Wir lassen uns nicht vertreiben

Gastbeitrag Heute wird das Kohlegesetz verabschiedet. Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen, schreiben Tagebau-Anwohner David Dresen und Aktivistin Kathrin Henneberger
Garzweiler zieht eine Schneise der Verwüstung durch das Rheinland
Garzweiler zieht eine Schneise der Verwüstung durch das Rheinland

Foto: Ina Fassbender/AFP/Getty Images

Unser Zuhause ist das Rheinland, eine Region bekannt für seinen jecken Karneval, die dünnen Biergläser und natürlich den, die Landschaft über Jahrtausende prägenden, großen Fluss, liebevoll Vater Rhein genannt. Ein schöner Ort zum Leben – wären da nicht die Braunkohletagebaue und Kraftwerke des Kohlekonzerns RWE. Sie haben unser Zuhause zu einem Ort der Zerstörung gemacht, ein Dorf nach dem anderen ist unter den großen Schaufelbaggern verschwunden, und Jahr für Jahr wurde mit Kettensägen ein einzigartiger alter Wald weiter nieder gemacht.

„Wünschenswert“, so wurde der Erhalt des Hambacher Waldes von der Kohlekommission betitelt. Ob wir uns denn nicht freuen würden, wäre der Wald doch jetzt gerettet, wurden wir seit dem oft gefragt. Nein, der Hambi wurde weder von der Kohlekommission, noch von dem heute verabschiedeten Kohlegesetz gerettet. In den letzten Jahren konnten wir im Wald beobachten, wie bereits im Sommer die Bäume ihre Blätter verloren, als wäre es Oktober. Er leidet nicht nur unter dem immer näherkommenden Tagebau – er gerät durch die von der Klimakrise verursachte Dürre unter Druck. Ein Weiter-so mit der Verfeuerung von Kohle bis zum Jahre 2038 wird sein Todesurteil sein. Sein Ökosystem wird kollabieren, wie so viele andere überall auf der Welt.

Aus Sicht von uns Dorfbewohner*innen hat es nie einen Kohle-Kompromiss gegeben. Wir wurden im gesamten Prozess nicht ein einziges Mal gefragt, ob wir unser Zuhause für immer in einem riesigen Loch beerdigt sehen wollen. Stattdessen drohen uns RWE und die Landesregierung von NRW mit Enteignungen, wenn wir unsere Häuser nicht „freiwillig“ an den Kohlekonzern verkaufen. Um dieser schreienden Ungerechtigkeit noch eins draufzusetzen, haben sich Laschet, Altmaier und RWE in Paragraph 48 des Kohlegesetzes verewigen lassen. „Die energiepolitische und energiewirtschaftliche Notwendigkeit [...] wird für den Tagebau Garzweiler II [...] festgestellt“, heißt es dort. Anders ausgedrückt: Wir haben Angst davor, dass ihr mit eurem Widerstand auf der Straße und vor Gericht erfolgreich sein könntet und deswegen vorsorglich einen Paragraphen geschaffen, der all das verhindern soll. Blöd für sie ist nur, dass wir uns davon nicht aufhalten lassen. Für uns spielt es keine Rolle, welche dreckigen Deals ihr in euren dunklen Hinterzimmern schmiedet – wir lassen uns nicht vertreiben und bleiben trotzdem hier. Ihr fragt euch warum? Die Antwort ist ganz einfach: Im Gegensatz zu euch sind wir nicht käuflich. Uns geht es nicht um Profite oder neue Häuser, uns geht es um Grundrechte und ein gutes Leben für alle – auch und gerade für diejenigen, die nicht mehr kämpfen können.

Dass die Dörfer weichen, Menschen ihr Zuhause verlieren sollen, um mit der darunterliegenden Braunkohle weiter die Klimakrise anzufeuern – und wiederum Menschen aus anderen Regionen dieser Welt ihre Lebensgrundlage verlieren –, ist Wahnsinn und mit nichts zu rechtfertigen. Erst recht nicht mit einem Paragraphen, der eine energiewirtschaftliche Notwendigkeit behauptet, die wissenschaftlich gesehen nicht haltbar ist. Vor dem Hambacher Wald als auch vor den Dörfern Keyenberg und Lützerath ziehen wir deshalb die Rote Linie. Wollen wir die 1,5°-Grenze des Pariser Abkommens noch einhalten, dann dürfen die Kohlebagger diese nicht mehr überschreiten. Uns ist bewusst: Die Klimakrise ist bereits grausame Realität. Während wir heute gegen das Kohlegesetz protestierend vor dem Bundestag stehen, brennen im Amazonas wieder die Wälder und tauen die Permafrostböden an der Arktis. Die Kipppunkte unseres Klimasystems, wir überschreiten sie bereits.

Wir müssen das Klima und unser Zuhause retten

Ein Dorf in der Nähe des Hambacher Forstes – es soll dem Tagebau weichen

Foto: Ina Fassbender/AFP/Getty Images

Das Kohlegesetz gibt darauf keine Antwort. Schlimmer: Es hält eine überholte Industrie künstlich am Leben, die nach den viel beschworenen Gesetzen des Marktes längst gestorben wäre. Strom aus Braunkohle deckte laut Agora Energiewende im Mai 2020 lediglich 11% des Energiebedarfs. Ohne das Kohlegesetz würden Kohlekraftwerke wesentlich früher aus dem Markt gedrängt werden, einfach weil sie sich preislich gegen die erneuerbaren Energien nicht mehr behaupten können. Vergoldet wird ihnen der Kohleausstieg trotzdem: 2,6 Milliarden fließen an RWE ins Rheinland sowie 1,75 Milliarden in die Lausitz.

Willentlich nicht verhindern wollte das Kohlegesetz auch die Inbetriebnahmen eines weiteren Steinkohlekraftwerkes im Jahr 2020: Datteln 4. Ausgestattet mit lukrativen Abnehmerverträgen mit RWE und der Deutschen Bahn ist es in der Lage, jährlich mehr als acht Millionen Tonnen CO2 die Atmosphäre pusten – gerne auch bis zum Jahre 2038, wie der Konzernchef bereits verlauten ließ. Die Steinkohle kommt dabei aus Nordkolumbien und Sibirien, wo aufgrund der Tagebaue der indigenen Bevölkerung Land- und Lebensgrundlage genommen wird. „Bloodcoal“ nennen wir sie deshalb, weiter fortgesetzter Kolonialismus, den wir endlich beenden müssen.

Die Alternative zu der Zerstörung und dem Leid, das die fossile Industrie global anrichtet, ist relativ einfach: Wir müssen endlich unsere Abhängigkeit von ihr lösen, die Rohstoffe im Boden lassen. Wir brauchen ein neues Kohlegesetz, das sich nach der 1,5°-Grenze richtet. Ein Kohlegesetz, das sofort beginnt, die Kohlekraftwerke abzuschalten und die Tagebaue stillzulegen, und damit den Startschuss gibt, unsere gesamte Wirtschaft sozial gerecht und ökologisch zu transformieren.

Das aktuelle Kohlegesetz versperrt diesen Weg jedoch. Mit ihm rasen wir weiter in eine Welt, die vier bis sechs Grad heißer werden wird – wir rasen ungebremst in die Klimakatastrophe. Während der Bundestag heute im Angesicht der Klimakrise versagen wird, werden wir im Rheinland deshalb weiter kämpfen und lokal Verantwortung übernehmen. Das letzte Wort wird heute nicht gesprochen. Dieses Kohlegesetz, es wird so keinen Bestand haben.

Die Klimakrise aufzuhalten und unser Zuhause zu einer Region der Zukunft zu machen, dafür alles zu tun, alles zu geben, wurde zu unserer Aufgabe. Und im Gegensatz zu den Bundestagsabgeordneten, die heute für das Kohlegesetz stimmen werden, nehmen wir diese Aufgabe ernst.

David Dresen ist Anwohner von Kuckum, eines der vom Tagebau Garzweiler bedrohten Dörfer, sowie Pressesprecher des Bündnisses „Alle Dörfer Bleiben

Kathrin Henneberger ist eine Klimaaktivistin aus dem Rheinland, die auch auf den UN-Klimakonferenzen aktiv ist

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden