Eine Fernsehanstalt ist keine Schraubenfabrik, die man einfach dicht macht - und das war's dann ...«, glaubte Michael Albrecht, der letzte Intendant des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin-Adlershof, während eines Interviews Ende 1991. Da türmte sich vor seinem Bürofenster schon der Abwicklungsschrott - vom ausgeschlachteten Ü-Wagen bis zur geborstenen Filmbüchse, die zu Rost und Schutt abgemagerte Wirklichkeit einer todgeweihten Anstalt. Neun Jahre später teilt das »Ostfernsehen« längst das Schicksal so mancher Schraubenfabrik im einstigen Sendegebiet - es ist schlichtweg verschwunden. Auf dem einstigen Fernsehgelände im Südosten Berlins wurden Studios, Fundus, Kameralager, Kopierwerk, Redaktions- und Verwaltungsgebäude,
bäude, Kostümwerkstatt und Kantine flächendeckend abgerissen. Eine Brache aus Rollrasen und Rhododendron verschluckt jede Erinnerung an einen Medienstandort, der sich von seinen Dimensionen her einmal mit der Filmstadt Babelsberg messen konnte.Dem Adlershofer Sender schlug die Stunde, als vor zehn Jahren mit Artikel 36 des Einigungsvertrages die Auflösung von Hörfunk und Fernsehen der DDR spätestens bis zum 31. Dezember 1991 beziehungsweise deren Überführung in föderale Strukturen bestimmt wurde. Bekanntlich unterstellt das Grundgesetz Hörfunk und Fernsehen einer Hoheit der Länder. Insofern galten nach dem 3. Oktober 1990 die »zentralistischen Strukturen« des DFF als nicht mehr verfassungskonform, sahen sich die fünf neuen Bundesländer (im Prinzip auch Berlin) aufgefordert, spätestens bis zum 1. Januar 1992 neue Anstalten im Anschlussgebiet zu etablieren. Dafür gab es Varianten, die von Ein- bis zu Mehr-Länder-Gebilden (unterschiedlichen Zuschnitts) reichten. Nur eine Option schien a priori obsolet: Den DFF entweder selbst als dritte öffentlich-rechtliche Anstalt in Deutschland neben ARD und ZDF weiterzuführen oder eine Spielart zu wählen, bei der sich die neuen Länder per Staatsvertrag dazu entschlossen hätten, eine gemeinsame Fünf-Länder-Anstalt zu gründen (etwa einen ODR nach dem Muster des NDR) und Adlershof als Produktionsstätte zu erhalten. Damit wäre dem Osten eine medienpolitische Eigenständigkeit zugeflogen, die alle sonstigen Gebräuche des Anschlusses lustbetont karikiert hätte. Nach derart hingebungsvoller Selbstverleugnung stand den Conquistadores nicht der Sinn. Die Neuordnung der Rundfunklandschaft Ost geriet statt dessen von Anfang an zur Chefsache. Als »Rundfunkbeauftragter« war auf Wunsch Helmut Kohls der einstige Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks, Rudolf Mühlfenzl (CSU), ausersehen, der einer Lesart des Artikels 36 anhing, die auf kompromisslose Liquidierung des Ostfernsehens hinauslief.Damit bot sich die Gelegenheit zu einer medienpolitischen Landnahme sondergleichen. »Wer jetzt nicht tanzt, der ist selber schuld«, sang vor zehn Jahren Franz Josef Degenhardt. Und sie tanzten alle, so dass kam, was kommen musste - und bis heute keiner so recht gewollt haben will. Entgegen wirtschaftlicher Vernunft wurde die ostdeutsche Rundfunklandschaft nach den schon damals als verschlissen geltenden westdeutschen Mustern gepflügt und - vor dem Hintergrund der Konkurrenz zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern - eine Chance für Reformen verspielt, bei denen der Osten ein Modell für den Westen hätte sein können. Viele Medienfachleute - und nicht nur sie - hatten seinerzeit mit Nachdruck davor gewarnt, die ARD durch mittlere und kleine Sender - bis hin zu Ein-Länder-Anstalten - aufzublähen und sich Neugründungen einzuhandeln, die absehbar am Tropf des ARD-Finanzausgleich hängen würden.Doch was tatsächlich zu erleben war, darf vor allem im Süden der Ex-DDR den Anspruch erheben, ein Paradebeispiel für die Etablierung staatsfrommer und parteiabhängiger Anstalten zu sein. Dies wurde überdeutlich, als das erste Leitungstableau des im Mai 1991 begründeten Mitteldeutschen Rundfunks (Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt) bekannt wurde: Der bis heute residierende Intendant Udo Reiter kam vom CSU-dominierten Bayerischen Rundfunk (BR), zum Fernsehdirektor wurde der umstrittene Tagesschau-Chefredakteur Henning Röhl (CDU) geschlagen, zum Funkhauschef in Magdeburg Ralf Reck, ebenfalls CDU. Seine Amtskollegin in Dresden hieß Ulrike Wolf und besaß das gleiche Parteibuch. Der für den Osten bis dato unbekannte »Ticket-Journalismus« trieb seine Sumpfblüten, aber die Transformation bot nun einmal ideale Voraussetzungen, um durch Personalentscheidungen vollendete Tatsachen zu schaffen. Bereits im März 1990 (!) hatte Bernd Neumann als medienpolitischer Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion unter der Headline »Medienfragen sind Machfragen« heuchelnd gewarnt, »dass die CDU vielleicht hinter runterfällt«, wenn im Osten zur großen medienpolitischen Absahne getrommelt wird.Während also die politische Begehrlichkeit vor Gesundheit nur so rot- oder schwarzbäckig strotzte, blieb die ökonomische Rationalität eher blass. Das zeigte sich besonders, als Mitte 1991 das Projekt einer Mehrländer-Anstalt für den Nordosten (NORA) - bestritten von Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern - auftauchte und prompt scheiterte, bevor es auch nur ansatzweise an Kontur gewinnen konnte. Die CDU/FDP-Kabinett in Schwerin betrachtete einen Schulterschluss mit dem »roten« Brandenburg und dem Moloch Berlin als Sakrileg. Vor allem aber der Sender Freies Berlin sah bei einer solchen Gemengelage seine aus der Ära des Kalten Krieges ererbte Exklusivität schwinden. Potsdam-Babelsberg wollte man sich bestenfalls als Dienstleister in der Mark gefallen lassen, der dem Hauptstadtkanal das Wasser reicht, aber nicht abgräbt. Der SFB litt nun einmal darunter, dass der »Kalte Krieg« zwar gewonnen, aber als Lebensform leider verloren war. Für Brandenburg schien so die Gründung einer »schlanken und effizienten Anstalt« allemal attraktiver als die Cohabitation mit Berlin (das trotz hoher Verschuldung des SFB seine Ein-Länder-Anstalt behielt), auch wenn dabei ein finanzielles Kostgängertum am ARD-Häppchen-Buffet in Aussicht stand. Insofern war am 1. Januar 1992, als die neuen Sender starteten, alles andere als ein medienpolitischer Urknall zu hören, sondern eher die Folgen einer ökonomisch kleinteiligen und politisch grobschlächtigen Gründerlaune zu besichtigen.