Wirkungstreffer beim Schattenboxen

GRATWANDERUNG Gernot Erler, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, über Europas Streit mit dem großen Bruder und die Gratwanderung zwischen Militarisierung der EU und Europäisierung der NATO

Die EU-Staaten geben sich in ihrer Mehrheit nach außen hin unbeeindruckt - trotz einer teilweise harschen Kritik aus Washington bleiben sie bei ihrem Vorhaben, die Union mit einer militärischen Komponente auszustatten. Gerade wurde in Brüssel beschlossen, dem Projekt ein Rückgrat aus den entsprechenden Institutionen zu geben und neben einem Militärrrat auch einen Sicherheitsausschuss der EU einzurichten.

FREITAG: Warum hat der Kosovo-Krieg die atlantische Partnerschaft mit den USA derart verändert, dass es zu den inzwischen offen ausgetragenen Differenzen kommt?

GERNOT ERLER: Dieser Krieg hat gezeigt, dass die Europäer für eine solche Intervention nicht über die nötigen Mittel verfügen und bei der Aufklärung, Kommunikation, Kampfführung und Logistik nach wie vor von den USA abhängig sind. Das hat europäische Bemühungen angespornt, hieran etwas zu ändern. So hat im Dezember der Europäische Rat beschlossen, sich dauerhaft auf eine eigene Verteidigungsidentität vorzubereiten. Konkret geht es um ein Korps von 60.000 Mann ab 2003, das bis zu zwei Jahre hintereinander einsatzfähig sein soll.

US-Verteidigungsminister Cohen hat diese Pläne auf der jüngsten Münchner Sicherheitskonferenz als Gefahr für die NATO bewertet - eine überzogene Kritik?

Sie löst ein bisschen Verwunderung aus, da die Amerikaner es selbst waren, die in der Vergangenheit die Europäer immer ermuntert haben, sie sollten doch mehr Eigenverantwortung übernehmen und sich nicht stets darauf verlassen, dass die Amerikaner im Krisenfall schon helfen würden. Man hat den Eindruck, nun - da die Europäer etwas unternehmen - rufen die Amerikaner plötzlich, es sei ja alles nicht so gemeint gewesen.

Cohen hat der EU nahegelegt, in Ihre Pläne auch Nicht-EU-Mitglieder einzubeziehen, die Türkei etwa - wie stehen Sie dazu?

Es gibt konkrete Pläne, wie die Kooperation mit den Nicht-EU-Mitgliedern vonstatten gehen soll, so dass es sich hier um keinen Umstand handelt, an dem die europäischen Pläne scheitern könnten.

Wenn die EU eigene Militärstrukturen aufbaut, einen EU-Militärstab, ein Satellitenzentrum, einen sicherheitspolitischen Ausschuss undsoweiter - dann sind das doch eindeutig Parallelstrukturen zur NATO ...

... das muss nicht so sein, es gibt ja seit 1996 das Konzept der Combined Joint Task Forces, wonach NATO-Kapazitäten bei einem möglichen Einsatz in Europa notfalls auch ohne die USA genutzt werden können. Aber man muss bei dieser Frage auch an bestimmte Enttäuschungen erinnern, die es im Kosovo-Krieg gab, wenn die Amerikaner ihre exklusiven Aufklärungsmöglichkeiten - vor allem über Satellit - als Erkenntnisvorsprung genutzt haben, um über die Zielauswahl im Krieg gegen Jugoslawien zu entscheiden. Daher besteht heute in Europa die Tendenz, sich dort, wo es eine amerikanische Kontrolle über NATO-Kapazitäten gibt, ein bisschen freizuschwimmen.

Warum führt der Weg dazu nicht über eine energischere politische Emanzipation?

Das passiert ja - parallel zu den anderen Bemühungen. Um es deutlich zu sagen, in der EU möchte niemand eine Parallelorganisation zur NATO. Außerdem reichen die Mittel dazu angesichts begrenzter Haushalte der EU-Mitglieder auch bei weitem nicht aus. Lassen Sie mich außerdem folgendes sagen: Die wichtigste Lehre des Kosovo-Krieges besteht für uns als Sozialdemokraten im Versagen der Prävention. Deshalb brauchen wir auch in der EU eine vorausschauende Friedenspolitik. Also sollte man neben allen Investitionen im militärischen Bereich eine ausreichende Konfliktprävention betreiben, was natürlich Geld kostet.

Weshalb plädieren Sie dann nicht dafür, anstelle einer Militarisierung der EU die zivile Konfliktprävention innerhalb der OSZE zu stärken?

Die OSZE ist sicherlich der eine Bereich, aber wir haben schon einige Belege dafür erbracht, was uns ansonsten als der richtige Weg erscheint. Deutschland ist erstmals dabei, einen zivilen Friedensdienst aufzubauen. Wir haben uns zudem durch das Engagement im Stabilitätspakt für Südosteuropa zu einer politischen und wirtschaftlichen Prävention bekannt und innerhalb des Stabilitätspaktes selbst 1,2 Milliarden Mark zur Verfügung gestellt. Schließlich hat die Bundesregierung bei den Rüstungsexporten die politischen Kriterien derart erneuert, dass die Menschenrechte im Vordergrund stehen.

Entscheidend wird sein, wohin die verfügbaren Mittel fließen. Nach unserer Überzeugung sollten sie nicht allein dem Aufbau einer Interventionstruppe zugute kommen, sondern auch all dem, was politischer Prävention dient.

Ein Argument gegenüber Meinungen, die OSZE sei mit den EU-Plänen nun völlig ausgespielt ...

Ein Argument gegenüber allen, die meinen, der Kosovo-Krieg sei nicht eine tragische Ausnahme gewesen, sondern ein Modell für künftige Konfliktlösung in Europa.

Sind die militärischen Vorhaben der EU nicht auch eine Art Prävention mit Blick auf ihre anstehende Osterweiterung?

Die EU-Osterweiterung als zentraler Prozess innerhalb der europäischen Integration ist europäische Friedenssicherungspolitik. Ich glaube, die Lage in Mittelosteuropa ist heute deswegen so stabil, weil wir hier schon Länder haben, die teils schon NATO-Mitglieder sind, teils in der ersten Reihe der EU-Anwärter stehen. Es ist kein Zufall, dass mit dem Stabilitätspakt auch das Angebot an die unsichere südosteuropäische Region verbunden ist, sich jetzt schneller für eine europäische Integration zu qualifizieren. Das zeigt die Hauptlinie von Konfliktvermeidung: Eine praktische Kooperation der Länder untereinander ermöglichen und sie kooperationsfähig für Europa zu machen.

Wobei man aber wohl auch Serbien und Montenegro einbeziehen müsste ...

Die Europäer sind der Meinung, dass eine Stabilisierung auf dem Balkan ohne Jugoslawien nicht vorstellbar ist. Wir hoffen immer noch, dass ein erfolgreicher Stabilitätspakt natürlich auch seine Wirkung auf die Bevölkerung - auf die Wähler - Jugoslawiens nicht verfehlt. Dass Entwicklungen ausgelöst werden, die dazu führen, Jugoslawien in den Kreis der Staaten zurückkehren zu lassen, die sich auf eine europäische Integration vorbereiten. Ein Schritt könnte die Aussetzung der Sanktionen sein, die sich bisher nicht wie gewünscht als Problem für das Regime Milos?evic´ erwiesen, sondern eher zur Stärkung der politischen Klasse in Belgrad geführt haben - genau das Gegenteil von dem, was eigentlich beabsichtigt war.

Das Gespräch führte Lutz Herden

Für Sie oder Ihren Hasen

6 Monate den Freitag mit Oster-Rabatt schenken und Wunschprämie aussuchen

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden