Wir wollen doch alle Ravioli

MATTHIAS POLITYCKI Der Schriftsteller über Bestseller, Spätavantgarde und das Bedürfnis nach Trivialliteratur

Freitag: In "Die Farbe der Vokale" zitieren Sie Nietzsches Klassifikation der Kunst in "Kunst aus Mangel" und "Kunst aus Überfluss". Welcher Antrieb ist und war für Ihr anfängliches Schreiben ausschlaggebend?

Matthias Politycki: Immer beides zugleich: Man macht seinen Mangel zum Überfluss, seinen Mangel an Liebe, an Geliebt-Werden, in einem gewissen Alter hat man ja mit der ganzen Welt ein Problem: Alles ist ein Rätsel oder mit Brettern vernagelt oder unerreichbar - keine leichte Zeit! Man begreift natürlich nicht, dass der Mangel auch ein Überfluss ist, denn manche scheinen diesen Kummer ja ganz offensichtlich nicht zu haben, und wie gern wär man auch so einer! Aber der Kummer ist, im nachhinein betrachtet, ein Überfluss an Sehnsucht, an Kraft, sich auf die Welt einzulassen, sie so lange anzusehen, bis unter all den trüben Aussichten auch wieder irgendetwas Heiteres hervorschimmert, im Zweifelsfall halt wenigstens ein Gedicht. Man holt das Leben - jedenfalls das, was man glaubt, nicht von ihm zu kriegen - einfach auf dem Papier nach. Ich habe ein anderes Leben geführt als die Hauptfigur meiner beiden letzten Romane, des Weiberromans und des Manns von vierzig Jahren, Gregor Schattschneider, zum Glück. Gerade, indem ich ihn vieles so machen lassen, wie ich's nicht gemacht habe, oder Sätze sagen lasse, die ich mich nie getraut hätte zu sagen, hole ich wahrscheinlich etwas nach, das ich versäumt habe. Es wäre ja völlig langweilig, wenn ich alles so schreiben würde, wie ich's selbst erlebt habe.

Hinsichtlich des Leserbezugs von Literatur zeichnen sich bei Ihnen zwei Präferenzen ab: Einerseits soll Literatur heraus aus dem "Homeland" für die "Bildungseliten", soll "volkstümlicher" werden; andererseits müsse Literatur "elitär" bleiben und sogar ein bestimmtes Maß an Lesewiderstand oder "Missvergnügen" bei der Lektüre einkalkulieren. Glauben Sie daran, dass Literatur tatsächlich diesem Kalkül gerecht werden kann?

Das ist ein Spagat, klar. Ein Rezensent hat meine Position mal die "Suche nach dem dritten Weg" genannt, das hat mich gefreut. Mich stört dies dauernde entweder/oder; manche Gegensätze sind nicht bloß dazu da, dass man sie aushält, sondern dass man was draus macht. Es ist nämlich nichts prinzipiell Schlechtes daran, einen Bestseller zu schreiben! Bestseller muss es schon deshalb geben, weil dadurch neue Leser angeworben werden - man fängt ja nicht gleich mit Joyce an, man darf ruhig mit Vom Winde verweht beginnen und sich dann hochlesen. Die eigentliche Literatur ist natürlich hochelitär, übrigens dort am allerraffiniertesten, wo sie ganz leicht und locker daherkommt und also fast schon im Schafspelz eines Bestsellers. Wohlverstandener Elitarismus hat seinen literarischen Sinn; was mich bis zur 1995er-Trendwende gestört hat, ist einzig dieser Pseudoelitarismus einer Spätavantgarde, für die der Leser eher ein notwendiges Übel ist. Lesen ist mittlerweile ein freiwillig betriebenes Minderheitenprogramm, da darf ein Buch ruhig auch mal Spaß machen, gerade dann, wenn's im Grunde tieftraurig ist. Das Zauberwort scheint mir "Mehrfachcodierung" zu sein: dass man also einen Text ganz vergnügt - aus Lust an der Geschichte oder an einer Figur, mit der man sich identifiziert - einfach nur runterlesen kann, gleichzeitig aber auch die größten Tüftler auf ihre Kosten kommen, also Leser, deren Ansprüche nicht so leicht befriedigt werden können, Leser, die Anspielungen entdecken wollen, die sich an der Rhythmik von Sätzen erfreuen, an Leitmotiven: All das vermittelt ja kein geringeres Vergnügen. Wenn man ein Buch auf sämtlichen Ebenen, mal so und mal so, lesen kann, dann hat es alle Chancen, eine Weile lang zu bleiben.

"Die Masse der Leser fordert Pilzgerichte und Ravioli aus der Dose - und man wäre ja dumm, wenn man sie mit Alternativen belästigen wollte." Auf diese Weise beschreiben Sie den Wunsch der breiten Masse nach einer Unterhaltungsliteratur. Woran könnte es liegen, dass die Mehrheit nur "Ravioli" will?

Die meiste Zeit unsres Lebens wollen wir ja alle Ravioli - eben überall dort, wo wir nicht gerade Fachleute sind. Zum zweiten glaube ich, und auch in diesem Punkt bin ich Nietzscheaner, dass es kein Individuum mehr gibt: Jeder für sich ist schon ein Dividuum - ein mehrfach in sich geteiltes Wesen, das überraschende Kehrtwendungen innerhalb eines Tages vollziehen kann. Nehmen wir mal an, wir würden nach diesem Gespräch noch auf den Kiez gehen - wetten, dass wir da mitunter recht raviolihafte Gesprächsbeiträge absondern würden? Und mit Recht; dieses Bedürfnis nach Trivialität gibt's in jedem Menschen, zumindest phasenweise, und sollte auch ohne schlechtes Gewissen gedeckt werden. Im Literaturbetrieb scheint sich's jedoch gerade ein bisschen über Gebühr durchzusetzen, Stichwort Popliteratur, und man müsste eigentlich alles dafür tun, wieder die Gegenseite zu ihrem Recht kommen zu lassen, die Ravioli-Verächter.

In Ihrem Essay "Romane (nicht) lesen, Romane (nicht) schreiben" äußern Sie sich über das Verhältnis Leben/Lesen wie folgt: "[...] denn das Leben, das Selber-Leben, ist allemal wichtiger als das Lesen übers Leben, auch wenn das Lesen, zugegebnermaßen, mitunter das Leben sein kann." Ist es ein Anspruch für einen Schriftsteller, einem Leser das Lesen zum Leben zu machen? Haben Sie diesen Anspruch an sich selbst?

Selbstverständlich - ein Buch ist heute ja kein Wert an sich mehr. Wenn es gelesen werden will, muss es sich gegen weit mehr an Konkurrenzangeboten durchsetzen als noch vor zwanzig Jahren. Und zwar ausschließlich mit literarischen Mitteln, es darf sich nicht verstellen und an die Erfolgsstrategien andrer Medien anbiedern, darf kein Pop-Ereignis werden wollen (in dem "bloß" noch die Musik fehlt), kein Fernsehkrimi (bei dem "bloß" die Bilder fehlen). Ein Buch muss aus sich selbst heraus so stark sein, dass es dem Leser, jedenfalls einen Abend lang, mehr Leben vermitteln kann als alles andre - es reicht mir überhaupt nicht, wenn man einen Prosatext intellektuell begreift, und schon gar nicht, wenn man ein Gedicht subtil interpretiert. Der Sound des Gedichts muss vielmehr so unwiderstehlich sein, dass man am liebsten wieder manche Zeilen auswendig lernen möchte. Dafür aber scheint's mir eine unabdingbare Voraussetzung, dass man als Schriftsteller möglichst viel und möglichst intensiv erlebt, und sei's beim Begießen der Zimmerpflanzen. Nur so kommt man immer wieder an seine eigene Verletzbarkeit - durch Ereignisse, die einen beschäftigen, aufwühlen, jedenfalls so massiv angehen, dass es einem die Sprache verschlägt: Erst aus dieser Sprachlosigkeit heraus kann man, möglicherweise Jahre später, zu einer Sprache finden, die auch für andre mehr ist als eine Aneinanderreihung von Worten zugunsten eines Inhalts.

"Unter den grimmigen Messerwerfern der jüngeren deutschen Literatur ist Matthias Politycki der gelassene Equilibrist." hat Hubert Spiegel in der FAZ einmal gesagt. Friedhelm Rathjen nennt es den Dritten Weg. Ist diese Geisteshaltung des mittleren Maßes, die Sie auch mit Nietzsches Perspektivismus einfangen, daß Sie sich zugestehen wollen, das Paradox auszuhalten, kennzeichnend für Ihren Charakter?

Nietzsches Perspektivismus, also ein dogmatischer Perspektivismus, ist gewissermaßen das Gegenteil dieses freischwebenden Zynismus, den wir zur Zeit von vielen Essayisten in den Feuilletons vorgeführt bekommen. Es ist sehr leicht, etwas lächerlich zu machen, indem man sich auf die Position einer darüberstehenden Ironie begibt. Wirklich legitim ist Ironie - auch perspektivische Ironie - erst dann, wenn man die Sache aus einer Leidenschaft heraus angeht, meinetwegen sogar aus einem Dogmatismus heraus: wenn man polemisch ist, weil man etwas will, und nicht, weil man etwas kaputtmachen will, das ist der Unterschied.

Ein "mittlerer Weg" scheint in der Feuilletonkultur schwierig zu sein.

Die Zeit ist reif, sich von den alten Denkkategorien zu verabschieden und für eine Erneuerung nicht nur der Literatur zu kämpfen - die ist ja bereits voll im Gange -, sondern auch für einen neuen Begriff, den man sich in den Feuilletons von ihr machen sollte. Kategorien wie E- oder U-Literatur haben sich inzwischen erledigt, ein guter E-Roman muss wie ein U-Roman daherkommen - und umgekehrt -, ansonsten ist er eben nicht gut. Denken wir jetzt doch mal über die Synthese von E und U in einer EU-Literatur nach bzw. über das, was vielleicht darin stecken könnte: eine übergreifende "Europäischen Ästhetik". Wäre doch dringend nötig, angesichts der fortschreitenden Kolonialisierung der Welt durch US-Kultur! Man muss sich von liebgewonnenen, strategisch gewählten Vokabeln auch mal verabschieden können, nicht von den Zielen, die man damit verfolgt hat. Es geht ja nicht darum, einen Weg zu finden, im Grunde befindet man sich ohnehin immer auf mehreren gleichzeitig.

Gerhard Roth hat einmal die These entworfen, dass literarische Formen in den meisten Fällen aus bloßer "Notwehr" durchbrochen werden. Haben Sie auch diese Erfahrung gemacht?

Nein, die eruptiven Momente des Schreibens, diese zwanghaften Erstniederschriften, sind sowieso jenseits alles Formalen. Da denke ich an nichts außer an den Inhalt, erst sehr viel später kommt die formale Gestaltung. Auch wenn ich dann jedes Wort der Erstniederschrift austausche, bleibt der Grundtenor erhalten, der Grundimpetus, auf den alles ankommt, vielleicht auch gewisse formale Strukturen, die ich gar nicht willentlich gewählt habe. Man hat ja fast Angst bei derartigen Niederschriften, Angst, die momentane Idee könnte unterderhand wieder entschlüpfen - vielleicht werden literarische Formen also manchmal aus Angst durchbrochen, aber sozusagen nebenbei, weil das Schreibtempo viel zu hoch ist, als dass man an so etwas überhaupt denken könnte. - Notwehr ist's vielleicht, wenn ich überhaupt anfange zu schreiben. Aber wie ich diesen Schreibdruck dann letztlich an den Leser weiterreiche, wird auf einem langen Weg der Korrekturen entschieden, am Anfang mit der Grobfeile, zum Schluss mit der Fusselbürste.

Muss jede Epoche eigene literarische Formen generieren?

Die Frage ist ja an sich: Kann man als einzelner überhaupt noch etwas Neues schaffen? Den Ehrgeiz dazu müsste man wohl haben. Wo wäre allerdings das Neue zu packen? Bestimmt nicht da, wo man's aktiv sucht, sondern dort, wo man's zufällig findet, bei neuen Kombinationen altbewährter Techniken, beim Rückgriff auf längst vergessene Formen - so war's schon immer. Aber was erscheint uns denn im Rückblick als neu? Das, was von der Geschichtsschreibung als das Neue kanonisiert wurde. Anderes, das zum selben Zeitpunkt genauso neu war, fällt dadurch plötzlich weg. Vielleicht gilt in weiteren 200 Jahren gar nicht mehr die deutsche Klassik als das, was damals bahnbrechend war für die literarische Entwicklung, sondern die Romantik? Seitdem wir uns drauf geeinigt haben, dass wir in der Postmoderne leben, wissen wir immerhin schon, was wir nicht mehr sein wollen: nämlich modern, das wäre ja unmodern. Trotzdem ist es natürlich viel leichter, klammheimlich weiterhin "modern" zu schreiben (oder gar "vormodern"), weil man sich dabei bewährter Techniken bedienen kann. Mich selbst würde das beim Schreiben ziemlich langweilen, nur wenn ich neugierig bin, kann ich einen Text auch aussitzen, meinetwegen über Jahre.

Diese These beinhaltet ja die zutiefst moderne Vorstellung, dass literarische Formen fortschrittsfähig sind. Dann würde Thomas Mann also besser schreiben als Fontane?

Sagen wir mal Musil. Und auch nicht besser in dem Sinne, dass ein Dreischerenblatt besser rasiert, also fortschrittlicher ist als ein Zweischerenblatt. Fortschritte in der Literatur verstehen sich doch eher im Hegelschen Sinne: Sämtliche Stufen eines Prozesses sind in dessen jeweils letzter, aktueller Stufe enthalten. Die Literaturgeschichte ist nichts andres als ein fortwährendes dialektisches Umschlagen von einem Extrem ins andre, wenn Sie so wollen, von der Aufklärung zur Empfindsamkeit oder sogar zum Sturm und Drang, vom Sturm und Drang zur Klassik - immer geht es hin und her. Und dabei hinauf oder auch hinab, jedenfalls voran - man darf allenfalls Zeitgenossen gegeneinander ausspielen, also eine Erzählung von Thomas Mann gegen eine von Hofmannsthal, ein Gedicht von Goethe gegen eins von Brentano.

"Die angebliche Krise der deutschen Literatur ist in Wirklichkeit eine Krise der deutschen Literaturkritik." Dieses Statement geht bei Ihnen seit Jahren einher mit der Aufforderung an die Literaturkritik, Geschmacksurteile zugunsten einer formal deskriptiven Ästhetik zu überwinden, die entscheiden kann, ob ein literarischer Text "gut" ist. Ist das nicht ein Widerspruch, sich einerseits als postmoderner Denker zu gerieren und sich andererseits an literarischen Direktiven abzuarbeiten?

Der Satz, den Sie da zitieren, ist ja nicht von mir, sondern von einem Kritiker. Außerdem bin ich kein postmoderner Denker, sondern Nietzscheaner, wie gesagt, also gleichzeitig Dogmatiker und Perspektivist, Anti-Dogmatiker. Im konkreten Fall: Es wäre doch schön, wenn man als Autor wieder wüsste, gegen welche herrschenden Idealvorstellungen von Literatur man verstoßen könnte. Dadurch, dass seit ein paar Jahren wirklich "anything goes", lässt sich jedes Urteil über ein Buch begründen, vom extremen Lob bis zum Verriss, es gibt ja nichts Verbindliches mehr, keinen noch so geringen Minimalkonsens darüber, was als gut oder wenigstens als wichtig gelten könnte - in der Musik nicht, in der Bildenden Kunst erst recht nicht, in der Literatur neuerdings auch. Also kommt's nicht mehr so sehr drauf an, was über ein Buch gesagt wird, sondern wer es sagt und in welchem Medium. Wenn das so weitergeht, dann haben wir bald wieder archaische Cliquen- und Höhlenwirtschaften mit ihren je eignen Codes und Regelsystemen, und das gesellschaftliche Gespräch zerfällt in ein permanentes Gemurmel verschiedner Insidergruppen. Das kann nicht der allerbefriedigendste Zustand einer Gesellschaft sein.

Ihnen geht es darum, Geschmacksurteile zu überwinden, literaturkritische Kriterien zu entwickeln, die entscheiden können, ob ein Text gut ist.

Ich hab ja gar nichts gegen Geschmacksurteile, nur gegen Leute, die glauben, damit auch schon ein ästhetisches Urteil abgegeben zu haben. Und: Ich will gewiss keinen gesamtgesellschaftlichen Konsens. Ästhetik ist auch keine Sache der Demokratie, sondern war schon immer elitär. Wir müssen uns davon lösen, dass der Begriff "elitär" von vornherein negativ besetzt ist; Eliten sind - als Funktionseliten - für eine Gesellschaft unverzichtbar, denken Sie nur mal an die Zahnärzte. Die würden sich sauber bedanken, wenn über jeden neuentwickelten Bohreinsatz erst mal von ihren Patienten abgestimmt würde. Was die Ästhetik betrifft, so sollten auch hier nur die eine Stimme haben, die sich mit ästhetischen Fragen auseinandersetzen, und das werden sehr wenige sein: Ästhetik ist ja nicht bloß eine philosophische Disziplin, sondern ein Lebenskonzept. Man kann nicht nur in Sachen Literatur Ästhetiker sein, man muss es auch bei Hemdknöpfen sein und bei Kaffeekannen.

Seit Mitte der 90er haben Sie einen Wandel in der deutschsprachigen Literatur festgestellt, begrüßen seitdem, dass es einige Autoren geschafft haben, eine "welthaltige", formal ambitionierte Prosa, eine "Literatur der Neuen Lesbarkeit", zu komponieren. Wodurch ist diese Zäsur Ihrer Meinung nach entstanden?

Wie jede Zäsur war auch die um 1995 nicht abrupt, sondern fließender, als man glaubt, und die Generationendebatte - als Fortführung der Debatte um E- und U-Literatur - hat dabei keine ganz geringe Rolle gespielt. Durch sie hab ich gelernt, dass ich sogar noch mehr Berührungspunkte mit meinen schreibenden Altersgenossen habe, als ich ursprünglich dachte. Durch die 78er-Debatte ist plötzlich eine ganze Menge in Bewegung geraten, was manche 68er wohl gern noch eine Weile verhindert hätten. Es ließ sich halt einfach nicht länger verheimlichen, dass es eine Literatur nach der Gruppe 47 gibt, die mindestens ebensogut ist. Und sogar eine, die's schon jahrelang, jahrzehntelang neben ihr gab: Robert Gernhardt, von den "seriösen" Feuilletons beharrlich totgeschwiegen, wurde endlich in den Kanon der deutschen Gegenwartsliteratur aufgenommen - eigentlich ein Skandal, dass er dazu erst 60 werden musste!

Demnach ist gar keine neue Literatur entstanden, sondern die Perspektive auf diese ist erweitert worden?

Aus dem Stand heraus entsteht doch niemals was, am allerwenigsten etwas Neues. Es setzt sich immer bloß etwas durch, was es auch vorher schon gab, was aber aus irgendwelchen Gründen nicht so recht wahrgenommen oder jedenfalls gewürdigt wurde. Damit stehen dann zwangsläufig auch die alten literarischen Auswahlkriterien zur Disposition, mit einem Mal darf die Literaturgeschichte neu gesichtet und ein Autor neu gewichtet werden. Wann werden die Texte der alten Titanic als Teil unsrer Literaturgeschichte begriffen, als generationenprägende Erziehung zum scheinbar freischwebenden Humor, der einzigen Art und Weise, wie wir noch richtig ernsthaft werden können?

Sie haben Ihren letzten Roman im Internet geschrieben. Hat die Literatur mit dem Internet eine neue Perspektive gewonnen?

Für manche Autoren schon - die sind heftig dabei, das neue Terrain abzustecken. Ich hingegen bin ein Papier-Autor, ein bekennender Offline-Autor, gerade auch jetzt, wo ich - ein reiner Zufall - dermaßen lang und intensiv online mit meinem Roman war wie, glaub ich, noch kein andrer zuvor. Das zehrt. Immer wieder hat man über dieses Projekt in den andern Medien berichtet: also über einen Roman, der genau genommen noch gar nicht existierte - wenn das keine verrückte Situation ist für den, der ihn schreiben soll!

Das Gespräch führten Daniel Lenz und Eric Pütz

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden