Er ist einer der wichtigsten und unabhängigsten Regisseure der israelischen Theaterszene, leitete das für seine Avantgarde-Produktionen berühmte Akko-Festival und die Abteilung Dramatische Kunst des israelischen Hörfunks. 1994 erregte Eran Baniel (61) Aufsehen, als er zusammen mit dem arabischen Regisseur Fouad Awad eine Romeo-und-Julia-Aufführung inszenierte, in der die beiden verfeindeten Familien der Liebenden Juden und Palästinenser waren. Derzeit leitet Baniel die International Theatre Exposure in Tel Aviv.
FREITAG: Als Sie auf einer Veranstaltung sagten, Israel müsse sich nach dem Libanon-Feldzug vermutlich bald auf den nächsten Krieg vorbereiten, hielten das einige Zuhörer für einen schlechten Scherz. Schaut man auf die Lage im Libanon und im Gaza-Streifen, muss man leider sagen: Sie haben möglicherweise Recht.
ERAN BANIEL: Lassen Sie uns - bitte! - zuerst von den Träumen der Menschen reden, erst dann von der traurigen Wirklichkeit. Es gibt bei uns zwei nationale Utopien, die einander völlig widersprechen: der Traum der Menschen, die immer hier gelebt haben und die nie Herr ihres eigenen Schicksals waren. Stets wurden sie von anderen beherrscht und wollen nun endlich ihr eigenes Land in Besitz nehmen.
Es gibt einen zweiten Traum: den in der europäischen Diaspora und später im Holocaust geborenen Traum der Juden, in das Heilige Land zurückzukehren. Beide Träume müssen - auf welche Weise auch immer - koexistieren. Dazu braucht es einen dritten, einen gemeinsamen Traum. Träume werden nicht durch politische Verwaltungsprozesse wahr, sondern durch eine Vision, durch politische Führungsstärke, die nicht inhaltsleer sein darf, sondern Ideen und Optionen bereithält, die tatsächlich von Herzen kommen. Ohne diesen dritten Traum werden die beiden anderen Träume immer wieder kollidieren - wir kennen die Resultate. Die Palästinenser müssen wissen: Um ihren Traum von Groß-Palästina zu verwirklichen, müssen sie fünf Millionen Juden loswerden, die hier leben. Und die Juden müssen sich mit der Tatsache anfreunden, dass vor ihnen hier andere Menschen gelebt haben, die ein Recht haben, als selbstständige Nation zu existieren - ohne ständig von außen kontrolliert zu werden. Es geht also darum, territoriale Ansprüche, verletzte Gefühle und über Jahre gepflegte Ideologien neu zu verhandeln und in einen neuen Traum zu integrieren.
Können wir den derzeitigen Zustand dieser Vision etwas konkreter betrachten?
Als wir vor anderthalb Jahren den Gaza-Streifen verließen, hätten uns die Palästinenser zeigen müssen: Wenn ihr euch zurückzieht, dann hören die Scharmützel auf und das bessere Leben beginnt. Was haben sie getan? In der Westbank blieb alles ruhig - in Gaza war der Teufel los. Wie kommt das bei einem normalen Israeli an? Er sagt: Egal, was wir auch tun, es wird schlecht sein. Behalten wir die Besatzung bei, ist es furchtbar - geben wir sie auf, wird es noch schlimmer. Also halten wir die Palästinenser wieder am Kragen gepackt: das ist Gaza heute. Sie leben dort wirklich in einer Hölle, einem großen Gefängnis: Keiner kann herein, keiner kann heraus. Ein selbstbestimmtes Leben ist unmöglich. Ihnen bringt das nichts, aber uns auch nicht. Auch wir Israelis sind - immer noch - die Gefangenen von Gaza.
Und der Libanon? Rein militärisch ist dieser Konflikt doch weitaus gefährlicher für Israel.
Israel ist im Sommer 2006 nicht einfach so aus freien Stücken in den Krieg eingetreten. Rückblickend betrachtet war dieser Feldzug und sind die jetzigen Hisbollah-Demonstrationen ein Kampf um die Identität des Libanon. Ein Ergebnis dieses schrecklichen Krieges war unter anderem, dass die libanesische Armee erstmals seit über 20 Jahren bis zur Südgrenze des eigenen Landes vorrücken und so etwas wie staatliche Souveränität zeigen konnte - das sagt etwas über die wahren Schwierigkeiten des Libanon. Dessen Problem ist nicht Israel - das war es auch in der Vergangenheit nicht.
Eines der größten Probleme Israels scheint hingegen zu sein, dass man keinen wirklichen Verhandlungspartner hat. Eine Weile war man sehr froh, Mahmud Abbas als palästinensischen Wortführer zu haben, aber der ist mittlerweile isoliert. Wer ist Israels Partner bei den Palästinensern?
Es gehört zur traurigen Geschichte des Nahen Ostens, dass wir starke Persönlichkeiten brauchen. Ehud Olmert ist ein sehr fähiger Mann. Aber hat er die Größe für den dritten Traum - für die politische Vision? Ich würde das sehr bezweifeln. Olmert ist ein sehr guter Administrator, aber Israel braucht einen Propheten - nicht im religiösen, sondern im politischen Sinne. Und die Palästinenser brauchen, um auf Ihre Frage zurückzukommen, genau dasselbe. Ob Abbas das ist? Ich glaube es nicht.
Was macht es der palästinensischen Gesellschaft so schwer, in kleinen Schritten voranzugehen und auf den großen, pathetischen Kampf zu verzichten?
Die Palästinenser sind immer der Prügelknabe anderer Nationen gewesen - schon lange bevor wir Juden in den Nahen Osten zurückkamen. Sie sind die ewigen Flüchtlinge und Vertriebenen. Die Türken, die Briten, die Syrer, die so genannten Jordanier - alle haben ihren Teil dazu beigetragen. Jordanien ist eine britische Erfindung, die vorher nie existiert hat: Schauen Sie sich die jordanischen Grenzen an, und sie werden sehen, wie ein Beamter in London mit dem Lineal an der Landkarte entlang gegangen ist und ein neues Land erfunden hat.
Als die Palästinenser Verantwortung für ihr eigenes Leben übernehmen sollten, haben sie eine erste Chance dazu leider verpasst - ich meine Oslo. Vor den Osloer Verträgen war für die internationale Gemeinschaft alles klar: die Guten waren die Palästinenser, die armen Palästinenser, die Bösen waren die Israelis. Mit Oslo aber ereilte die diplomatische Welt eine Tragödie: Plötzlich bekamen die Palästinenser alle möglichen politischen Farben. Es gab welche, die für den Frieden waren, andere wussten nicht, was sie wollten; wieder andere kämpften militärisch gegen den Friedensprozess. Um gerecht zu sein: auch wir Israelis hatten unsere Schwierigkeiten, die Bedeutung dieses Moments zu erfassen und diejenigen zu unterstützen, die weniger glückhaft sind als wir - die Palästinenser nämlich.
Und die zweite verpasste Chance?
Das war die Wahl im Januar 2006: Für Israel war der Sieg der Hamas eine wirkliche Tragödie. Zugleich muss man sagen: Zum ersten Mal wurden die Palästinenser nicht von wohlmeinenden Figuren von außen bevormundet, weder von Shimon Peres, noch von George Bush, noch vom französischen Präsidenten, der immer weiß, was sie denken - oder von sonst wem.
Zum ersten Mal in der Geschichte haben die Palästinenser - durch eine demokratische Wahl - gesagt: Das ist es, was wir wollen, wir wählen die Hamas, wir zahlen dafür den Preis. Einen sehr hohen Preis, wie man sieht. Auch Israel zahlt diesen Preis. Man fragt sich natürlich: Wird die palästinensische Gesellschaft unter solchen Bedingungen ein erträgliches Leben einrichten können? Nicht nur das Sterben, wie gewohnt, sondern das Leben! Das ist schwer vorstellbar. Das Sterben ist immer gut, um große Epen zu schreiben, aber solche Epen haben wir genug. Jetzt geht es ums Leben.
Sie haben Camp David im Sommer 2000 nicht erwähnt - das Angebot des damaligen Premiers Ehud Barak an Arafat. War das nicht auch eine verpasste Chance für die Palästinenser?
Das Problem, das sich in Camp David gezeigt hat, ist sehr komplex. Drastisch gesagt, besteht es darin, dass Sie jemanden, der schon jahrelang im Begriff ist, Selbstmord zu begehen, davon abbringen müssen. Ich hatte diese Situation in meiner eigenen Familie, und ich sage Ihnen: Es ist furchtbar. Der Selbstmörder befindet sich in einem anderen Bewusstseinszustand. Ihn zum Leben zu bekehren, ist fast unmöglich, weil das Glück für ihn etwas völlig Unlogisches ist. Wie geht man mit einer suizidalen Person, mit einer suizidalen Nation um? Wie kann man sie überzeugen, ohne aggressiv oder besitzergreifend zu sein? Dazu braucht es viel mehr als Logik, Fairness, Korrektheit - all das ist völlig lächerlich. Man muss ganz tief hinabsteigen bis zu dem Punkt, an dem man das Wesentliche der Kränkung berührt. Das ist dann ein ganz anderer Fahrplan - eine ganz andere Road Map.
Viele der Peace-Now-Aktivisten in Israel, die für palästinensische Interessen eingetreten sind, haben die Nase voll und sagen jetzt: Wir wollen die Palästinenser nicht mehr wie kleine Kinder behandeln, sie müssen selber erwachsen werden.
Ich wünschte, man würde das noch lauter sagen, es ist in der Tat das größte Problem der israelischen Linken: Sie glaubt, dass sie ihre Palästinenser quasi besitzt und für sie sorgen muss. Ich habe in meinem Leben nicht viele Erfahrungen wirklichen Respekts für die palästinensische Unabhängigkeit gemacht. Auch in der israelischen Linken nicht.
Lassen Sie uns nochmals auf den Libanon blicken - was passiert, wenn die Hisbollah durch ihre Massendemonstrationen die Regierung Siniora tatsächlich stürzt?
Die Frage, die sich für Israel stellt, ist weniger, ob man interveniert, sondern ob man das früher oder später tut. Wir sind unter der Hand immer Protagonisten all dieser Prozesse, ob wir wollen oder nicht, und wir wissen, dass wir nicht notwendigerweise die guten Protagonisten sind. Aber wir wollen nicht, dass es so kommt; wir wollen keinen Bürgerkrieg im Libanon oder in Palästina. Trotzdem müssen die Menschen dieser Region Entscheidungen treffen: Soll der Libanon künftig die Front des Iran sein? Soll der Gaza-Streifen die andere Front des Iran sein? Wenn das so ist, dann sage ich Ihnen: Das wird kein Kinderspiel. Es wird kein Spaß für uns, und bei Gott, es wird wahrlich kein Spaß für die Palästinenser.
Aber ich glaube, wenn morgen in Palästina ein Prophet aufstünde und sagte: Lasst uns das nehmen, was wir tatsächlich bekommen können - zwei Staaten, die friedlich koexistieren. Lasst uns unseren Kindern ein menschenwürdiges Leben bieten, eine Zukunft - ich glaube, die Leute würden ihm folgen. Sharon hat auf der israelischen Seite versucht, ein solcher Prophet zu sein. Er hatte verstanden: Wenn wir durch Verhandlungen nichts erreichen, keine Anerkennung Israels, dann müssen wir die Besatzung einfach aufgeben. Er wollte einfach nur raus - denn die Besatzung tötet auch unsere Gesellschaft. Wir müssen einen neuen Propheten finden. Und die Palästinenser müssen einen Propheten finden. Dann, vielleicht ...
Das Gespräch führte Christian Gampert
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