Israel/Palästina Haidar Abd el-Shafi, palästinensischer Chefunterhändler beim Osloer Friedensabkommen, über die derzeitige Sinnlosigkeit von Verhandlungen mit Israel und Chancen einer israelisch-palästinensischen Koexistenz
In den Jahren "nach Oslo" ab Mitte der neunziger Jahre - hat Haidar Abd el-Shafi immer wieder versucht, in Palästina eine Allianz der Demokraten zu formieren und dafür auch internationale Hilfe zu finden. Er war stets davon überzeugt, nur ein demokratisiertes Palästina könne ein gleichberechtigter Partner in Verhandlungen mit Israel sein. Leider jedoch fanden Abd el-Shafi und andere damit keine Unterstützung seitens der amerikanischen und europäischen "Paten des Friedensprozesses", die statt dessen großzügig die Autonomiebehörde Yassir Arafats und dessen Sicherheitsapparat finanzierten. Viele fragen jetzt: Wer könnte Arafats Nachfolger sein? Gewiss bieten sich genügend Polizeichefs in Palästina an. Als Integrationsfigur, die
, die für eine demokratische Kultur bürgt, ist allein Abd el-Shafi ein ernsthafter Kandidat.FREITAG: Wie unterscheidet sich nach Ihrem Eindruck die zweite Intifada, die wir gerade erleben, von der ersten Ende der achtziger Jahre? HAIDAR ABD EL-SHAFI: Erheblich - die erste Intifada brach aus, als wir unter direkter israelischer Besatzung lebten. Es gab die Autonomiebehörde noch nicht, die PLO war im Ausland. Der Aufstand wandte sich gegen die Okkupation, vor allem brachte er den tief empfundenen Wunsch nach einem Frieden zwischen Gleichberechtigten zum Ausdruck. Das hatte nicht zuletzt etwas damit zu tun, dass damals viele Palästinenser in Israel arbeiteten und Israelis und Palästinenser sehr direkt miteinander umgingen. Durch diese Erfahrung, die immerhin über 20 Jahre andauerte, wuchs bei uns die Überzeugung: eine israelisch-palästinensische Koexistenz ist möglich. Wir waren dazu bereit - als Gleichberechtigte. Die israelische Seite sah das natürlich anders. Sie sah die Intifada nur als einen Aufstand, der mit allen Mitteln gebrochen werden musste - daher der Aufruf Rabins, den Steine werfenden Kindern die Knochen zu brechen...... dennoch sprach sich die PLO damals für die Verhandlungen in Madrid aus. Ja, aber die Entscheidung des Nationalrats dazu fiel nicht einstimmig. Diejenigen, die Verhandlungen ablehnten, riefen die Bevölkerung in Gaza auf, tags darauf dagegen zu protestieren. Die Menschen taten aber genau das Gegenteil: Sie demonstrierten für Verhandlungen.Wird ein solches Votum möglicherweise auch am Ende der zweiten Intifada stehen? Es gibt jetzt eine andere Botschaft, nämlich: Unter dem vorherrschenden Kräfteverhältnis hat es keinen Sinn, weiter zu verhandeln. Die Palästinenser wissen, dass Israel den Friedensprozess nur ausgenutzt hat, um seine Siedlungspolitik - eigentlich alles, was unsere Rechte verletzt - zu forcieren. Das ist der eine Teil der Botschaft: Wir sollten aus diesem hoffnungslosen Prozess aussteigen. Der zweite lautet: Wir werden unter allen Umständen für unsere Rechte kämpfen. Sollte Arafat jetzt zu Verhandlungen zurückkehren, würde er damit den Willen der Palästinenser missachten.Sie lehnen demnach Verhandlungen unter den gegenwärtigen Bedingungen ab. Ich hätte nichts dagegen, wieder zu verhandeln, wenn Israel wenigstens seine Siedlungspolitik einstellen würde.Sehen Sie denn dann irgendeine Perspektive? Hoffen Sie auf Veränderungen in Israel selbst? Ich weiß, dass es dort Kräfte gibt, die es ernst meinen und sich für eine Koexistenz von Arabern und Juden einsetzen, auch wenn sie nicht gerade sehr stark sind. Ja, aber erneute Verhandlungen haben auch deshalb keinen Sinn, weil wir unsere eigene desorganisierte Situation nicht überwunden haben. Wir sollten jetzt gezielt gegen die Siedlungen angehen - gegen alles, was zutiefst unsere Rechte verletzt wie das Niederreißen von Häusern, das Zerstören von Olivenhainen oder von Infrastruktur. Wenn wir unsere Aktionen darauf beschränken, geben wir der Welt ein Zeichen unseres defensiven Kampfes.Und Sie glauben, den würde man als legitim anerkennen? Niemand könnte das kritisieren. Im Gegenteil, ich glaube, die Welt würde uns unterstützen.Edward Said fordert in diesem Sinne stets, die palästinensische Diaspora mehr einzubeziehen. Die Palästinenser im Ausland sind schließlich auch betroffen von Enteignungen, von der Flüchtlingsfrage ... Da liegt eines unserer großen Versäumnisse. Obwohl wir hochqualifizierte Leute in Amerika und Europa haben, nutzen wir diese Ressourcen nicht wirklich, um dem etwas entgegenzusetzen, was Israel nur bei der Propaganda für seine Anliegen tut.Ich möchte noch einmal auf Ihre Bemerkung über die desorganisierte Situation der Palästinenser zurückkommen. Das bringt mich auf die Frage nach der palästinensischen Zivilgesellschaft - warum ist die so verkümmert? Wir haben in Gaza und im Westjordanland keine Demokratie, kein funktionierendes Rechtssystem, keine Kontrolle öffentlicher Ausgaben. Kritik daran, an die Adresse von Arafat, verhallt folgenlos. Einige von uns sind inzwischen zu der Auffassung gekommen, dass der Ausweg darin liegen könnte, eine Art "nationale Einheitsführung" zu konstituieren - ein Gremium, das alle politischen Kräfte der palästinensischen Gesellschaft beteiligt und auf demokratischer Basis Entscheidungen fällt. Solange eine solch klare Entscheidungsstruktur fehlt, gibt es keine Linie unserer Politik gegenüber Israel - und wir liefern Sharon immer wieder Vorwände, uns noch brutaler zu unterdrücken.Warum setzen Sie sich nicht einfach für die längst überfälligen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ein? Weil es unter den jetzigen Umständen völlig abwegig ist, ein solches Votum abzuhalten. Wir hatten ja 1996 Wahlen zum Legislativrat. Damals hoffte ich, dies würde der Anfang einer Demokratisierung sein, aber Yassir Arafat hielt sich nicht an die Beschlüsse des Rates und dessen Mitglieder verhielten sich teilweise nicht wie gewählte Volksvertreter. Doch wir brauchen dringend eine demokratisch legitimierte Führung. Deshalb könnte ich mir als ersten Schritt eben die "nationale Einheitsführung" vorstellen...... in der alle Kräfte - auch die Hamas - wären? Auch die Hamas ...... weil sie einen gewissen Teil der palästinensischen Gesellschaft repräsentiert? Ja. Und weil sie so auch eingebunden und einer gewissen Kontrolle unterworfen wäre.Das Gespräch führte Sophia Deeg.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.