Vereinigte Bonbon-Staaten of Whatever

Ausstellung Vorläufigkeit, nicht Vergänglichkeit ist der Schlüssel zum Werk des Kubaners Felix Gonzales-Torres. Das MMK in Frankfurt zeigt "Specific Objects without Specific Form"

Der Künstler Felix Gonzalez-Torres ist bei Kuratoren sehr beliebt – etwa bei der Frankfurter Kuratorin Elena Filipovic. Das liegt auch daran, dass er programmatisch „Kunst für alle“ zu machen gewillt war. „Alle“ ist wörtlich zu nehmen: Kinder und Liebhaber von Süßigkeiten dürfen sich sogar bedienen an den Bonbons, die der Künstler zu Bonbon-Bergen oder rechteckigen Bonbon-Teppichen geformt hat. Das Aufsichtspersonal ersetzt die entnommenen Bonbons. Die Skulptur ist also nie fertig und verändert sich permanent, wenn Besucher zugreifen.

Wohlwollende haben die Bonbon-Installationen als Monumente der Vergänglichkeit mit der Biografie des Künstlers kurzgeschlossen. Gonzalez-Torres wurde 1957 in Kuba geboren, zog nach Spanien und kam 1979 nach New York. Er war Aktivist in der Schwulenbewegung, 1991 starb sein Freund Ross Laycock an Aids wie Gonzalez-Torres selbst fünf Jahre darauf. Seinen Installationen gab der Künstler oft nur Untertitel und erklärte einmal, alle Werke seien Geschenke und Erinnerungen an Ross. Dies und die Tatsache, dass Gonzales-Torres oft Objekte zu Paaren formte, interpretierte man als Hommage an den Tod, der Liebende trennt.

Wer jedoch die sich ständig wandelnden Bonbon-Skulpturen mit den Ideen von Vergänglichkeit und Tod assoziiert, gerät in den Bereich des Frivolen: Der sich verändernden Bonbon-Skulptur werden frische Ersatz-Bonbons zugeführt, während dem Toten allenfalls Götter neue Ressourcen verschaffen könnten und dem Überlebenden die Erinnerung bleibt. Präziser als mit der Idee von Vergänglichkeit bringt man das Werk wohl mit Vorläufigkeit in Zusammenhang. In Frankfurt lässt man sich darauf ein: Am 18. März richtet der Tänzer und Künstler Tino Sehgal die Ausstellung neu ein.


Die Arbeiten von Gonzalez-Torres sind der minimal art und der conceptual art verpflichtet, wobei der Künstler die Reduktion radikalisiert, wie der Titel der Frankfurter Ausstellung andeutet: Specific Objects without Specific Form. Das ist eine riskante Zuspitzung, denn formlose Kunst wäre die Negation von Kunst. Der auch politisch ausbuchstabierte Anspruch, „Kunst für alle“ zu machen, gerät durch den formal rabiaten Reduktionismus in Gefahr, sich zu verflüchtigen oder beliebig zu werden, etwa wenn Gonzalez-Torres auf einem Schriftband zwischen Wand und Decke wichtige Daten aus „seinem“ Leben aneinanderreiht – von der Wasserstoffbombe (1954) über ein Supreme-Court-Urteil (1986) bis zur Wahl Obamas (2008 durch den Kurator ergänzt). Beliebigkeit droht anderen Installationen. Die Bonbons einer Skulptur sind in blau-weiß-rotes Papier eingewickelt. Ihr „Titel“ lautet Untitled (USA today) – allerdings trägt die Flagge Kubas dieselben Farben!

Formal am überzeugendsten ist eine Installation. Sie besteht aus 12 vertikal und horizontal ausgelegten Lichterketten mit warmem Licht aus 15-Watt-Glühbirnen, die in einem großen Raum und durch die Spiegelung in den Fensterscheiben eine fast magische Stimmung erzeugen. Ein explizites Erinnerungswerk an Ross trägt den Titel 5. 3. 1991, den Todestag, und zeigt zwei verbundene Glühbirnenfassungen, die von einem Nagel in der Wand herunter hängen. Das Spartanische der Installation trägt das Pathos der Trauer.

Felix Gonzales-Torres Specific Objects without Specific Form Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/Main, bis 25. April

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