Der Zusammenschluss von Linkspartei und WASG erreicht an diesem Wochenende in Dortmund eine finale Phase, wenn beide Parteien zu Parteitagen zusammenkommen, auf denen die Gründungsdokumente verabschiedet werden sollen. Es folgt zwischen dem 30. März und 18. Mai eine Urabstimmung der Mitglieder, bevor Mitte Juni in Berlin die Gründung der neuen Partei besiegelt werden könnte.
FREITAG: Bedauern Sie es, dass die Geschichte der PDS nach reichlich 17 Jahren schon wieder zu Ende ist?
DIETMAR BARTSCH: Ich gehe davon aus, dass vieles von der PDS erhalten bleibt - allein durch die Mitgliedschaft, die vielen Engagierten, die über Jahre hinweg und in schweren Zeiten für die Partei geackert haben -, und dass vor allem unsere programmatische Substanz fortlebt. Aber es ist richtig - es geht auch eine Zeit zu Ende. Und da will ich als Erstes feststellen, dass die PDS manches geleistet hat in diesen 17 Jahren: Einen relevanten Beitrag zur Integration der Ostdeutschen in die gesamtdeutsche Gesellschaft, sie hat für mehr soziale Gerechtigkeit in diesem Land gesorgt und den Demokratischen Sozialismus bewahrt. Die neue Partei sollte das aufnehmen, aber mit einem höheren Maß an politischem Einfluss verbinden.
Wie viel Ostpartei bleibt übrig?
Wir bleiben als linke Partei dazu verpflichtet, ostdeutsche Interessen besonders wahrzunehmen. Die Arbeitslosigkeit ist im Osten weiter hoch, das Wirtschaftswachstum nach wie vor geringer und die Rentenpunkte werden weiterhin unterschiedlich bewertet. Es gibt keinen Ostdeutschen bei einem Bundesgericht und keinen ostdeutschen Minister in einem westdeutschen Bundesland All dies bleibt Herausforderung für eine linke Partei - egal, ob die Wiege der Mitglieder in München oder in Stralsund stand.
Warum ist in den Programmatischen Eckpunkten für die neue Partei viel von Freiheit, Gleichheit und Solidarität die Rede, aber der Demokratische Sozialismus nicht eindeutig als die Zielvorstellung hervorgehoben?
Für mich sind die Eckpunkte vom Ziel und vom Wertesystem des Demokratischen Sozialismus geprägt. Das muss nicht immer an die Vokabel selbst gebunden sein. Mein Interesse ist darauf gerichtet, dass im Programm der neuen Linken, das vor den Europa- und den Bundestagswahlen 2009 fertig sein sollte, dieser Begriff einen anderen Stellenwert erhält. Andererseits, wenn das Wort sieben oder acht Mal auftaucht, ist ein Programm damit noch nicht sozialistischer als andere. Ich werbe für die Dreieinigkeit des Demokratischen Sozialismus, wie wir sie im Chemnitzer Programm festgehalten haben.
Das heißt?
Dass wir mit dem Begriff Demokratischer Sozialismus nicht nur eine Gesellschaftsordnung - das auch -, sondern ebenso den Weg dorthin und ein Wertesystem bezeichnen.
Man hat den Eindruck, viele führende WASG-Vertreter wollen zurück zu einer Bundesrepublik der siebziger Jahre, zu einer weitgehend funktionierenden sozialen Marktwirtschaft mit starken, einflussreichen Gewerkschaften - im Sinne klassisch sozialdemokratischer Positionen. Wo sind da gesellschaftspolitische Visionen?
Ich bin nicht der Auffassung, dass wir uns künftig Partei des Demokratischen Kapitalismus nennen sollten. Ich meine das ernst: Wir sollten über die heutige Gesellschaftsformation hinausgehen. Es gibt diese Position, die Sie andeuten, aber das kann niemanden überraschen. Viele WASG-ler waren in der SPD und sind aktive Gewerkschafter. Aber das ist doch gut - gerade weil der Zug im Moment, angefeuert vom neoliberalen Zeitgeist, in eine ganz andere Richtung fährt als zurück in die Bundesrepublik der siebziger Jahre. Da kann es nur hilfreich sein, dass wir uns mit diesen WASG-lern zu einer starken Linken versammeln.
Wenn Oskar Lafontaine über finanzierbare Sozialsysteme redet, kommt er auf Skandinavien zu sprechen. Wenn er auf staatliche Finanzpolitik verweist, nennt er die Zinspolitik der US-Zentralbank. Er zitiert Alternativen innerhalb bestehender Verhältnisse, um die Ignoranz hiesiger Regierungspolitik zu geißeln - doch er geht nicht darüber hinaus.
Das sehe ich bei Oskar Lafontaine ausdrücklich anders. Er geht sehr weit über bestehende Verhältnisse hinaus, wenn er etwa das öffentliche Eigentum als ein zentrales Thema betrachtet - und das sehr zu recht. Wenn er das Thema Friedenspolitik in gänzlich anderer Weise behandelt als alle anderen Parteien, was letztlich nur zu dem Schluss führt, dass es innerhalb der kapitalistischen Verhältnisse eben objektiv zu solchen Kriegen wie in Afghanistan und im Irak kommt. Und in der Finanzpolitik muss mir erst einmal jemand beweisen, dass nur die Banken und Konzerne enteignet werden müssen - und das war´s dann. Ich glaube, dass solche Vorstellungen, wie wir sie in der Linkspartei und auch in der Bundestagsfraktion entwickelt haben, etwa über eine Börsenumsatzsteuer oder eine reformierte Erbschaftssteuer, sehr wichtig sind. Deshalb Demokratischer Sozialismus als Ziel, ja - aber auch als Weg. Um hier und heute Schritte in eine Richtung zu gehen, die uns dem Ziel näher bringen. Auch das ist sozialistische Politik...
... und umstritten.
Darüber bin ich mir im Klaren. Aber im Schoße der alten Gesellschaft - das hat Marx immer wieder betont - werden die Elemente der neuen ausgeprägt. Und die sind Voraussetzung dafür, dass es qualitative Umschläge gibt. Nehmen Sie nur die von uns vorgeschlagene Umlage zur Ausbildungsfinanzierung - da würde doch Marktlogik außer Kraft gesetzt. Hätten sich unsere Vorschläge bei der Gesundheitsreform durchgesetzt, wäre auch das ein partieller Ausbruch aus marktwirtschaftlichen Zwängen gewesen.
Also mehr Realpolitik, weniger Visionen.
Ich bin lediglich dagegen zu sagen, das ist unsere Vision und danach werden wir die Gesellschaft umbauen, aber bis es soweit ist, müssen wir erst einmal warten. In diesem Sinne hat sich in der Linkspartei mit den Jahren qualitativ viel verändert. Insofern ist das, was Oskar Lafontaine vertritt, nicht so weit weg, sondern eine kompetente Ergänzung unserer Auffassungen.
Welche der PDS-Grundpositionen wird nicht Teil des Gründungskonsenses der neuen Partei sein?
Ich kann nur sagen, was auf jeden Fall erhalten bleiben muss: Das ist die programmatische Kernsubstanz der PDS, die sie sich erarbeitet hat. Und die besteht nicht zuletzt darin, bestimmte Positionen nie als abgeschlossen zu betrachten.
Wird das in der WASG akzeptiert?
Das ist schwer zu beurteilen. Ich habe in der Steuerungsgruppe erlebt, dass bezogen auf den Bruch mit dem Stalinismus natürlich gefragt wird, was ist damit eigentlich gemeint? Ich kann verstehen, dass es Vorbehalte gibt, wenn wir sagen, es ist für uns existenziell: Freiheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Solidarität müssen verbunden werden. Das sagt sich schnell, aber es ist nicht automatisch so, dass jemand, der viele Jahre in den sozialen Kämpfen der alten Bundesrepublik stand und ebenso lange SPD-Politik vertreten hat, dies sofort akzeptiert. Vergessen wir nicht, die Agenda 2010 im Frühjahr 2003 war die Initialzündung für die Gründung der WASG. Bis dahin wurde die sozialdemokratische Politik von den meisten WASG-Mitgliedern, die heute in unserer Bundesfraktion sind, mitgetragen. Da kann ich nicht erwarten, dass sie plötzlich eine reine PDS-Politik bevorzugen. Für uns können deren Erfahrungen aber sehr befruchtend sein. Ich hoffe das zumindest - doch es bleibt eine offene Frage. Ich glaube nicht etwa, dass wir jetzt mit dem Parteitag in Dortmund und dem Juni-Parteitag in Berlin auf der Straße des Sieges sind.
Wo dann?
Im Juni sind wir am Start - im Augenblick bewegen wir uns zum Start.
Wie groß ist die Verlockung, all jene sozialdemokratischen Themen zu besetzen, die von der SPD aufgegeben wurden?
Für mich ist die Verlockung, darüber hinauszugehen, die eigentliche Herausforderung. Es geschafft zu haben, als PDS nach der historischen Niederlage, die wir erlitten haben, den Gedanken an eine gesellschaftliche Alternative nicht nur zu erhalten, sondern auch mit einiger politischer Relevanz auszustatten, das ist der eigentliche Erfolg. Freilich müssen wir erst noch klar darauf antworten: Was ist denn neu an der neuen Linken? Da haben wir programmatisch noch sehr viel vor uns.
Warum wurde auf dem Ludwigshafener WASG-Parteitag vor knapp einem Jahr soviel politische Energie darauf verwandt, einen separaten Wahlantritt der WASG Berlin zu vermeiden? War das nötig, um generell zentrifugalen Tendenzen vorzubeugen?
Sowohl in der WASG als auch in der PDS sind ja alle in der Lage, Zahlen zu lesen. Es gab den gesonderten Wahlantritt der WASG in Mecklenburg-Vorpommern, der gern vergessen wird, obwohl man machtvoll agiert hat und im Null-Komma-Bereich gelandet ist, und natürlich in Berlin. Dort mit einer medialen Begleitung, vorrangig seitens der Konservativen, die es so für die WASG noch nie gegeben hat. Ich würde mir wünschen, irgendeine politische Initiative der WASG könnte auf eine solche mediale Präsenz rechnen wie der Antritt von Lucy Redler Co. Und dann erreicht man trotzdem ein Ergebnis, das desaströs ist und im Übrigen zur Niederlage der Linkspartei in Berlin beigetragen hat, denn nicht allein das Wahlergebnis - vor allem eine gegen die Linkspartei geschürte Stimmung hinterließ Wirkung. Das haben nun alle gesehen und konnten sich fragen: Wie war das in Hessen bei den Kommunalwahlen, als WASG und Linkspartei zusammen kämpften, einen großen Erfolg verbuchten und zeigten, wie eine Partei von unten aufgebaut werden kann? Jeder, der nur halbwegs objektiv urteilt, wird sich für diese Variante entscheiden. Und wenn jemand aus der WASG in Y sagt: Nein, so will ich das nicht, dann ist das legitim. Aber ich muss dann nicht diese Person unter allen Umständen halten und Hunderte Kompromisse eingehen. Wer weiß, wie viele Mitglieder ich gerade dadurch verliere? Insofern hat sich Ludwigshafen scheinbar mit einem Detailproblem beschäftigt, aber im Kern ist dort die Entscheidung getroffen worden - wir wollen eine Partei werden.
Wenn Sie die Annäherung zwischen WASG und Linkspartei rekapitulieren, worin bestand Ihre größte Illusion?
In der Erwartung, dass wir eine ganz andere Qualität an Zustimmung in den alten Ländern haben würden. Dass es mit Oskar Lafontaine vor allem bei Intellektuellen und Künstlern einen qualifizierten Durchbruch geben würde - nicht in Gestalt von Mitgliedern, sondern im Sinne eines aufgeschlossenen politischen Umfeldes. Das man in den Zeitungen auch einmal lesen kann, das ist eine historische Chance, die man zur Kenntnis nehmen sollte und nutzen kann.
Weshalb blieb das aus?
Das hat mit der gesellschaftlichen Situation in der Bundesrepublik zu tun, dass uns viele nicht wollen. Viele kritische Intellektuelle fühlen sich eben ganz wohl in einer Haltung, die besagt: Das mag ja ganz gut sein mit der Linkspartei, aber ...
Wundert Sie das? Schließlich hat die Linke sage und schreibe 17 Jahre gebraucht, um einer gemeinsamen Partei näher zu treten.
Dafür wird es vernünftig. Wir waren eben in den alten Ländern als PDS immer so etwas wie eine ausländische Partei. Die Diskrepanz, Volkspartei im Osten und sehr klein im Westen, die wurde auch kultiviert. Und jetzt plötzlich, zum Beispiel an der Saar, ist das ganz anders, jetzt sind wir dort auch auf dem Weg zur Volkspartei.
Das Gespräch führte Lutz Herden
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