Vater des Schwertes

PHILIPPINEN Eine Spurensuche in Sachen "islamischer Terror" und in Sachen Feindbildpflege

Mit dem Geiseldrama auf den Philippinen steht besonders die Gruppe "Abu Sayyaf" im Blickpunkt, die sich als eine Art Speerspitze des Unabhängigkeitsstrebens der Moslem-Bevölkerung der Moros im Süden des Landes betrachtet. Doch die Forderung nach einem eigenen Staat - der Bangsamoro Republic - wurde nach dem erfolgreichen Unabhängigkeitsreferendum vom August 1999 in Osttimor besonders von der mittlerweile bedeutsamsten Organisation, der Moro Islamic Liberation Front (MILF), lautstark vertreten. Seit Ende Oktober 1999 bereits befindet sich die MILF unter Führung des an der Kairoer Al Azhar-Universität ausgebildeten Hashim Salamat offiziell in Friedensverhandlungen mit der Regierung.

Seit Monaten kommen auf Mindanao bei Schießereien zwischen rivalisierenden Einheiten philippinischer Marines und Nationalpolizisten oder bei Zusammenstößen zwischen kriminellen Banden fast täglich Menschen ums Leben. Seit Monaten werden philippinische und chinesische Geschäfsleute als Geiseln von unterschiedlichen Gruppierungen festgehalten, massiert gleichzeitig die philippinische Armee in Zentralmindanao Eliteeinheiten, die einen von Präsident Estrada erklärten "totalen Krieg gegen die Moro-Rebellen" führen. Wer also über in Gefahr geratene ausländische Touristen redet und allein die Geiselnahme dreier deutscher Staatsbürger zu Topnews hochstilisiert, sollte wenigstens über die Kriegslüsternheit beschränkter Politiker und ambitionierter Militärs nicht vollends schweigen, wenn es um die Suche nach den Ursachen der Geisel-Tragödie geht.

Seitdem der in Afghanistan untergetauchte ideelle Gesamtterrorist Osama bin Laden vom State Department auch der Unterstützung des Moro-Widerstandes im Süden der Philippinen verdächtigt wird, gehört die Abu-Sayyaf-Group (ASG) zu den 28 vom Pentagon aufgelisteten "internationalen Terrororganisationen" und wird als "nationales Sicherheitsrisiko" eingestuft. Dabei eignet sich das Feindbild "Islam" - besser noch: "islamischer Fundamentalismus" - vorzüglich, um bestimmte diplomatische und militärische Zwecke zu befördern. Indes sind westliche Medien - so sie sich denn der Moro-Problematik überhaupt widmeten - nie auch nur auf die Idee gekommen, frühere und heute noch agierende paramilitärische christliche Sekten auf den Philippinen, die zur "Stärkung ihrer Abwehrkräfte" die Leber getöter Moslems rituell verzehren, als "christliche Fundamentalisten" zu bezeichnen.

Mindanao und der Sulu Archipel im allgemeinen und die Moros im besonderen lassen sich nicht in das Raster eines religiösen Konflikts zwängen - vielmehr offenbaren sich im Willen zur Unabhängigkeit die Konsequenzen von externem Kolonialismus und interner Kolonisierung. Nach dem Ende der spanischen Kolonialära (1898), während der US-amerikanischen Besatzungszeit (1898-1946) und seit der Marcos-Herrschaft (1966-1986) gingen Landraub, Plantagenwirtschaften transnationaler Konzerne, rücksichtslose Umweltzerstörung und Militarisierung einher mit gravierenden demographischen Verschiebungen in jenen Regionen, die einst mehrheitlich muslimisch oder von Lumad (den indigenen Völkern auf Mindanao) bewohnt waren. Manila protegierte die Ansiedlung christlicher Siedler aus nördlichen und zentralen Landesteilen, die recht bald nahezu sämtliche Schlüsselstellungen im Süden besetzten.

Eine Renaissance des bewaffneten Kampfes war die Folge, an dessen Spitze sich - damals unangefochten - die Moro National Liberation Front (MNLF) unter Führung des lange Zeit in Libyen im Exil lebenden Nur Misuari gestellt hatte. Als jedoch Misuari und der damalige Präsident Fidel Ramos am 2. September 1996 in Manila ihre Unterschrift unter ein Friedensabkommen setzten, kam es zum offenen Konflikt zwischen der MNLF und MILF, deren Führung Misuari Kapitulation vorwarf. So bescherte das September-Abkommen der MILF einen beträchtlichen Zulauf desillusionierter MNLF-Mitglieder.

Die MILF und die erstmals im März an die Öffentlichkeit getretene jüngste Abspaltung der MNLF, den sogenannten MNLF-Islamic Command Council (MNLF-ICC), sämtlich über einen Kamm zu scheren und sie des "Fundamentalismus" und "Terrorismus" zu zeihen, mag penetranter Ignoranz entspringen. Für die Betroffenen hat das fatale Folgen, weil mittels derartiger Feindprojektionen reale Politik betrieben wird. Der Claretianer-Pater Roel Gallardo - eine der 28 Geiseln, die von der Abu-Sayyaf-Group seit Wochen auf der Insel Basilan (zwischen Mindanao und Jolo) gefangen gehalten werden - brachte es auf den Punkt. Dem Korrespondenten der Zeitung Philippine Daily Inquirer sagte er am 26. April: "Ihr (die Militärs - R.W.) bombardiert uns, nicht die bewaffneten Männer, die uns hier festhalten. Wir sterben vor Angst, wir können nicht schlafen und können auch nicht fliehen - wegen der andauernden Militäroperationen. Ich glaube, wir werden nicht durch Kugeln, sondern aus Furcht sterben." - Wer und was aber steckt tatsächlich hinter Abu Sayyaf (wörtlich: "Vater des Schwertes")? Die Gruppe bildete sich Mitte der achtziger Jahre - eine Abspaltung ebenfalls von der MNLF, als deren Vorsitzender Nur Misuari mit der Marcos-Nachfolgerin Corazon Aquino über Friedensperspektiven verhandelte. Gründer war der Islam-Schüler Abdurajak Abubakar Janjalani, der Ende 1998 während eines Feuergefechts mit der Armee erschossen wurde - seither hat dessen Bruder Khaddafi Janjalani die Führung übernommen. Hauptoperationsbasis der etwa 1.000 Mann starken, überwiegend aus Yakan rekrutierten Mitglieder ist Basilan, wobei sich der militante Charakter der ASG aus einem Islamverständnis speist, dass den jihad - den Heiligen Krieg - in den Vordergrund rückt. Bei einem ASG-Angriff auf den Ort Ipil starben 1995 50 Menschen.

Unbestritten ist auch, dass zumindest in der Vergangenheit die Gruppe vom Geheimdienst durchsetzt war. Im Januar 1999 - einen Monat nach dem Tod Abubakar Janjalanis - fand Edwin Angeles den Tod, ein zum Islam übergetretener Feldkommandeur, der Anfang der neunziger Jahre Militäroperationen der Abu Sayyaf befehligt und diese dann 1995 verlassen hatte. Bis heute konnte nie ganz geklärt werden, ob nicht auch Lokalpolitiker und Militärs direkt oder indirekt das "Business" des Kidnapping protegierten und weiter protegieren. Auf alle Fälle blieb bislang die Unterstützung für die ASG ebenso dürftig wie ihr politisches Programm. Zu Wochenbeginn erklärte MILF-Sprecher Iqbal gegenüber diesem Korrespondenten: "Wer Zivilisten als Geiseln nimmt, verfolgt keine politischen, sondern kriminelle Anliegen." Gleichzeitig kündigte er an, die eigentlich für den 2. Mai vorgesehene Fortführung der Friedensverhandlungen in Cotabato City zunächst auszusetzen: "Eine Regierung, die eine militärische Eskalation des Konflikts betreibt, nimmt den Frieden offensichtlich nicht ernst genug."

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