Sie haben ein Ödland aus Schutt und Trümmern geschaffen und nennen es "Frieden". Das Dorf Srifa - beziehungsweise was davon übrig blieb - besteht aus pfannkuchenplatten Häusern, gesprengten Mauern, aus verhungernden Katzen und eingeschlossenen Leichen. Aber es ist auch ein Ort des Sieges - für die Hisbollah. Deren Kämpfer wandern mit der Aura siegreicher Helden durch die Trümmer. Wer trägt die Schuld an dieser Wüste? Jene Schiitenmiliz, die den Krieg provoziert hat oder die israelische Luftwaffe, die den Südlibanon in Schutt und Asche legte und so viele Menschen tötete?
Wie der Bürgermeister Mukhtar Hussein Kamel el-Din denkt, steht jedenfalls außer Zweifel. Drei Hisbollah-Männer - einer ist am Arm verwundet, die beiden a
e beiden anderen tragen Munitions-Clips -, begegnen uns in den Betontrümmern, und Hussein Kamel ruft ihnen entgegen: "Hallo, ihr Helden!" Und zu mir gewandt: "Wissen Sie, was die so zornig macht? Gott schenkte ihnen nicht die Gelegenheit zum Sterben." Um zu begreifen, welcher Natur dieser einen Monat dauernde Krieg war beziehungsweise welche enorme politische Bedeutung er für den Nahen Osten hat, muss man hier gewesen sein - hier, mit der Hisbollah, südlich des Litani-Flusses und inmitten dieser furchtbaren Verwüstung, und man muss sich erinnern: Israel hatte geschworen, die Hisbollah aus diesem Gebiet zu vertreiben, und dies für immer. In die zerstörte Stadt Khiam aber konnte die israelische Armee erst gar nicht eindringen. Dort feiert die Hisbollah nun um so mehr, sich behauptet zu haben. In Srifa stehe ich neben einigen ihrer Männer. Wir blicken auf die leeren Straßen Richtung Süden. Unser Blick reicht bis nach Israel, bis zur Siedlung Mizgav Am, jenseits der Grenze. Wer hätte gedacht, dass dieser Krieg für Israel so enden würde? Iran und Syrien sind weit von einer Demütigung entfernt, wie das im israelisch-amerikanischen Plan vorgesehen war. Die beiden angeblichen Paria-Staaten stehen unangefochten da, und der Ruf der Hisbollah scheint in der gesamten arabischen Welt besser denn je. Die "gute Gelegenheit", die der Libanon-Krieg für Präsident George Bush und seine Außenministerin Condoleezza Rice darstellen sollte, hat sich als "gute Gelegenheit" für Amerikas Feinde erwiesen, um die israelische Armee als schwach vorzuführen. Seit Tagen lässt sich im Libanon kaum ein israelisches Panzerfahrzeug mehr blicken - abgesehen von einem einsamen Panzer vor Bint Jbeil. Selbst aus der "sicheren" christlichen Stadt Marjayoun haben sich die Israelis mittlerweile zurückgezogen. Jetzt ist klar, die 30.000-Mann-Armee, die - wie berichtet - angeblich nördlich, in Richtung Litani-Fluss, vorstürmte, hat nie existiert. Es ist unwahrscheinlich, dass sich im gesamten Südlibanon während der Kampfhandlungen zum Schluss mehr als tausend israelische Soldaten aufhielten. Derweil setzt sich auf der Küstenstraße aus Richtung Beirut die Rückkehr Zehntausender schiitischer Familien fort, der Strom reißt nicht ab. Auf ihren Autos stapelt sich das Bettzeug, und viele haben Hisbollah-Fahnen oder Bilder von Hassan Nasrallah, dem Vorsitzenden der Hisbollah, auf ihren Windschutzscheiben. An den kaputten Autobahnbrücken und um die Bombenkrater, mit denen die Landschaft übersät ist, staut sich der Verkehr stundenlang. Hier verteilt die Hisbollah sogar gelbe und grüne Flaggen und gedruckte Handzettel, mit denen Eltern dringend davor gewarnt werden, ihre Kinder zwischen den nicht explodierten Bomben, die überall herumliegen, spielen zu lassen. Aber was sind das für Orte, in die man jetzt zurückkehrt? Haj Ali Dakroub, ein 42-jähriger Bauingenieur, hat 1996 einen Teil seines Hauses beim Bombardement der Israelis auf Srifa eingebüßt. Jetzt wurde sein Haus vollständig dem Erdboden gleichgemacht. "Was hat Israel dazu getrieben, alles zu zerstören? Wir leugnen nicht, dass es Widerstand in Srifa gab. Er war vor den Angriffen da und wird auch künftig da sein. Aber in diesem Haus lebte nur meine Familie. Niemand sonst. Warum haben es die Israelis bombardiert?"Zufällig fällt mir ein Ding auf, das aussieht wie ein Raketengehäuse und das am Balkon eines reichlich zerstörten Hauses den Trümmern des Dakroub-Hauses gegenüber hängt. Eine Gruppe Hisbollah-Milizionäre geht nonchalant vorüber und verschwindet in einem Obstgarten. Einer hat eine Pistole im Hosenbund stecken. Waren hier vielleicht einige ihrer Raketen versteckt?Ali Dakroub sagt dazu nichts. "Ich und meine beiden Söhne werden unser Haus wieder aufbauen. In zehn Jahren kommt Israel vielleicht wieder und zerstört es, dann werde ich es eben noch einmal aufbauen. Das hier war ein Sieg der Hisbollah. Die Israelis haben es 1967 geschafft, drei arabische Staaten in sechs Tagen zu besiegen, und hier haben sie den Widerstand in einem ganzen Monat nicht besiegen können. Diese Widerstandskämpfer sind einfach aus dem Boden gekommen und schossen zurück. Sie sind noch hier."Aus dem Boden gekommen, ein Ausdruck, den ich in den vergangenen Wochen immer wieder gehört habe. So langsam vermute ich, dass sich viele dieser Guerilleros in Höhlen, Wohnungen und Tunneln versteckt hielten und nur auftauchten, um ihre Missiles beziehungsweise Infrarot-Raketen auf die israelische Armee abzuschießen, nachdem diese den Fehler gemacht hatte, Bodentruppen in den Libanon zu schicken. Glaubt tatsächlich irgendwer, die Hisbollah werde ihrer eigenen Entwaffnung durch eine neue Truppe aus libanesischen und UNO-Soldaten zustimmen - falls diese Einheiten je eintreffen? Anfang der Woche gab es einen symbolischen Augenblick, als libanesische Soldaten (sie waren schon zuvor im Südlibanon stationiert) und Hisbollah-Kämpfer gemeinsam die Trümmer eines Hauses in Srifa wegräumten, unter denen die Leichen einer ganzen Familie vermutet wurden. Auch das Libanesische Rote Kreuz und Katastrophenschutzleute halfen mit bei der Suche. Letztere immerhin Vertreter jener zivilen Macht, von der erwartet wird, dass sie ihre Souveränität gegenüber der Hisbollah reklamiert. Auch der Bürgermeister von Srifa, der die Hisbollah so offen heroisiert, vertritt jene Regierung. Am Eingang des zerstörten Dorfes hängt ein Poster - Hassan Nasrallah und der iranische Revolutionsführer Ali Chamenei. Offenbar haben die Israelis die Hisbollah in den südlibanesischen Dörfern tiefer verankert denn je.
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