FREITAG: Wird der Parteitag in Münster für Führung und Reformer der PDS zum politischen Waterloo?
ANDRÉ BRIE: Es ist nicht ausgeschlossen, dass es eine Niederlage gibt. Viel wichtiger aber scheint mir, dass die Partei in ihrer gesamten Entwicklung zurückgeworfen werden kann. Wir sind als Partei nicht für uns selbst da, sondern erstens dafür, dass es in Deutschland endlich eine dauerhafte und politisch einflussreiche sozialistische Kraft gibt. Zweitens haben wir reale Politik zu machen und die enormen Probleme unserer Wählerinnen und Wähler ernst zu nehmen. Gnade uns Gott, wenn wir sie enttäuschen!
Was soll da der Streit um UN-Militäreinsätze?
Auch hier geht es im Kern um die neue Verantwortung der PDS in dieser Gesellschaft. Wir können nur noch mit politischer Kompetenz und mit einer alternativen Funktion im politischen Wettbewerb bestehen und nicht mehr, wie in der Vergangenheit, einfach mit dem Anderssein und der reinen Protesthaltung oder gar mit Selbstisolation. Es geht um die Politikfähigkeit der PDS insgesamt, um unsere Bereitschaft und Fähigkeit, sich dieser Gesellschaft zu öffnen.
Kritiker nennen das Anpassung und Aufgabe des systemkritischen Profils.
Das Gegenteil ist richtig. Nur unter diesen Bedingungen kann solch ein Profil jenseits schöner Papiere überhaupt entwickelt werden.
Wenn man die Heftigkeit des Streits verfolgt, gewinnt man Eindruck, die PDS fühle sich sicher über der Fünf- Prozent-Hürde.
Wir haben komfortabelste Umfragewerte. Aber ohne eine neue Qualität, ist die Existenz der Partei alles andere als sicher.
Warum dann der Zoff um Militäreinsätze? Das ist doch eine Marginalie. Oder will die PDS nur ehrlich sein und solchen Streit austragen, bevor es zu spät ist?
Ich halte das tatsächlich für unnötigen und falschen Streit. Niemand in der PDS stellt antimilitaristische Positionen oder die kritische Haltung zur NATO in Frage. Unklar ist nur, ob wir bereit sind - was ja riskant ist - konkrete, realistische Politik zu machen. Die UNO-Kontroverse ist von den Verweigerern konkreter Analyse nur vorgeschoben, um bewusst oder unbewusst die PDS in die ideologische Nische der Folgenlosigkeit zurück zu ziehen.
Und das geht so leicht, weil das Thema emotional besetzt ist, weil hier so viel DDR-Vergangenheit mitschwingt?
Ja. Hier ist vieles nicht verarbeitet, gibt es ganz ehrliche Sehnsüchte und ganz legitime Ängste. Etwa die, abzurutschen wie SPD oder Grüne. Und trotzdem wappnet man sich gegen einen solchen Prozess nicht mit Verweigerung gegenüber den Widrigkeiten von Politik.
Grundsatzpositionen sind das eine. Aber kann eine Partei es sich leisten, Denkverbote auszusprechen?
Das ist verheerend. Und die Diffamierung derjenigen, die in der PDS nach neuen Wegen unter grundlegend veränderten Bedingungen suchen, ist mindestens genau so verheerend für die gesamte politische Kultur der Partei. Das wird sich für alle, auch für jene, die jetzt scheinbar profitieren, bitter rächen.
Kann man diesen Streit dann überhaupt noch austragen?
Der Streit muss ausgetragen werden. Und zwar darüber, wie das Verhältnis von notwendigen Grundsätzen, programmatischen Visionen und realpolitischen Zwängen aussieht und welche Konsequenzen das für Politik hat. Aber nicht auf Kosten der Politik, sondern mit dem Ziel, Politik so zu entwickeln, dass sie uns den Grundsätzen und Visionen näher bringt.
Das heißt?
... in einer Situation, da sich die EU militarisiert und Washington die UNO an den weltpolitischen Rand drängen will, kann doch eine Linkspartei nicht ins selbe Horn stoßen, sondern muss sich an die Spitze der Verteidiger dieser letzten Barriere demokratischen Völkerrechts stellen.
Und warum kann die PDS das nicht?
Da fehlt es einfach an Zutrauen und vielleicht auch an der Fähigkeit, die SED wirklich grundlegend hinter sich zu lassen. Deren Politikverständnis war ja, wir beschließen etwas, und dann wird es durchgeführt. Aber wir müssen und wollen mit Andersdenkenden Politik machen und zwar unter Bedingungen, die wir nicht bestimmen.
Wie also sollte der Streit ausgehen?
Es kann nur sein, dass jeder Fall einzeln geprüft wird. Oder sollen wir vielleicht nicht mehr analysieren, bevor wir entscheiden?
Darüber hinaus gibt es keine Kompromissformel?
Der Kompromiss kann darin bestehen, auf der einen Seite echte Anti-Kriegspositionen der PDS zu definieren, die aktuell und konkret sind. Auf der anderen Seite sollten wir so viel Vertrauen in unserer gewählten Politikerinnen und Politiker haben, dass diese im Einzelfall prüfen dürfen.
Hätte eine Niederlage des Vorstandes personelle Konsequenzen?
Nein. Die wird erst der nächste Parteitag mit der Neuwahl des Vorstandes ziehen. Und wie die ausfällt, ist offen.
Gregor Gysis langes Schreiben an die Delegierten liest sich da aber anders.
Gysi hat immer gesagt, dass er nicht für jede Politik als Aushängeschild zur Verfügung steht. Aber er ist ein Mann, der gegenüber der PDS mit größtem Verantwortungsbewusstsein handelt.
Dem Vorstand steht in Münster ein zweiter Kraftakt bevor: Die Begrenzung der Amtszeit soll gelockert werden. Ist die Personaldecke der PDS so dünn?
Sie ist größer geworden, aber gemessen an den Anforderungen im Bund, den Ländern und vor allem in den Kommunen, bleibt sie dramatisch klein. Wenn wir das kurzfristig aufgeben, noch dazu ohne eine Strategie des Generationenwechsels in der PDS, dann stellen wir die Basis der PDS, die Grundlage ihrer bisherigen Stärke, in Frage.
Die Parteibasis scheint damit überfordert.
Nein, die Basis sollte mehr Selbstvertrauen haben. Sie hat alle zwei Jahre die Chance, die Funktionäre der PDS zu wählen, sie hat alle vier Jahre die Chance, die richtigen Leute für den Bundestag und für die Landtage zu nominieren. Sie kann wirklich über die richtigen Leute dafür sorgen, dass diese Partei sozialistisch und in einer differenzierten, modernen Weise auch antikapitalistisch bleibt.
Wenn Gysi mit Landowsky redet und dabei auch Gemeinsamkeiten findet, fassen sich viele Genossen entsetzt an den Kopf.
Man kann mit diesen Leuten reden und auf einigen Gebieten sogar gemeinsame Politik machen, ohne sich selbst zu verraten. Die PDS muss lernen, gerade angesichts ihrer Vorgeschichte, den politischen Pluralismus in der Gesellschaft ernst zu nehmen und als Chance zu begreifen. Im Europäischen Parlament ist es gang und gäbe, dass jemand wie Hans Modrow auch mit Konservativen zusammenarbeitet. Ich wünschte mir, dass eine solche politische Kultur bei uns auch Einzug hielte.
Der Eindruck ist, dass die Basis genau dabei nicht recht mitzieht.
Ich glaube nicht, dass es dabei um die Basis geht, eher um einige, die sich zu ihrem Sprecher erklärt haben.
Das Gespräch führte Torsten Wöhlert
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