FREITAG: Herr Paech, Sie haben im Auftrag der PDS-Bundestagsfraktion eine Organklage gegen die neue NATO-Strategie vorbereitet. Was ist eine Organklage?
NORMAN PAECH: Eine Organklage ist das Recht einer Fraktion, im Namen des Bundestages gegen ein anderes Verfassungsorgan Klage zu erheben. In diesem Fall: gegen die Bundesregierung.
Was genau wird beklagt?
Der Kasus ist die Missachtung des Parlaments durch die Bundesregierung im Zusammenhang mit der neuen NATO-Strategie. Diese neue Strategie kommt einer totalen Veränderung des NATO-Vertrages gleich. Aus dem alten Bündnis zur Territorialverteidigung wird eine neue Interventions-Allianz. Und das ist eine Sache, die nur mit dem Parlament gemeinsam gemacht werden kann.
Das ist nicht die erste Klage gegen eine NATO-Strategie.
Nein, 1994 hab
erste Klage gegen eine NATO-Strategie.Nein, 1994 haben SPD und FDP gegen die "out of area"- Strategie der NATO geklagt, mit dem gleichen Argument wie heute die PDS: Dies sei eine Veränderung des NATO-Vertrages. Damals kam es zu einer Spaltung des Bundesverfassungsgerichts: Vier Richter waren der Auffassung, "out of area" sei eine Vertragsveränderung, vier waren gegenteiliger Meinung. Letztere gaben nach den Regeln des Bundesverfassungsgerichts am Ende den Ausschlag. Mit der Begründung, dass es sich ja erst um Überlegungen handle, die nicht abgeschlossen seien.Und heute?Heute gründet sich die Klage darauf, dass wir im Unterschied zu 1994 mit der NATO-Strategie vom April 1999 ein Dokument vorliegen haben, das in der Tat eine radikale Veränderung des ursprünglichen NATO-Vertrages darstellt.Wie werden die Gegner argumentieren?Das werden wir sehen. Bisher haben Fischer, Schröder und Scharping einfach nur behauptet, das Parlament müsse nicht gefragt werden. Ich stelle mir eine solche Gegenargumentation auch außerordentlich schwierig vor: Denn: Die NATO ist ausschließlich ein Verteidigungsbündnis, sowohl was die historische Gründungsabsicht betrifft, als auch nach Geist und Buchstaben des Vertrages. Und in der neuen NATO-Strategie steht explizit, dass es sich um eine neue Funktion der Krisenbewältigung und des Krisenreaktionseinsatzes handelt, die nicht vom Artikel 5 (Verteidigungsfall - d.R.) gedeckt ist.Die NATO will - zur Not - auch ohne UN-Mandat intervenieren.Das ist eine zweite Argumentation in der Klage: Selbst wenn die Zustimmung des Parlaments da wäre, so darf dieses Element der neuen NATO-Strategie nicht abgesegnet werden, weil es eklatant gegen geltendes Völkerrecht verstößt. Darüber hinaus gibt es einen dritten Gegenstand der Klage, der sich gegen die in der neuen Strategie bekräftigte nukleare Erstschlagoption der NATO richtet. Hier gibt es seit 1996 ein Urteil des Internationalen Gerichtshofes, der diese für grundsätzlich völkerrechtswidrig erklärt hat.Wie klug ist es, diese drei Elemente in einer Klage zu verknüpfen?Das Gericht muss zum ersten Punkt Stellung nehmen. Daran kommt es angesichts der vergangenen Rechtsprechung nicht vorbei. Schließlich geht es hier um ein grundlegendes Verhältnis von Parlament und Regierung. Die beiden anderen Punkte zeigen die Brisanz der ganzen Angelegenheit auf und unterstreichen gewissermaßen, warum man solch eine Strategie nicht einfach beim Glas Sekt und am Parlament vorbei verabschieden kann.Wie sieht die weitere juristische Prozedur aus?Ein Dreierausschuss wird über die Annahme der Klage entscheiden, und wenn das passiert ist, geht die Klage weiter in den Senat.Wie schnell entscheidet der?Das kann man so genau nicht sagen. Der Klageprozeß um die "out of area"-Einsätze hat seinerzeit anderthalb bis zwei Jahre gebraucht.Was passiert, wenn die Klage erfolgreich ist?Dann muss sich die Bundesregierung daran halten und die NATO-Strategie dem Parlament zur Zustimmung vorlegen. Dann bekommen wir, was man offensichtlich vermeiden wollte: Eine große Debatte darüber, ob diese Strategie das ist, was wir von der NATO wollen.Was ist, wenn das Parlament sich nach der Debatte für diese neue NATO-Strategie entscheidet. Geht dann der juristische Schuss politisch nicht nach hinten los?Nein. Denn die Alternative wäre, gar nichts zu machen und vor allem zuzulassen, dass diese schleichende Umgehung des Parlaments Usus wird. Irgendwann kommt die nächste Aufforderung an die NATO zur Konfliktintervention, und dann wird das mit Verweis auf die neue Strategie stillschweigend gemacht. So etwas muss verhindert werden. Deshalb brauchen wir diese grundsätzliche Diskussion in der Bevölkerung. Das Verfassungsgericht ist ja auch nur ein Teil der politischen Auseinandersetzung. Das heißt, darauf kann man nicht die gesamte Hoffnung geben. Man muss schon weiter versuchen, die Mehrheit davon zu überzeugen, dass die neue NATO-Strategie friedenspolitisch der fal sche Weg ist.Und wenn sich die Bevölkerung für die neue NATO-Strategie entscheidet?Dann müsste man die politische Niederlage quittieren. Für mich als Juristen gibt es jedoch gerade in dieser Frage einen derart eklatanten Verstoß gegen die Balance zwischen Parlament und Regierung und gegen geltendes Völkerrecht, dass ich die juristischen Mittel ausgeschöpft sehen will. Zumal die Klage auf sehr guten Argumenten basiert. Selbst wenn sie "nur" juristischen Erfolg hätte, wäre zumindest klar, dass diese Regierung auch in anderen Angelegenheiten zukünftig nicht einfach am Parlament vorbei handeln kann. Wir leben schließlich in einer parlamentarischen Demokratie und keiner konstitutionellen Monarchie.Das Gespräch führte Torsten Wöhlert