafür an der Bereitschaft der Opposition. Letzten Endes aber muss eine friedliche Lösung möglich sein.
Das Gespräch führte Harald Neuber
Ein Beispiel für die Methoden der bürgerlichen Medienkonzerne Venezuelas: Auf der Titelseite der Tageszeitung Tal cual ist Präsident Chávez mit einer automatischen Neun-Millimeter-Pistole in der linken Hand zu sehen. "Täuschen Sie sich nicht", wird Chávez in dem neben stehenden Text zitiert, "die Revolution ist bewaffnet". Das Foto ist nicht als Montage gekennzeichnet, entstanden war es einen Tag zuvor, als Chávez im Präsidentenpalast Miraflores sprach. Eine Gruppe Frauen hatte ihm als Zeichen ihrer Solidarität eine rote Rose geschenkt, die er in der Hand hielt, als er über Manuela Saenz sprach, eine Kampfgefährtin von Simón Bolívar.
Wann müsste Chávez gehen?
Abwahlreferendum - 3.757.777 Stimmen sind zu überbieten
Laut Verfassung, Artikel 72, besteht in Venezuela die Möglichkeit, ein Referendum zur Abwahl der Präsidenten abzuhalten, dafür sind allerdings Voraussetzungen erforderlich, die erfüllt werden müssen, so die:
- Wahl eines Obersten Wahlrates durch die Nationalversammlung (Artikel 296 der Verfassung);
- die Festlegung allgemeiner Regeln zur Durchführung des Referendums (Artikel 293);
- eine Aktualisierung der Liste aller Wahlberechtigten (ebenfalls Artikel 293).
Laut Verfassung kann ein Referendum zur Destitution des Präsidenten eingeleitet werden, sofern sich 20 Prozent der Wahlberechtigten per Unterschrift dafür aussprechen. Da die Gesamtzahl aller Wahlberechtigten derzeit bei etwa 12.720.000 Personen liegt, müssten demnach etwa 2.540.000 Stimmen gesammelt und dem Wahlrat vorgelegt werden. Wird dieses Quorum erreicht, sind für das Referendum selbst folgende Voraussetzungen bindend:
- die Präzisierung der Fragestellung;
- die Bestimmung des Zeitpunktes;
- die Logistik.
Vom Ergebnis her würde ein Referendum nur dann eine Absetzung des Präsidenten zur Folge haben, wenn die Zahl der gegen ihn abgegebenen Stimmen über der Zahl der Stimmen liegt oder mit dieser übereinstimmt, die der Amtsinhaber bei seiner letzten Wahl erreicht hat. Das hieße: Für Hugo Chávez hatten bei der Wahl im Juli 2000 3.757.777 der Wahlberechtigten gestimmt. Sollte bei einem Referendum dieses Ergebnis durch die Zahl der gegen ihn votierenden Venezolaner erreicht oder übertroffen werden, wären ein Rücktritt und Neuwahlen unausweichlich.
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