Michael Glos ist in der Regierungsgeschichte dieses Landes nur eine Fußnote. Es gibt keine wirtschaftspolitische, auch keine sonstige politisch-inhaltliche Aktivität, mit der er sich dem öffentlichen Gedächtnis eingeprägt hätte. Solange man sich an ihn erinnern wird, wird man seine Affekte vor Augen haben: Früher die Ruppigkeit, mit der er bei Sabine Christiansen auftrat, heute die Weinerlichkeit, mit der er beteuert, er sei doch gar nicht so "dumm" gewesen, wie man ihm unterstelle, und "einen Vermerk zu lesen" habe ihn durchaus nicht überfordert.
In seinem Abtritt jedoch transzendiert er gewissermaßen seine Bedeutung. Nicht so sehr durch Dinge, die er tut, als durch Kontexte, in die er hineingehört und auf die er nun teils freiwillig, teils unfreiwillig hinweist. Ohne sein Zutun geschieht es, dass man auf den sozialen Hintergrund einer Politikerkarriere aufmerksam wird, weil es aus Anlass der Vollendung dieser Karriere in die Nachrichten drang: Er kommt aus der Familie eines Müllers, ist also ein klassischer Kleinbürger, während der Vater Horst Seehofers, den Glos nicht als Parteivorsitzenden wollte, Lastkraftwagenfahrer war. Mit seinem Zutun wird es geschehen sein, dass man jetzt das Gerücht oder die Hintergrundinformation vernimmt, er sei nicht deshalb zurückgetreten, weil Seehofer ihn ohnehin bald vertrieben hätte, sondern um gegen Peer Steinbrücks Pläne einer Bankenverstaatlichung zu protestieren. Glaubwürdig ist das zwar nicht. Denn dann müsste es auch glaubwürdig sein, dass Steinbrücks Pläne im Bundeskabinett eine hohe Erfolgschance hätten. Warum sollte jemand wegen einer Politik zurücktreten, die noch gar nicht beschlossen ist?
Aber für den Kontext, den diese Spekulationen herstellen, muss man umso dankbarer sein. Denn sofort drängt sich die Erinnerung an einen anderen Ministerrücktritt auf: Lafontaine 1999. Der damalige Bundesfinanzminister trat zurück, weil der damalige Bundeskanzler der Versicherungswirtschaft keine Zügel auferlegen wollte und zur Begründung sagte, man könne "dieses Land nicht gegen die Wirtschaft regieren". Der heutige Bundeswirtschaftsminister tritt zurück, weil sich abzeichnet, dass man eben dies sehr wohl könnte, vielleicht sogar müsste. Oder wenigstens würde er seinen Rücktritt gern so begründen wollen, selbstbestimmt statt von Seehofer getrieben. Dies soll er mit sich selbst ausmachen, es interessiert uns Außenstehende nicht. Dennoch: Indem die Erinnerung auf Gerhard Schröder gelenkt wird, gelingt ein kleiner Beitrag zur politischen Kultur, genauer gesagt zur Pflege des Wirklichkeitssinns. Man sieht nämlich im Vergleich der Rücktritte, dass nicht nur Glos, sondern auch Schröder in der Regierungsgeschichte dieses Landes nur eine Fußnote war.
Kommentare 4
schröder als fußnote? die ist aber ein wenig länger als die von glos, z.b. steht darin:
- abbau des sozialstaates durch agenda 2010/hartz IV
- auslandseinsatz der bundeswehr in serbien/kosovo
- auslandseinsatz der bundeswehr in afghanistan
- deutlich nationale interessenpolitik von deutscher seite in der EU
- sehr unternehmensfreundliche steuerreform, die auch an der wall street beklatscht wurde
glos kann von glück reden, dass er zu solchen maßnahmen keine gelegenheit hatte.
an glos wird man sich nicht erinnern, an schröder wegen der spuren, die er hinterlassen hat, leider schon.
Das ist ja schon diffamierend, Bundeskanzler Schröder mit dem schlechtesten aller Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland zu vergleichen.
naja, also man wird noch viele Fußnotenvertrerer in Personengestalt finden, überall im Lande. Der Historiker Wehler bezeichnete unlängst die ganze DDR-Geschichte als eine Fußnote sub specie aetrnitatis.
Glos machte stets einen schläfrigen Eindruck. Jetzt kann er schlafen gehen, aber nachtreten? Nein, das war unschön. Angela Merkel zieht ihm eben den Peer Steinbrück vor.
Den Vergleich mit Lafontaine- Fußnote oder nicht- hält aber Glos nicht aus. Find ich spitzfindig.Und noch eine Frage: Ein Müllersohn zählt zu den "klassischen Kleinbürgern", sagt Michael Jäger. Der Sohn eines LKW-Fahrers (Seehofer) ist nicht ganz so klassisch? Die Frage blieb offen. Ich denke, gerade in den Klassenfragen sollte man klassisch streng bleiben. Sonst kommt eines Tages noch die Frage auf: Sohn eines Journalisten, welche Klasse? Neues E-oder Papierjunkertum? Aber so wird es schlimmer, da hinter den Personen die Positionen fehlen, redet man über Kleinbürgerliches viel und über die Ökonomie bleibt man lieber vage. .Aber bei Schröder kann ich den Herrn Jäger beruhigen, er wird mit Sicherheit in die Geschichte der musicals eingehen. Er ist ein Seelenverwandter Evita Perons. Übrigens Sohn einer Reinemachefrau, also unklassisch, Kleinbürger.
W.Quenzel
übrigens "sub specie aternitatis"