Wohin am Ende des Entwicklungszeitalters?

ÖKOLOGIE Im Gespräch mit Wolfgang Sachs über die Schwierigkeit, Worte und Einstellungen zu finden, die der Situation auf dem Globus adäquat sind

FREITAG: Mit welchem Selbstverständnis haben Sie Ihr Ihr neues Buch "Planet Dialectics" geschrieben, rechnen Sie mit Reaktionen aus Entwicklungshilfeinstitutionen oder der Wirtschaft?

WOLFGANG SACHS: Ich buchstabiere eine Minderheitsperspektive durch, die ich am Leben erhalten und sichtbar machen will für alle, die eine ähnliche Sensibilität teilen. Ich will Alternativen zur Wachstumsgesellschaft offerieren, aber ich erwarte keine Reaktion beispielsweise von Institutionen.

Was Sie empfehlen, würde beispielsweise GTZ und KfW arbeitslos machen.

Beim gesamten entwicklungspolitischen Establishment gibt es eine gespaltene Reaktion: Manche Leute sehen mich zuständig dafür, das Unbehagen zu formulieren, aber nicht zuständig dafür, das Umsetzbare zu schaffen. Es gibt keine unüberwindbare Distanz, aber zwei unterschiedliche Wahrheiten und damit auch Herausforderungen: die der Politik und die der Intellektuellen.

Sie widersetzen sich der von der Stiftung Weltbevölkerung und vom BMZ forcierten Interpretation, die Zahl der Menschen im Süden sei ein Gefährdungspotential.

Richtig. Das Entwicklungszeitalter hat ein doppeltes Erbe hinterlassen, es spaltet sich auf in eine Globalisierungs- und in eine Sicherheitsdiskussion: Wie kann man den Dollar kreisen lassen - bzw. wie eine Konfliktbegrenzungspolitik mit Krisenreaktionskräften bis zum Weltfriedensdienst organisieren. Wer heute von "Entwicklung" redet, glaubt nicht mehr an die Möglichkeit einer Entwicklung für alle zu unserem Wohlstand. Mary Douglas sagte einmal, über Sicherheit und Risiko zu sprechen, sei die letzte moralische Ressource unserer Gesellschaft. Was sonst mobilisiert noch, wenn der Appell an Solidarität und Gerechtigkeit seine Wirksamkeit verloren hat. Heute bewegt sich nur noch etwas, wenn Sicherheitsbedürfnisse im Spiel sind. Das weiß auch die Ministerin.

Was würden Sie als Entwicklungshilfeminister tun?

Zwei Dinge: Statt Entwicklungsversprechen die Lebensfähigkeit der Menschen und Kulturen, sustainable livelihoods, in den Mittelpunkt stellen. Also nicht die Gegenwart der Zukunft opfern, sondern die Gegenwart schätzen. Dafür gibt es kein universal genormtes Leitbild. Trotzdem ist es das Gegenteil von Stagnation. In den peruanischen Anden sagten mir einmal Bauern, sie wollten ihre Region nicht entwickeln, sondern zum Blühen bringen. Entwickeln setzt ein fernes Ziel voraus, dem viele zustreben, während Aufblühen heißt, wir kommen dem, was wir richtig finden, näher.

Der andere Punkt, auf den ich mich konzentrieren würde: Müssen Entwicklungsländer wirklich den Weg der industriellen Entwicklung durchlaufen, oder können sie gleich dort ankommen, wo der Rest der Welt auch hinkommen muss? Dafür müsste man Abschied nehmen von der Leitbildfunktion des Nordens - insofern ist das eben keine konventionelle Entwicklung im Sinne der letzten 50 Jahre.

Aber nochmal: Das Gegenteil von development ist nicht Stagnation. Menschen müssen die Möglichkeit haben, ihre Lebenssituation verbessern zu können. Tradition muss kein Stein am Bein sein, sondern kann eine Ressource sein.

Sie lehnen den Begriff "Entwicklung" ab, schlagen aber keinen alternativen Sammelbegriff für "Entwicklungsländer" vor.

Muss ich das? Vielleicht "Länder des Südens", das ist immerhin neutral. Aber es ist auch ein Witz, den Globus in zwei Teile zu teilen. Ein Artefakt. Der Süden ist heute im Norden und der Norden im Süden. Zudem: Es gibt heute den Nationalstaat nicht mehr, der dem Entwicklungsgedanken zugrundeliegt. Auch deshalb ist das Entwicklungszeitalter zu Ende. Ein Problem der Diskussion heute ist, dass uns die Worte fehlen, die Welt zu beschreiben, ohne über Staaten und Nationen zu sprechen. Ich spreche von "globaler Mittelklasse" und "sozialer Mehrheitswelt", das ist ein Versuch einer realitätsnäheren Terminologie, aber zufrieden bin ich damit noch nicht. Dahinter verbergen sich immer noch diverse Gruppierungen mit sehr unterschiedlichen Machtchancen.

Einerseits sagen Sie, man solle die Globalisierung wahrhaben, andererseits kritisieren Sie vehement den Erdgipfel von Rio, der die Welt an einen Tisch brachte. Weshalb?

Die Hauptzerstörer des Ökosystems sind im Norden, also hätten die G7 oder die größten transnationalen Konzerne massive Reduktionen und eine neue Entwicklungsrichtung beschließen müssen. Die Schwäche aller internationalen Umweltabkommen liegt darin, dass sich darin Nationalstaaten zu Reformen im eigenen Land verpflichten. Die WTO dagegen zielt darauf ab, nichtstaatliche Akteure, die transnationalen Unternehmen, zu stärken. Das ist sehr viel wirksamer. Die Umweltabkommen sind einer globalisierten Welt sehr viel weniger angemessen als die WTO.

Sehen Sie Fortschritte bei den Umweltabkommen?

Kyoto ist schon ein Erfolg. Immerhin haben sich die Staaten auf verbindliche Ziele eingelassen, sogar die USA, wenn auch mit Schlupflöchern, die so groß sind wie Scheunentore. Man arbeitet sich langsam auf ein höheres Niveau der Diskussion. Beim nächsten Mal geht es dann nicht mehr um die Notwendigkeit von Reduktionszielen, sondern die Frage, wie bequem die Hintertüren sein dürfen. Wir sind heute weiter als vor zehn Jahren.

Aber es gibt doch nicht unendlich viel Zeit! Joint implementation und die Verschmutzungsbörse, die ja übrigens von Ihrem früheren Institutsleiter Ernst-Ulrich von Weizsäcker sehr propagiert wurde, sind doch keine Erfolge!

Stimmt, das sind keine Fortschritte. Die geographische Flexibilität muss eingeengt werden.

In Ihrem Buch betonen Sie in jedem Kapitel die Endlichkeit der Erde, ihre begrenzte Möglichkeit, Schadstoffe zu absorbieren. Woher nehmen Sie jetzt diese entnervende Geduld? Die Situation heute ist doch schlimmer als vor zehn Jahren.

Ja, wenn die USA die Schlupflöcher von Kyoto maximal ausschöpfen, dürfen sie ihren CO2-Ausstoß sogar noch erhöhen. Ich halte überhaupt nichts von globalem emmissions trading, aber es ist, politisch betrachtet, ein hervorragender Ansatzpunkt, um die equity-Diskussion voranzubringen. Es gibt auch hier zwei Wahrheiten.

Allerdings: Vom Ressourcenzustand haben wir heute Rio minus Zehn. Dazu kommt noch eine neue Forschheit. Was man gegen die tun kann, weiß ich wirklich nicht.

Sie mokieren sich mehrfach über Kollegen des Wuppertal Instituts und schreiben, die "gospel of efficiency" sei blauäugig. Auf der anderen Seite setzen Sie selbst auf "Faktor 10". Wie wollen Sie so zu "sufficiency" kommen, die Sie für unverzichtbar halten?

Die Suffizienz-Entscheidung muss an erster Stelle stehen, also beispielsweise der Entschluss, ein Ökoauto zu bauen, das nur 100 km/h fährt. Suffizienz heißt nicht, an einen Sportwagenfahrer zu appellieren, nicht schneller als 100 km/h zu fahren. Es geht auch nicht nur darum, ein treibstoffeffizientes Auto zu bauen. Ein verbrauchseffizienter BMW ist niemals ein Ökoauto.

Wie wollen Sie in unserer Wettbewerbskultur Selbstbeschränkung zum Leitbild machen?

Ich finde die Idee eines leistungsbeschränkten Autos charmant. Car-sharing geht in die gleiche Richtung, hier geht es um die Verfügbarkeit. Auch ein Niedrigverbrauchshaus ist eine Verbindung von Suffizienz und Effizienz.

Sie setzen voraus, der einzelne Mensch wüsste, was er braucht, und könnte das auch selbstbewusst artikulieren. Aber die Entwicklung geht in eine andere Richtung: Es werden bestimmte Menues angeboten, und daraus sucht man sich etwas aus. Computernutzer werden dazu erzogen, keine über das Menue hinausgehenden Wünsche mehr zu haben. Außerdem gibt es das kulturelle Muster, Selbstbeschränkung als Schwäche auszulegen. Wie wollen Sie da Suffizienz zum Leitbild machen?

Generell habe ich dafür keine treffsichere Strategie. Aber Erfahrungen und Einstellungen verändern sich im Lauf der Zeit: Krieg gegen Frankreich ist für mich undenkbar, aber noch für meinen Großvater war es klar, dass es irgendwann wieder "gegen den Franzos" gehen würde, weil es immer wieder "gegen den Franzos" gegangen ist. Beim Zeitwohlstand beispielsweise spürt der einzelne sehr schnell, dass es besser ist, sich nicht mit zu viel abzugeben, sich nicht von allem einfangen zu lassen, sondern nur so viel zu nehmen, dass man dem noch den eigenen Stempel aufdrücken kann. Das erleben viele Leute. Sie wollen weniger arbeiten und mehr Freizeit haben.

Das kann sich aber nur die Mittelschicht leisten.

Das glaube ich nicht. Gucken Sie, wofür Menschen Geld ausgeben. Brauchen sie das alles? Die Frage ist doch: Wofür gebe ich das verdammte Geld aus, was bringt mir das? Lohnt es, dafür so viel zu malochen? Im Grunde ist das ein Blick auf sich selbst aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive. Beide, Reiche und Arme, tendieren dazu, ihren Vorurteilen nachzugehen, beide stellen sich diese Frage nicht.

Okay, gesetzt, viele würden künftig so selbstorientiert leben, welche Konsequenzen hätte das für die Wirtschaft?

Personengesellschaften können sich darauf einstellen. Aktiengesellschaften nicht, denn der Aktienwert basiert nur auf vermutetem Wachstum. Wir brauchen dringend eine ökologische Reform der Aktienmärkte: Aktien müssten auch nach dem ökologischen Benefit bewertet werden. Die Tobin-Steuer würde gefährliche Dynamik aus dem Aktienhandel herausnehmen, die kurzfristige Spekulation. Auch transnational operierende Konzerne sind mehr unter Wachstumsdruck als Klein- und Mittelbetriebe.

Selbstbeschränkung erfordert aber nicht unbedingt ein Ende des Wachstums, sondern ein Ende des Wachstumszwangs. Es ist ja eine Mixtur: Man tut das eine nicht mehr, aber stattdessen etwas anderes, etwas, das weniger Natur kostet. Statt des Airbus ein neuer Flieger, der 600 oder 1000 Leute fasst. Wir könnten im Zeppelin reisen und uns per Computer weltweit gleichzeitig begegnen. Suffizienz wird erleichtert durch Expansion in einer anderen Kategorie. Globalisierung kann sich stärker im virtuellen Raum abspielen - bei größerer Regionalisierung des physischen Verkehrs. Es gibt einen Spielraum im Übergang zur postmateriellen und zur postindustriellen Gesellschaft. Die Frage ist, ob neue Errungenschaften dazu eingesetzt werden, den materiellen Sockel dieser Ökonomie abzuschmelzen oder ob sie einen Beschleunigungsprozess bewirken, der einen noch größeren materiellen Sockel braucht.

Welche Rolle spielen Deutsche bei der notwendigen Neuorientierung?

Ein Problem ist, dass der Gedächtnisschwund derzeit fast nirgendwo so groß ist wie in Deutschland. Wo sind hier noch Antiglobalisierungsaktivitäten? In anderen Ländern gibt es deutlich artikuliertere Minderheiten.

Anderswo, und zwar weltweit, spricht sich inzwischen herum, dass wir den Klimawandel nicht vor uns haben, sondern schon darin sind. Eine Naturkatastrophe ist wie ein Filmriss und man fragt sich, in welchem Film man denn da gesessen hat. Man ist irritiert, weil man in einer doppelten Wahrheit lebte: Zwar war alles richtig - man machte das, was alle machten - aber trotzdem war es falsch. Die Zahl derer, die eine andere Spule auflegen wollen, wächst. Übrigens auch in der Politik: Das bisschen Protest in Seattle hätte man doch früher locker weggesteckt. Der Grad an Selbstsicherheit gegenüber der eigenen Lebensform ist heute sehr gering. Deshalb halte ich es für sehr wichtig, Alternativen zu offerieren.

Das Gespräch führte Stefanie Christmann

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