Wechsel

Debatte Soll Wolf Biermann Berliner Ehrenbürger werden?

Erinnerungspolitik ist ein schmutziges Geschäft. Wer heute zum Spaß noch einmal in den Protokollen der Hearings zum Berliner "Holocaust-Mahnmal" nachblättert, dürfte nachträglich das Grausen packen, mit welch harten Bandagen sich damals die diversen Lager bekämpften. Die Hoffnung, es könne in einem derartigen Prozess kollektiver Selbstvergewisserung einmal sauber, würdig, gar gerecht zugehen, verkennt, wie sehr sich Erinnerung von Subjektivem, Partikularem und politischem Kalkül leiten lässt.

Die Idee, Wolf Biermann die Ehrenbürgerwürde der Stadt Berlin zu verleihen, gehört ebenfalls in diese Kategorie. Mit ihrem Vorstoß verfolgen die Berliner CDU und Marianne Birthler gewiss auch lautere Absichten. Ihr Initiator, der Abgeordnete Uwe Lehmann-Brauns pflegte schon vor der Wende viele Kontakte in die DDR. Es ist also nicht nur Taktik im Spiel bei dieser Idee. Identitätspolitik ist der CDU deswegen trotzdem nicht fremd. Die Union will sich als natürliche Verbündete aller Freiheitskämpfer und Dissidenten und als Lordsiegelbewahrerin des "antitotalitären Konsenses" profilieren. Doch sie hat auch lange gebraucht, bis sie die Ressentiments der Berliner Kriegerwitwen überwinden und die deutsche Antifaschistin Marlene Dietrich als Ehrenbürgerin vorschlagen konnte. Und natürlich will sie mit Biermann den Renegaten belobigt sehen. Genauso geht es den Initiatoren der Umbenennung eines Teils der Berliner Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße um eine gezielte Provokation: die des bürgerlichen Milieus nämlich mit einem expliziten Bürgerschreck.

So weit, so normal also. Wenn die Verleihung der Ehrenbürgerwürde kein so belangloser symbolischer Akt bleiben soll wie bei den Bundespräsidenten und Bundeskanzlern, die grundsätzlich zu Ehrenbürgern Berlins werden, sondern ein inhaltlicher, ein bedeutsamer, muss eine offene Diskussion um die Vor- und Nachteile einer Person möglich sein. Das ist nicht kleinlich oder provinziell, es hat nichts mit "Intrigantentum" oder "Blamage" zu tun, wie Kulturstaatsminister Bernd Neumann meinte, es ist schlicht und einfach demokratisch. Die Debatte hat gerade einem "diskreten" Ritual das Leben der Diskursöffentlichkeit eingehaucht und verschwommene Fronten klären helfen. Im übrigen fällt die Ehrenbürgerschaft nicht automatisch einer zeitenthobenen Größe zu, die wir kleinen Popel des Volkes in den Parlamenten nur noch nachträglich mit historischem Schaudern notariell zu beglaubigen hätten.

Die Lebens-Stationen des Sohnes kommunistischer Antifaschisten, die im KZ ermordet wurden, die Biografie dieses genialen Liedermachers werden den Ausschlag gegeben haben bei der überraschenden Kehrtwende der SPD für die Ehrenbürgerschaft. Das ist schon der Stoff, aus dem Legenden gemacht werden. Und neben dem Bild des legendären Kölner Konzerts von 1976 kurz vor seiner Ausbürgerung hat sich das Bild Biermanns vor dem "preußischen Ikarus" auf Berlins Weidendammer Brücke tief ins kollektive Bildgedächtnis eingeprägt. Doch gerade wenn er mit dieser Kombination aus Herkunft, Furchtlosigkeit und Kunst ein Idol der Linken, ein "Hoffungspunkt für viele junge Menschen" war, wie Zeit-Herausgeber Michael Naumann für die DDR-Zeit zu Recht hervorhebt, sollte die Frage kein geringes Gewicht erhalten, wie ein solcher Mann auf die Jugend von heute wirkt.

Auch Ehrenbürger sind Menschen in ihrem Widerspruch. Wer jedes Wort von ihnen auf die Goldwaage legt, müsste Michail Gorbatschow und Ronald Reagan wahrscheinlich aus der Berliner Liste streichen. Über den naiven Optimismus, mit dem Biermann einst die Wahl von François Mitterand als "Revolution" bejubelt hat, kann man heute entspannt lächeln. Schwieriger wird es schon bei seinem naiven Militarismus. Biermann stand für das Ideal einer anderen Sprache als der von Macht und Gewalt. Um so mehr schmerzte sein später Paradigmenwechsel zur Waffe. Sind seine Bekenntnisse zum Irak-Krieg ("Wollt ihr den totalen Frieden?") mit seinen Tiraden gehen die "falschen Pazifisten" nur situationsbedingte "Übertreibungen" und Großmäuligkeiten, über die großzügig hinwegzusehen sind? Soll man Schulklassen, die dereinst an der Bildergalerie der Ehrenbürger im Roten Rathaus vorbeiziehen, die Widersprüche dieses Heroen der Zivilgesellschaft mit den Worten erklären: "Das ist der Mann, der Erich Honecker die Stirn geboten und die DDR zu Fall gebracht hat. Später hat er für einen Waffengang geworben, der sich als Kriegsverbrechen herausgestellt hat."?


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden