Wir brauchen Arte von unten

Im Gespräch Der Fernsehmacher Friedrich Küppersbusch hält die Qualitätsdebatte für einen elitären Diskurs alter Männer

FREITAG: Der Fernsehstar Marcel Reich-Ranicki hat sich bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises über die schlechte Qualität des Programms sehr aufgeregt. Verstehen Sie ihn?
FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH: Als Feuchtgebiet am anderen Ende der Altersskala kann Reich-Ranicki schon mal auf den Putz hauen. Damit erfüllt er die Erwartungen an seine Entertainerqualitäten. Ich habe mich bei seinem Auftritt eher fremdgeschämt. Der Widerspruch war ja so offensichtlich: Er wusste als einziger seit vier Wochen, dass er diesen Fernseh-Otto kriegt, hat aber erst am Abend der Aufzeichnung gemerkt, in welche Lustigbude er da geraten ist. Als Literaturkritiker hat er Großes geleistet, aber als Fernsehschaffender, naja. Das "Literarische Quartett" war doch eher Rock´n´Roll in der Herbstsonne.

Seither arbeiten sich Politik und Medien wieder an einer Qualitätsdebatte ab. Zu Recht?
Was die öffentlich-rechtlichen Sender angeht, beobachte ich mit großem Unverständnis, dass eine kleine Elite von Hoch- und Höchstgebildeten die Rundfunkgebühren von Millionen von Leuten kidnappt, um damit die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Diese Art der Bevormundung einer großen Mehrheit von Gebührenzahlern ist krass undemokratisch.

Sie gestalten als Fernsehschaffender das Programm mit. Was bedeutet für Sie Qualität?
Zwar lässt sich der deutsche Markt stark von Formaten aus den USA, Großbritannien und den Niederlanden inspirieren, umgekehrt verkaufen sich viele Sendungen wie etwa "Schlag den Raab" oder "Wetten, dass ...?" in zahlreiche andere Länder. Für unser Format "Raus aus den Schulden" mit Peter Zwegat wurden Lizenzen bis nach Indien nachgefragt. Das darf man schon auch als Indiz für Qualität werten. Aber klar, für Reich-Ranicki ist das Testbild gute Qualität, denn damit kann niemand fernsehen und sich somit nicht verbilden.

Fernsehen hat nicht nur einen Bildungsauftrag, sondern auch einen zur Unterhaltung?
Mich stört, dass eine selbst ernannte Elite meint, den moralischen Notstand erklären zu dürfen, weil sie nicht über das Programm bestimmen darf - das genau hat Reich-Ranicki versucht. Ein Putsch der Zwanzigsemester - das können sie mal versuchen, es wird nicht funktionieren. Und wo bleibt der Spiegel der Debatte, wie sie gerade geführt wird - eine gesellschaftliche Diskussion darüber, warum öffentlich-rechtliche Sender oft hochnäsig an der Masse der Gebührenzahler vorbei senden. Reich-Ranicki bezahlt nicht mehr Gebühren als ein weniger gebildeter Hartz-IV-Empfänger. Warum hat er mehr zu sagen? Wir bräuchten Arte von unten.

Was bedeutet das im Umkehrschluss für die privaten Sender? Die senden nun nicht auf höchstem Niveau.
Der Politik ist es leider bei der Einführung des kommerziellen Fernsehens misslungen, die Aufgabe so zu lösen, dass die Privaten auch und vor allem im journalistischen Bereich konkurrieren müssen. Es gibt weltweit keinen anderen Markt, der zur Hälfte im Besitz kommerzieller Anbieter ist, die aber kaum journalistische Formate haben. RTL macht eine Nachrichtenstrecke und das auch gut und erfolgreich. Und das war´s. Kein Tom Brokaw, Ted Koppel, Tim Sebastian, Jerry Paxman, Larry King, keine Reportagen, keine politischen Magazine, keine Nachrichtenlegenden. Bei uns gibt es zwar Peter Kloeppel, aber dahinter niemanden. Wenn Sat.1 einen Anchorman vom ZDF holt und nach einem Jahr wieder feuert, weil Journalismus leider Geld kostet, schreit auch ein Reich-Ranicki nicht auf.

Würden sich journalistische Formate denn rechnen?
Mich stört die scheinbar gesetzte Verteilung der Formate zwischen Privaten und Öffentlich-Rechtlichen. Das ist eine Besonderheit am deutschen Markt. In unserer Produktionsfirma gehen wir von einer anderen Hypothese aus. Am Ende des Tages würde jeder auch in der ARD eine gute Unterhaltungssendung gucken - was möglich wäre, wenn Harald Schmidt Lust dazu hätte. Umgekehrt fände auch eine gute journalistische Sendung auf RTL oder Sat.1 ihr Publikum. Und letzteres nehme ich für "Raus aus den Schulden" in Anspruch. Es geht ja. Das größte Problem an der Debatte ist aber doch, dass es ein Diskurs der alten Männer ist. Das bisschen Fernsehen, das junge Leute interessiert, gucken sie auf Youtube.

Das Internet führte bei Reich-Ranicki erst recht zu einem Wutausbruch.
Das ist eine bescheuerte Diskrepanz, nicht wahr? Die Wagnerianer des Bildungsfernsehens finden das Niveau dort grässlich und mein 17-jähriger Sohn fragt mich, warum Fernsehen so unglaublich bildungsbürgerlich überfrachtet sein muss. Aber wenn öffentlich-rechtlicher Rundfunk ein Werkzeug zur Organisation des gesellschaftlichen Diskurses ist, dann scheitern wir zur Zeit gerade daran, für weite Teile der Bevölkerung nicht mehr interessant zu sein. Mit den Patentrezepten von Reich-Ranicki werden wir die nicht gewinnen.

Das Gespräch führte Susanne Lang

Friedrich Küppersbusch war Fernsehjournalist (ZAK) und ist mit seiner Firma Probono Fernsehproduzent (Raus aus den Schulden).

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