Verkehrte Welt

Prediger der Deregulierung Die Politik stellt die Banker an den Pranger und verschleiert so ihre eigene Mitschuld an der Krise

Banker-Bashing ist gerade sehr in. Die maßlose Gier nach schnellem hohem Profit wird beklagt. Wären nur die Manager der Geldbranche mehr am langfristigen Erfolg ihrer Kreditinstitute als an ihrem eigenen kurzfristigen Erfolg orientiert und würden sie sich ethisch korrekt verhalten - die Finanzmarktkrise wäre zu vermeiden gewesen, suggeriert man uns.

Nun muss man die Banker wirklich nicht in Schutz nehmen, die Kritik an ihnen ist berechtigt. Aber wenn Politiker sie so heftig kritisieren, wollen sie damit nur den eigenen Anteil an der Krise verschleiern. Die ausschließliche Beschäftigung mit der Krise und den Rettungsaktionen, deren Notwendigkeit von niemand grundsätzlich bestritten wird, greift viel zu kurz. Nicht die Krise ist das eigentliche Problem, sondern das "ganz normale Funktionieren" der Finanzmärkte. Die Schäden für Millionen von Menschen richten sie gerade dann an, wenn sie "normal" funktionieren.

Und die Voraussetzungen dafür, dass das kapitalistische System, in dem wir leben, immer mehr von den Finanzmärkten getrieben wird, sind von der Politik gesetzt. Den jetzt von ihnen beklagten Raubtierkapitalismus haben Politiker trotz vielfältiger Warnungen erst herbeigeführt. Wir dürfen es nicht zulassen, dass sie sich mittels kräftiger Banker-Schelte aus der Verantwortung stehlen.

Ich höre noch die vielen Stimmen im Finanzausschuss des Bundestages: Wenn wir den Handel mit Derivaten nicht zulassen, wird er anderswo stattfinden und der Finanzplatz Deutschland wird unbedeutend. Das war die ständige Parole bei der Zulassung der "innovativen Instrumente" und von Hedge-Fonds; sie erklang ebenso, als der steuerlichen Begünstigung von Private-Equity-Gesellschaften der Weg geebnet wurde. "Standortpolitik" war auch das Motto bei der sich unter Rot-Grün beschleunigenden Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte. 2003 wurden Verbriefungen - also die Finanzinstrumente, welche die Krise unmittelbar ausgelöst haben - von der Regierung aus SPD und Grünen in der Bundesrepublik zugelassen. Die "Deutschland AG" sollte aufgelöst werden, darum wurde die Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne unter dem SPD-Finanzminister Hans Eichel eingeführt - gegen alle Proteste in der Arbeitsgruppe Finanzen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Es war ein immenses Steuergeschenk auch für jene Private- Equity-Fonds, die Franz Müntefering später als Heuschrecken titulierte.

Liberalisierung und Deregulierung waren seit Jahrzehnten das Credo der Politik bis weit in die SPD hinein. Und nicht einmal das Platzen der New-Economy-Blase, vor dem Kritiker gewarnt hatten und dafür ausgelacht wurden, brachte sie zur Besinnung.

Doch jetzt, verkehrte Welt: Von Angela Merkel über Peer Steinbrück bis zu Guido Westerwelle - die ehemaligen Prediger der freien Märkte sprechen neuerdings, als wären sie Attac beigetreten. Sie verlangen mehr Transparenz und mehr Kontrolle der Finanzmärkte sowie Veränderungen bei den Gehältern von Managern und beklagen deren fehlende Haftung. Dabei war es doch die rot-grüne Bundesregierung, die es nach dem lautstarken Einspruch der Wirtschaftsverbände und dem Rat des Heinrich von Pierer, ehemals hoch angesehener Siemens-Chef, nicht wagte, einen Gesetzentwurf einzubringen, der eben diese Managerhaftung installieren sollte. Das Verdikt des damaligen SPD-Kanzlers schlug durch: "Ich kann keine Politik gegen die Wirtschaft machen." Es war die Kapitulationserklärung der Politik gegenüber den Wirtschaftsverbänden.

Nun hören wir große Worte. Aber schon das Rettungspaket selbst ist verzagt: Wenn der Interbankenverkehr stockt, weil sich die Institute gegenseitig nicht trauen, muss man ihnen die Bürgschaft aufzwingen. Alle Banken sollten an die Kandare genommen werden. Die Bezüge aller Bankmanager müssen gekürzt werden und nicht nur jene der hilfsbedürftigen Institute unter gewissen Umständen. Die Teilverstaatlichung aller Banken muss sicherstellen, dass das Geld der Steuerzahler wieder zurück kommt.

Nein, das "Rettungspaket" ist kein erster Schritt, wie die Kanzlerin uns glauben machen will. Vielmehr steht zu befürchten, dass man die Finanzmärkte wieder gewähren lässt, falls das "Rettungspaket" zur Beruhigung führt.

Notwendig ist jetzt die sofortige Einführung einer Besteuerung aller Arten von Finanztransaktionen auf europäischer Ebene, um die Spekulation zu reduzieren und die Kurzfristorientierung der Finanzmärkte zu schwächen.

Ein von Attac schon lange geforderter Finanzmarkt-TÜV muss eingerichtet werden, der neue Finanzinstru­mente standardisiert und prüft, bevor sie gehandelt werden dürfen. Das heißt auch, dass manche "Innovation" nicht eingeführt werden kann.

Das Schattenbankensystem aus Hedge-Fonds, Zweckgesellschaften und anderen unregulierten Finanzakteuren gehört verboten, Steueroasen müssen ausgetrocknet werden. Eine Sonderabgabe auf große Vermögen kann dafür sorgen, dass die Kosten der Krise nicht beim Steuerzahler hängen bleiben.

Die Deregulierung der Finanzmärkte und die Agenda-Politik der SPD haben zu einer massiven Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von den Löhnen zu den Kapitaleinkünften geführt. Dieser Reichtum wurde nur zum Teil investiert. Der Milliarden-Rest strömte auf den Finanzmarkt, wo er von Hedge-Fonds und Investmentbanken aufgesaugt wurde und nun seinerseits mit seinen hohen Profiterwartungen die Realwirtschaft dominiert. Umgekehrt wäre es richtig: In der Produktionswirtschaft werden die Werte geschaffen, die Finanzmärkte müssen ihr dienen.

Dass vieles nur auf europäischer Ebene oder international geregelt werden kann, etwa im Rahmen eines neuen Bretton-Woods-Systems, darf nicht die längst möglichen nationalen Maßnahmen bremsen. Dazu müssen keineswegs nur die jetzt viel kritisierten Banker umdenken - vor allem die Politik ist gefragt.

Detlef von Larcher, geboren 1937, war von 1990 bis 2002 sozialdemokratischer Bundestagsabgeordneter. Der Sozialwissenschaftler trat 1969 in die SPD ein, war Mitglied des Parteirates und in seiner Parlamentszeit im Finanzausschuss tätig. Im April 2008 schloss ihn die SPD aus, nachdem er zur Wahl der Linkspartei aufgerufen hatte. Seit 2002 engagiert sich Detlev v. Larcher beim globalisierungskritischen Netzwerk Attac.

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