FREITAG: Vor einem halben Jahr haben Sie geäußert, Sie würden sich als Ökologe bei den Grünen sehr einsam fühlen. Sie plädieren jetzt dafür, Umweltpolitik wieder ins Zentrum zu stellen. Sollen die Grünen zu ihren Wurzeln zurückkehren?
REINHARD LOSKE: Ich finde, wir sollten zu unseren Grundüberzeugungen und Ursprungsideen stehen. Aber es geht um mehr, denn die Größe der ökologischen Herausforderungen ist immens gewachsen. Die Bedrohungen sind wesentlich größer als bisher angenommen. Wenn man sich zum Beispiel die Berichte vom IPCC* über den Klimawandel anschaut oder Berichte über die Entwicklung der biologischen Vielfalt und den Zustand der Meere, kann man doch sagen: die Aufgaben sind gewaltig. Wenn jetzt nicht gehandelt wird, dann können wirklich große Katastrophen auf uns zurollen. Und ich will, dass die Grünen diese Aufgaben verkörpern, dass sie diejenigen sind, die diese Herausforderung in den politischen Raum tragen und aggressiv dafür werben, dass mehr geschieht als heute.
Nach dem Entwurf des IPCC-Berichts zum Klimawandel wäre die Klimakatastrophe nicht mehr aufzuhalten. Bis zum Jahr 2100 könnte sich das Klima um drei Grad erwärmen. Droht uns ein Zeitalter der Katastrophen?
Das ist kein Automatismus. Wir werden uns mit Anpassungen an Klimaveränderungen in Zukunft verstärkt auseinandersetzen müssen, gerade in Küstenregionen und in der Landwirtschaft. Aber bloßer Katastrophismus führt nur zu Lähmung. Unsere Hauptaufgabe ist, den Klimawandel so weit wie möglich in Grenzen zu halten - das geht nämlich! Und zwar mit erneuerbaren Energien, Energieeinsparung, Energieeffizienz oder auch umweltverträglichen Formen der Land- und Forstwirtschaft.
Bei Einhaltung des Kyoto-Protokolls würden die Industriestaaten ihre Emissionen bis 2010 nur um fünf Prozent reduzieren. Angesichts des Wachstums in den Schwellenländern könnten die globalen Emissionen sogar steigen. Sind die Ziele des Kyoto-Protokolls überholt?
Zunächst wäre es schön, wenn wir sie erreichen würden, das ist vorerst das wichtigste. Die meisten Länder, auch die, die das Kyoto-Protokoll ratifiziert haben, sind weit davon entfernt. Kyoto ist aber auch nur ein erster Schritt. Perspektivisch brauchen wir ein KyotoPlus, neue anspruchsvolle Ziele über 2012 hinaus. Erste Amtshandlung der Bundesregierung für den deutschen EU-Ratsvorsitz im nächsten Jahr sollte sein, ein neues nationales Klimaziel zu beschließen: die Emissionen bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren. Die EU kann dann für den gleichen Zeitraum minus 30 Prozent vereinbaren. Außerdem müssen weitere Staaten ins Kyoto-Protokoll einbezogen werden, vor allem die USA und die großen Entwicklungsländer wie China oder Indien. Solange Bush regiert, ist ersteres zwar hoffnungslos, weil mit ihm automatisch die Öl-, Kohle- und Automobillobby regiert, aber nach einem Regierungswechsel 2008 könnte sich das drehen. Und es sollten weitere Sektoren ins Kyoto-Protokoll aufgenommen werden, wie zum Beispiel Flug- und Schiffsverkehr.
Die Entwicklungsländer werden ihren CO2-Ausstoß in den nächsten Jahren immens erhöhen. Wie kann man diesen Trend aufhalten?
Man muss nicht so tun, als ob das Problem dort läge. Die CO2-Emissionen pro Kopf liegen in Indien etwas über einer Tonne im Jahr, in China etwas über drei Tonnen, bei uns hier in Deutschland bei ungefähr zehn Tonnen, in den USA bei 20 Tonnen - eine gewaltige Asymmetrie. Es stimmt, in bevölkerungsreichen, stark wachsenden Ökonomien haben wir enorme Zuwachsraten beim CO2 und bei anderen Klimagasen. Mit diesen Ländern sollten wir eine enge Kooperation eingehen, zum Beispiel über Energiepartnerschaften. Langfristig brauchen wir ein Leitbild von Reduzierung und Angleichung: alle Menschen, egal wo sie leben, sollten das gleiche Pro-Kopf-Recht haben, die Atmosphäre zu nutzen, das läge heute bei etwa zwei Tonnen CO2 im Jahr. Die Industriestaaten müssen aber auch selbst ihre Hausaufgaben machen und zeigen, dass ökonomische Vitalität und Prosperität sich mit Klimaschutz vertragen.
Davon scheinen wir weit entfernt. Deutschland hat sein nationales Klimaschutzziel 2005 verfehlt. Bundeskanzlerin Merkel hat sogar vor kurzem ein neues Braunkohlekraftwerk eingeweiht.
Braunkohle ist der Klimakiller Nummer eins. Im Grunde dürften gar keine Braunkohlekraftwerke mehr gebaut werden. Ohne die indirekten Subventionen, die jährlich rund eine Milliarde Euro betragen, wäre Braunkohle heute kaum mehr wettbewerbsfähig. Wenn wir überhaupt noch Kohle einsetzen wollen, dann nur mit der CCS-Technik, einem Verfahren der CO2-Abscheidung und unterirdischen Speicherung. Das kündigt die Industrie seit langem an, aber die Technik gibt es noch gar nicht. Und selbst wenn sie funktioniert, wäre sie nur ein Umweg auf dem Pfad ins solare Zeitalter.
Derzeit bestreitet die Braunkohle rund ein Viertel der Stromversorgung. Die Erneuerbaren könnten den Energiebedarf nicht decken.
Das ist richtig. Der Schlüssel zu diesem Problem ist die Energieeinsparung: in unseren Häusern, Fahrzeugen und Industrieanlagen. Energieeinsparung ist die zwingende Voraussetzung dafür, dass die Erneuerbaren in relevante Größenordnungen kommen können. Unser Ziel ist, dass die Erneuerbaren bis 2020 bei 25 Prozent liegen. Für den Übergang brauchen wir fossile Energietechnik, aber dort soll sie effizient eingesetzt werden, also mit Kraft-Wärmekopplung und dezentral als Blockheizkraftwerke.
Emissionsrechte werden derzeit kostenlos vergeben, auch an die Braunkohleindustrie. Muss man den Emissionshandel überdenken?
Ich bin ein großer Fan des Emissionshandels. Er garantiert den Primat der Politik, denn die Politik legt die Menge an CO2-Emissionen fest, die ausgestoßen werden darf. Aber die gegenwärtige Bundesregierung versteht den Emissionshandel anscheinend miss, nämlich als Förderprogramm für den Neubau von Kohlekraftwerken. Neue Kohlekraftwerke sollen nach jetzigem Stand 14 Jahre lang keinerlei Minderungsleistungen erbringen müssen - das ist ein schlechter Witz. Diese Privilegien für die Kohlekraftwerke müssen weg. Das ist das eine. Zum zweiten dürfen die Zertifikate nicht mehr gratis ausgeteilt werden, sondern müssen in Zukunft versteigert werden. Die Einnahmen daraus könnten in einen Klimaschutzfonds fließen, aus dem Energieeinsparungen finanziert werden. Heute bekommen die Unternehmen die Zertifikate zugeteilt, sie preisen sie aber trotzdem voll ein, das heißt, der Verbraucher zahlt und die Konzerne kassieren. Der Anteil von Energiekosten an den Haushaltskosten darf nicht weiter steigen.
Diese Woche fand im Kanzleramt erneut ein Energiegipfel mit Vertretern der Wirtschaft statt. Setzt die Bundesregierung dem Kartell der vier großen Konzerne genug entgegen?
Das Thema Energiesparen war richtig gesetzt. Aber es wurde einmal mehr vom fruchtlosen Streit über die Atomkraft an den Rand gedrängt. Statt mit den Großkonzernen eine Showveranstaltung nach der anderen abzuhalten, sollte die Regierung endlich ihre Hausaufgaben machen. Wo bleiben denn klare Grenzwerte für den Spritverbrauch von Autos, der Energiepass für Gebäude und das angekündigte Top-Runner-Programm für Elektrogeräte, das die Stromfresser vom Markt drängt? Weniger gipfeln, mehr liefern, sollte die Devise lauten.
Immer wieder wird die Atomkraft beim Klimaschutz ins Spiel gebracht, wegen ihres vergleichsweise geringen CO2-Ausstoßes. Können Sie sich dem versperren?
Ich könnte einfach sagen, die Atomkraft ist zu gefährlich, zu teuer, zu zentralistisch und nicht zukunftsfähig. Aber wir haben für den Klimaschutz einfach auch bessere Technologien. Wenn die Atomenergie einen relevanten Beitrag zum Klimaschutz leisten sollte, dann müssten wir innerhalb kürzester Zeit mehrere Tausend Atomkraftwerke bauen. Wir haben heute 450 AKW weltweit. Das wäre nicht nur unrealistisch, sondern auch extrem teuer. Man würde den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.
Sie plädieren für Einsparungen. Ist das in einer auf Wachstum ausgerichteten Marktwirtschaft nicht ein Holzweg?
Nein, im Gegenteil, das wäre ein riesiger Jobmotor und ökonomisch erfolgversprechend. Volkswirtschaftlich fordere ich nichts anderes, als teure Energieimporte (wir importieren Öl zu 100 Prozent und Gas zu 80 Prozent) zu ersetzen durch intelligente Lösungen, Ingenieurssachverstand, inländischer Industrieproduktion und inländische Handwerksleistung. Es wäre eine konsequente Strategie, wenn wir Häuser modernisieren, Fahrzeuge verbessern, Industrieanlagen und Beleuchtungssysteme optimieren. Eine andere Frage ist, ob wir uns langfristig eine Ökonomie leisten können, die permanentes Wachstum voraussetzt, um zu funktionieren. Das glaube ich nämlich nicht.
Das Gespräch führte Connie Uschtrin
* IPCC: Intergovernmental Panel on Climate Change, Weltklimarat. Das Expertengremium erstellt alle fünf Jahre einen Bericht über Klimaveränderungen. Der nächste Report ist für 2007 angekündigt und liegt als Entwurf vor.
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