Alle Welt kennt inzwischen die Fotos von der weißen amerikanischen Soldatin in lässigem Armee-Outfit, die nackte arabische Männer sexuell demütigt und in Todesangst versetzt. Ihr Name fehlte in der ersten Woche nach Veröffentlichung der Aufnahmen in fast keiner Nachrichtensendung und in kaum einem Zeitungsartikel zum Folterskandal im Irak. Und während wir die Namen der anderen sechs bislang vom Dienst suspendierten Militärpolizisten bis zum Beginn der gegen sie angestrengten Prozesse bestenfalls beiläufig gelesen oder gehört hatten, wussten wir bereits allerlei irrelevante Details über die 21-jährige Reservistin Lynndie England. Etwa dass sie aus einem Provinznest in West Virginia kommt, dass ihr Vater bei einer Eisenbahngesellschaft beschäftigt war, dass sie selbst Meteorologin werden möchte, dass ihre Ehe schon nach kurzer Zeit wieder geschieden wurde und - diese Meldung wurde besonders viel sagend platziert - dass sie jetzt schwanger ist. Neben den Bildern, auf denen sie mit einer imaginären Maschinenpistole, die Kippe im Mundwinkel, auf die Genitalien eines zur Masturbation gezwungenen Gefangenen zielt oder einen am Boden liegenden nackten Mann wie an einer Hundeleine hält, präsentierten viele Medien das so genannte "zweite Gesicht" der Lynndie England: Auf einem Foto sehen wir sie sehr brav und feierlich in Ausgehuniform und mit Barrett vor einer amerikanischen Flagge, wohl bei ihrer Vereidigung. Ein anderes zeigt sie - Gefängnisgitter im Rücken - in verliebter Pose mit ihrem muskulösen Freund, dem als Dienstältesten der Kompanie die Aufsicht über jenen Zellentrakt oblag, aus dem die Folterbilder ungeplant an die Öffentlichkeit gelangten. Auf diesem Erinnerungsfoto trägt die junge Gefreite anscheinend das gleiche T-Shirt und die gleiche Kampfhose wie bei der vor der Kamera inszenierten Entwürdigung der Gefangenen. Unwillkürlich sinnieren wir über den zeitlichen Abstand, in dem diese Aufnahmen entstanden.
Frauen, so die indirekte Botschaft solcher bildlicher Gegenüberstellungen, ist nicht zu trauen. Sie mögen ganz harmlos wirken, doch ehe Mann sich versieht, setzen sie sich womöglich über die ihnen von Anstand und Sitte gesetzten Grenzen hinweg - und dann ist ihnen nichts mehr heilig. "Da werden Weiber zu Hyänen und treiben mit Entsetzen Scherz", wusste schon Friedrich Schiller, als er 1799 in seinem von Generationen deutscher Gymnasiasten auswendig gelernten Lied von der Glocke bedrohliche Nebeneffekte der Französischen Revolution plastisch ausphantasierte. Gewaltanwendung von Frauen ist ein doppelter Normverstoß. Gewalttäterinnen brechen - wie die erheblich größere Zahl männlicher Gewalttäter auch - (gesetzliche) Regeln menschlichen Zusammenlebens. Darüber hinaus aber setzen sie sich über ein traditionsreiches, weit verbreitetes Frauenbild hinweg. Sie untergraben den Glauben an die beruhigende Annahme, Frauen seien von Natur aus das friedfertige, fürsorgliche Geschlecht.
Besonders skandalös wird ihre Gewalt, wenn sie sich gegen Männer richtet. Als "Flintenweiber" denunzierte man in Deutschland während des Zweiten Weltkriegs Partisaninnen und bewaffnete Frauen der Roten Armee. Mit der Lockerung der Geschlechtsexklusivität im militärischen Männerbund schien der Kriegsgegner zusätzlich diskreditiert, sexuellen Phantasien und Unterstellungen waren Tür und Tor geöffnet. Während der Prozesse gegen NS-Verbrechen in der unmittelbaren Nachkriegszeit fand die Anklage gegen Ilse Koch, die Ehefrau eines Lagerkommandanten des KZ Buchenwald, besondere Aufmerksamkeit. Zeugen artikulierten archaische Ängste, als sie aussagten, die Kommandantengattin habe tätowierte männliche Häftlinge töten, häuten und Lampenschirme aus Menschenhaut anfertigen lassen. Die Tatsache, dass sich Aussagen und Beweise später als nicht haltbar erwiesen, änderte nichts an der öffentlichen Empörung über die "Hexe von Buchenwald". Die Herabsetzung ihrer Strafe durch die amerikanische Besatzungsmacht stieß auf wütenden Protest, was die sonst ausgesprochen Amnestie beflissene, junge Bundesrepublik kurz darauf zum Anlass nahm, Ilse Koch erneut zu lebenslanger Haft zu verurteilen.
Frauen, die Männer foltern und töten oder dies veranlassen, wird oft unterstellt, sie täten dies mit (perverser) Lust. Da sie Männern körperlich sowie an Macht und Ansehen unterlegen seien, nähmen sie um so heimtückischer und sadistischer Rache. Lynndie England macht es Anhängern eines solchen Generalverdachts leicht. Ihr Grinsen auf den Fotos ließ bereits vermuten, was sie jetzt freimütig der New York Times gestand: Dass sie - wie allerdings ihre männlichen Kollegen auch - die selbstfabrizierte Gewaltpornographie amüsant gefunden habe. Ihre Bereitwilligkeit, bei den sexuellen Erniedrigungen mitzutun, kam denjenigen gerade recht, die den großenteils willkürlich verhafteten Irakern "Geständnisse" über Terrorpläne entlocken und endlich Erfolge vermelden wollen. Denn in amerikanischen Armee- und Geheimdienstkreisen geht man davon aus, dass nichts geeigneter sei, die Selbstachtung eines muslimischen Mannes zu brechen, als ihn zu effeminieren, zu homosexuellen Handlungen zu zwingen und dabei ausgerechnet von einer Frau verhöhnen zu lassen. Den Erfindern solcher Vulgär-Ethnopsychologie scheint nicht bewusst zu sein, welch tiefe Einblicke sie damit in ihre eigenen Vorstellungen vom Geschlechterverhältnis sowie ihre pornographischen Bildwelten geben. Doch das nur nebenbei. Eine Frau jedenfalls, die mitwirkt bei der Übertragung pornographischer Rollentausch-Spiele in gewalttätige Realität, ist nicht nur für sensationsbedürftige Medien ein gefundenes Fressen. Sie ist für diese Sorte Folter als Täterin und Komplizin unentbehrlich und kann schließlich, wenn das Ganze auffliegt, von den Verantwortlichen mit einiger Aussicht auf Erfolg als entgleiste Exzesstäterin und bedauerliche "unamerikanische" Ausnahmeerscheinung gebrandmarkt werden.
Warum tut eine Frau da mit? Unser ungläubiges Entsetzen verkennt, was wir zumindest über Männer in gewalttätigen Situationen aus historischen Fallstudien und (moralisch fragwürdigen) empirischen Experimenten eigentlich längst wissen: Eine Ausnahme bilden nicht diejenigen, die Aufforderungen zum Quälen nachkommen, sondern umgekehrt die wenigen, die sich ihnen widersetzen. Die Verpflichtung gegenüber einem als legitim akzeptierten Autoritätssystem kennt kaum Grenzen; Anpassungsbereitschaft, Arbeitsteilung, Routinen und der Wunsch, kein "Kameradenschwein" zu sein, verhindern Mitgefühl mit den Opfern; Rassismus und Verrohung in Kriegszeiten tun ein übriges. Warum sollte gerade die (in der Regel niederrangige) weibliche Minderheit in Militär und Polizei mehr Mut aufbringen, sich abseits zu stellen, und den anderen die Schändlichkeit ihres Tuns vor Augen führen? Frauen, die sich freiwillig ins Militär melden, werden dort mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht durch "weibliche Friedfertigkeit" hervorstechen wollen. Und in jedem Fall wäre es naiv anzunehmen, Soldatinnen könnten durch ihre bloße Anwesenheit männliche Kollegen vom Foltern und Vergewaltigen abhalten. Wollte man Folter und Kriegsverbrechen wirklich verhindern, müsste man die Unumstößlichkeit der Menschenrechte klarstellen, autonome Moralentscheidungen begünstigen, Konformitätsdruck abbauen und Feindbildern entgegen arbeiten. Das Gegenteil geschieht, wenn ein Präsident versichert, keiner "seiner" Soldaten werde sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten müssen. Oder wenn eine schlecht ausgebildete 21-jährige Rekrutin als Gefangenenwärterin in ein überfülltes Militärgefängnis im besetzten Irak geschickt wird.
Insofern war Lynndie England in der Tat zur falschen Zeit am falschen Ort, wie sie gegenüber ihrer Mutter vor Wochen am Telefon gesagt haben soll. Zurückgeschickt in die USA erschien sie zum ersten Fernseh-Interview im kniefreien Blümchenkleid, wohl um ihre Rückverwandlung in eine nette Frau von nebenan zu demonstrieren. Und vielleicht hätte sie wirklich nie einem Menschen ein Härchen gekrümmt, wenn George W. Bush nicht mit Hilfe einer fragwürdigen Stimmenauszählung Präsident der Vereinigten Staaten geworden wäre oder wenn sich beim besten Willen kein Vorwand für einen Einmarsch in den Irak hätte finden lassen. All dies enthebt Lynndie England indes nicht ihrer persönlichen Schuld, in Abu Ghraib verbrecherische Aufforderungen als bindende Befehle interpretiert und wehrlose Menschen gequält zu haben. Auch nachträglich scheinen ihr keine nennenswerten Bedenken gekommen zu sein. Dennoch ist es fehl am Platz, sie als "Folterhexe" (so Bild) zu dämonisieren und damit die bestürzende Durchschnittlichkeit weiblicher Gewalttäter zu verkennen. Die skandalisierende Personalisierung dieser Verbrechen lässt in Vergessenheit geraten, dass weltweit die meiste sexuelle Gewalt - zumal im Krieg - von Männern an Frauen verübt wird. Nicht etwa, weil die Selbstachtung der weiblichen Opfer gebrochen werden soll, sondern zu allererst, um die "Frauenbesitzer" zu demütigen oder ihre ethnische Gruppe zu "verunreinigen" beziehungsweise zu dezimieren. Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, die uns unermüdlich an solche strategischen Massenvergewaltigungen erinnern, können keineswegs mit dem gleichen Medieninteresse rechnen. Liegt das wirklich nur an den Fotos? Es bleibt abzuwarten, wie groß das öffentliche Entsetzen sein wird, wenn sich unter den von Donald Rumsfeld angekündigten "unschönen" weiteren Bildern ("I can tell you: they are not pretty!") auch solche von Vergewaltigungen irakischer Frauen durch amerikanische Männer befinden.
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