Wirkungen einer Bierzelt-Rede

USA Angela Merkel hat mit ihrer Rede in München für viel Wirbel gesorgt. Franz Josef Strauß würde, wenn er es noch könnte, sie um die erzielte Wirkung beneiden
Ausgabe 22/2017
Trotz Bierzelt-Neid: Franz Josef Strauß hätte sich wahrscheinlich blendend mit Trump verstanden
Trotz Bierzelt-Neid: Franz Josef Strauß hätte sich wahrscheinlich blendend mit Trump verstanden

Foto: Werek/Imago

In einem bayrischen Bierzelt kann man sich nicht betrinken. Das bayrische Bier ist zu dünn. Man kann einfach in drei oder vier Stunden unmöglich so viel Flüssigkeit in sich hineinschütten, dass man davon betrunken wird. Im Bierzelt müssen andere Attraktionen für Stimmung sorgen. Auf dem Oktoberfest ist das die Blasmusik. Anderswo können das deftige Reden der Politiker sein. Man kennt das bundesweit vom politischen Aschermittwoch. Jetzt kennt man es auch vom Wochenende in München-Trudering. Und zwar sogar in Amerika, wie sensationell aufgemachte Berichte in der New York Times und in der Washington Post bezeugen.

Für Deutschland liegt das Sensationelle darin, dass es Bundeskanzlerin Angela Merkel war, die mit einer Bierzelt-Rede für den Wirbel gesorgt hat. Franz Josef Strauß würde, wenn er das noch hätte erleben dürfen, Merkel und die erzielte Wirkung beneiden. Nicht um den Auftritt. Aber wo Strauß mit der Dampframme arbeitete, reicht es bei Merkel, wenn sie ein wenig deutlicher wird als sonst: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei“, sagte Merkel. Später zitierte sie im Angesicht Horst Seehofers Strauß, man blicke zurück in Dankbarkeit, voraus mit Zuversicht – und gläubig hinauf. In Niedersachsen, wo es die meisten CSU- und Strauß-Fans außerhalb Bayerns gibt, ist man Deftigeres gewohnt.

Was die Bundeskanzlerin gesagt hat, gehört seit langem zu den Einsichten in puncto internationaler Politik, an die man sich zu gewöhnen hat. Die USA wollen nicht mehr und sollen auch nicht der Weltpolizist sein. Die Europäer müssen mehr für sich selbst sorgen – und zwar als Europäer, nicht so sehr die Nationen für sich allein. Aber nach dem Auftritt von Donald Trump in Brüssel und Taormina ist jedem klar geworden, dass dies kein Thema für Diskussionen mehr ist, sondern eine harte Tatsache. Die hat Merkel – oder auch „Mutti“ – unmissverständlich, wenn auch mit rhetorischen Einschränkungen zum Ausdruck gebracht. Übersetzt sagte sie den Europäern: „Ab morgen musst du in die Schule gehen. Und das Hochbett wird auch abgebaut.“ Das Bierzelt rast.

Aber die Leute dort bleiben nüchtern. Die AfD-Figuren vor dem Zelteingang hatten keine Chance, sich beim Wendemanöver der CSU störend unter die Merkel-Begeisterten zu mischen. Man kann hierin eine kulturelle Überlegenheit des Südens sehen. In Westfalen heißt es: Halb besoffen ist weggeschmissenes Geld. Im bayrischen Bierzelt besäuft man sich an starken Reden – auch wenn sie nur relativ stark sind. Wie soll da Leitkultur funktionieren?

Der Autor und Journalist Jürgen Busche schreibt in seiner Kolumne Unter der Woche regelmäßig über Politik und Gesellschaft

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