Zahlen, bitte!

A–Z Gebühren Einst gehörte es zum guten Ton, Gebühren zu zahlen. Heute wird allerorts protestiert, gegen Studienbeiträge, Autobahnmaut und die GEZ. Was ist da los? Unser Lexikon
Zahlen, bitte!

Foto: philippe desmazes /AFP/ Getty Images

A

Ausreise Bei meiner Rückreise aus Ho-Chi-Minh-Stadt hätte ich wegen 12 Dollar fast meinen Flug verpasst. Auf einem Treppenabsatz vor den Sicherheitskontrollen standen drei Uniformierte der südvietnamesischen Flughafenbehörde hinter einem Tisch mit Quittungsblock und Geldkassette. Sie lächelten. Aber ich wollte die „Passagier-Servicegebühr“, die sie verlangten, trotzdem nicht bezahlen. Weder im Konsulat noch bei der Einreise waren wir darauf hingewiesen worden. Ich fühlte mich der behördlichen Willkür ausgeliefert und beschwerte mich. Vergebens.

Die Quittung steckt heute in meinem Reiseführer an der Stelle, an der auf die Ausreisesteuer für internationale Flüge hingewiesen wird. Ich hatte auf dem Rückflug viel Zeit, das nachzulesen. Inzwischen werden die Gebühren in Vietnam direkt mit dem Ticketkauf eingezogen, so wie auch hierzulande. Man zahlt übrigens bei einem Flug von Deutschland nach Vietnam eine vier Mal so hohe Gebühr, wie wenn man in die umgekehrte Richtung fliegt. So gesehen waren die 12 Dollar doch ein Schnäppchen.Ulrike Bewer

B

Bibliothek Die Frau an der Ausleihe hat jedes Mal das Abgabedatum auf die Leihkarten notiert, die sie dann hinten in den Buchumschlag steckte. Aber schon als Kind habe ich nie draufgeschaut. Solche Fristen nahm ich nicht ernst. Vier Wochen konnte man Bücher behalten – ewig. Dann kam die erste Mahnung. Ein Anruf, zwei Wochen Verlängerung. Zweite Mahnung, ich musste zahlen. Bei der dritten Mahnung kam ich mir schon fast wie eine Diebin vor. Der Ton verschärfte sich, die Kosten auch. Warum fiel mir das pünktliche Abgeben so schwer? Später als Studentin habe ich versucht, korrekt zu sein. Ich kam ja täglich an der Ausleihe vorbei. Aber schnell wurde es mir zu mühsam, neben Seminar-Readern noch schwere Bücher in die Uni zu schleppen. Und mir wurde bewusst: Ich würde es nie schaffen, ein Buch gratis zu lesen. Seither meide ich Bibliotheken. Maxi Leinkauf

H

Herkunft Wortbedeutungen ändern sich mitunter auf seltsame Weise. Wie anders ist es zu erklären, dass die Gebühr die Bedeutung von „gern“ in sich trägt? Die Herkunft des Verbs „gebühren“ geht bis ins Mittelhochdeutsche zurück. „Sich ereignen“ und „sich gebühren“ sind als semantische Basis verbürgt. Etymologisch betrachtet erscheint die Gebühr also angemessen, was auch in den Aussprüchen „nach Gebühr“ und „über Gebühr“ zum Tragen kommt. Sie zu zahlen, ziemte sich – es gehörte zum guten Ton.

Mittlerweileteilen jedoch die meisten Menschen diese Sprachintuition nicht mehr. Gebühren gelten oft als ungerecht und anmaßend. Warum der ursprüngliche Sinn verloren ging, ist unklar. Aber ein Kern der früheren Bedeutung ist geblieben: Gebühren ereignen sich, sie treten mit einer gewissen Notwendigkeit auf. Wie einer Naturkatastrophe kann man auch ihnen nicht entgehen, sie werden unmittelbar fällig – und sind so unabwendbar wie eine Flut oder der Blitz, der einschlägt. Tobias Prüwer

L

Leichenschau So ein Tod ist teuer, das sollte man als Leiche wissen. Die Kosten gehen in die Tausende. Der Bestatter will bezahlt werden, die Traueranzeige, der Friedhof, der Grabstein oder das Urnengrab. Und dann ist da noch der Arzt. Er ist der erste in der Dienstleisterkette und stellt den Totenschein aus – er wird auch „Leichenschauschein“ genannt. Das klingt nach einer Eintrittskarte für das Leichenschauhaus, was der Schein im Grunde ja auch ist. Die Gebühren für den Arzt muss man selber tragen beziehungsweise die Angehörigen, da der Tod nicht als Krankheit gilt und die Krankenkassen somit nicht zuständig sind. Die Gebührensätze sind klar geregelt: Die „Todesfeststellung“ kostet, die Anfahrt, dazu kommen eventuell Nacht- und Wochenendzuschläge.

Solche Gebühren fallen übrigens weg, wenn der Arzt zu einer „sterbenden Person“ gerufen wird, selbst wenn er bei seiner Ankunft nur noch deren Tod feststellen kann. In diesem Fall zahlt die Krankenkasse. Der frühe Vogel fängt den Wurm – das ist bei den Toten nicht anders als bei den Lebenden.Mark Stöhr

Luftsteuer Die Kommunen lassen nichts unversucht, um ihre Haushaltsbilanzen aufzuhübschen. In Essen gibt es eine „Bräunungssteuer“ für Solarien, in Hamburg eine „Blaulichtsteuer“, wenn man bei einem Unfall die Polizei ruft, und in Bergisch-Gladbach seit 2010 eine „Luftsteuer“. Alle Werbeanlagen und Leuchtreklamen vor den Geschäften, die mehr als 30 Zentimeter in den öffentlichen Raum hineinragen, unterliegen dort einer „Sondernutzungsgebühr“. Die Geschäftsleute sind stinksauer und seither hauptsächlich damit beschäftigt, ihre Namen von den Leuchttafeln abzukratzen und ihre Markisen abzumontieren. Die Besitzerin eines Schuhgeschäfts klagte, dass ihre Schuhe ohne Sonnenschutz im Schaufenster ausbleichen würden. Die Stadt lässt das unbeeindruckt: Ab 2014 will sie die Gebühr verdoppeln.MS

S

Schutzgeld Sie hießen Abraham Ries oder Benedict Veit und erhielten 1671 als Oberhäupter jüdischer Familien aus Wien die ersten Schutzbriefe des brandenburgischen Hofes. Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm gestattete ihnen, sich in Berlin niederzulassen. Keine selbstlose Geste, sondern ein zweckgefärbtes Manöver. Die aus fadenscheinigen Gründen vom Habsburger Königshaus Verbannten hatten ein Schutzgeld von acht Talern pro Familie an die Hofkasse zu zahlen, um sich mit dieser Sondersteuer Jahr für Jahr für ihr Asyl zu bedanken. Der Status eines Staatsbürgers blieb ihnen ebenso verwehrt wie die freie Berufswahl. Die Übersiedler wurden allein „zur Beförderung des Handels und des Wandels“ gebraucht, wie es im Schutzbrief für Abraham Ries formuliert war. Brandenburg gehörte damals zu den vom Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648) besonders gezeichneten Gegenden Deutschlands. Die Hälfte der Bevölkerung war Hungersnöten, Epidemien und Mordorgien marodierender Freischärler zum Opfer gefallen. Ries und Veit waren daher als Investoren und Kaufleute gefragt, als sie mit den ersten acht Talern quasi ihre Eintrittsgebühr für das spätere Preußen zahlten. Lutz Herden

Studium Mit etwas zeitlichem Abstand klären sich manche Streitfragen recht eindeutig: Die Einführung von Studiengebühren war ein kolossaler Fehlschlag, auch in Bayern – das Volksbegehren zur Abschaffung war dort erfolgreich. Zusammen mit Niedersachsen, wo die Absetzung der Gebühren nach dem Regierungswechsel bereits beschlossen wurde, ist Bayern die letzte Bastion dieses Auslaufmodells, das seit 2005 in sieben Bundesländern eingeführt worden war. Dabei hätte das amerikanische Universitätssystem als Vorbild für die Bologna-Reformen nicht nur Nachteile bringen müssen – wenn gleichzeitig die Bibliotheken oder die Betreuungssituation in den Kursen verbessert worden wären. Zu Recht werden die Gebühren, denen niemals eine erkennbare Leistung gegenüberstand, aber als ungerecht empfunden. Wozu und vor allem wie 500 Euro oder mehr zusätzlich zu den Semestergebühren zahlen?

2009 protestierten Studierende bundesweit – und wehrten sich. In Hamburg wurde ein Boykott mithilfe eines Treuhandkontos organisiert, viele verweigerten schlicht die Zahlung. Nachdem einige Studierende zwangsexmatrikuliert wurden, wurden die Proteste noch lauter. Es hat offenbar genützt. Juliane Löffler

T

Tricks Das soll es wirklich gewesen sein? Nie mehr „Fernseher auslassen, Radio auslassen, Licht auslassen, möglichst nicht bewegen, flach atmen“, wie es die taz einst empfahl? Mit der Umstellung der Runfunkgebühr auf eine Abgabe pro Haushalt statt pro Gerät fällt für das GEZ-Räuber-und-Gendarm-Spiel der Vorhang, das seit den Siebzigern fest zur Alltagsmythologie gehörte. Wer hatte sie nicht schon an der Tür, die Gebührenbeauftragten von ARD und ZDF, die irgendwas von Peilwagen halluzinierten und angestrengt durch den Türspalt linsten, ob sie nicht ein Radio oder ein Fernsehgerät erspähten? Das Hören allein, das lernte man bald, reichte als Indiz nicht aus. Bewohner von Erdgeschosswohnungen, vor allem mit Fenster zur Straße raus, waren dennoch die großen Verlierer der GEZ-Ära. Kein Trick war den Kontrolleuren zu billig. Sie gaben sich als Stromableser aus, um Einlass zu erhalten, oder riefen als vermeintliche Marktforscher im Auftrag der Fernsehanstalten an und fragten, wie man Show X oder Y fand. Sie waren Schnüffler, denen man allerdings eines zugutehalten muss: Sie wollten nie unsere Freiheit, sondern nur unser Geld. MS

U

Überbau Gebühren sind eine Form der öffentlichen Abgabe, eine Gegenleistung für Verwaltungsarbeit oder für das Nutzen einer öffentlichen Einrichtung. Wie Steuern werden sie – so der rechtfertigende Überbau – mit dem individuellen oder allgemeinen Wohl legitimiert. Weil ich eine Müllgebühr zahle, bleibe ich nicht auf dem Mist sitzen. Der Staat schützt den Bürger und kassiert dafür eine Art Schutzgeld. Je unmittelbarer Gebühren an einen konkreten Zweck – Autobahnmaut für Autobahnbau – gebunden werden, desto größer ist ihre Akzeptanz. Zweckentfremdung oder Verschwendung lassen die Autorität der Gebühreneintreiber jedoch schwinden. Beispiele gibt es viele: Alkohol- und Tabaksteuer etwa gehen eben nicht in die Suchtprävention. Und: Mit Urheberrechten argumentierend, schüttet die Gema tatsächlich mehr Geld an die verwertenden Plattenfirmen als an die produzierenden Künstler aus. TP

V

VG Wort Zur Transparenz in eigener Sache: Auf die VG Wort wollen wir von der schreibenden Zunft nicht verzichten. Und nicht nur Journalisten lieben diese Verwertungsgesellschaft, die auch für Übersetzer, Wissenschaftler und Verleger die Tantiemen aus Zweitverwertungsrechten an Sprachwerken verwaltet. Doch woher kommt das Geld eigentlich, das jährlich ausgeschüttet wird – 2011 erhielten 148.415 Empfänger rund 120 Millionen Euro? Von Rundfunk- und Fernsehanstalten, aus Bibliotheken und Lesezirkeln. Das Gros aber stammt von Geräteabgaben auf Kopierer und Scanner.

Stichtag zum Einreichen der Ansprüche ist der 31. Januar. Wenn Sie sich also in der ersten Februarwoche über eine besonders schlechte Zeitungslektüre ärgern, kann das daran liegen, dass die Journalisten gerade anderweitig beschäftigt waren. TP

Z

Ziviler Ungehorsam Henry David Thoreau, der Autor von Walden, war ein berühmter Nichtzahler und Vordenker des zivilen Ungehorsams. Die Obrigkeit mochte der US-Amerikaner nicht. Weil er mit seinem Geld 1846 weder den Krieg gegen Mexiko noch die Sklaverei finanzieren wollte, verzichtete er auf das Begleichen seiner Steuerschuld. Er kam dafür ins Gefängnis – für einen Tag. Dann bezahlte jemand (wer, ist nicht mehr auszumachen) die ausstehenden Gebühren. Von seiner eigenen, wenn auch nur kurzen Widerständigkeitserfahrung angetrieben, hielt Thoreau Vorträge über die politisch begründete Zahlungsverweigerung. Diese mündeten in seine Schrift Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat (1849), die Anarchisten wie Emma Goldman, Bürgerrechtler wie Gandhi und Martin Luther King , die 68er und die Umweltbewegung inspirierten. Vielleicht zehren ja nun auch GEZ-Verweigerer von Thoreau, und der Ungehorsam erlebt eine Renaissance?TP

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden