Zeit der Lähmung

Im Gespräch Axel Honneth, Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, über Studiengebühren, Professoren als Kleinmanager und die Apathie an den Universitäten

FREITAG: Vor sieben Jahren sprach Jacques Derrida auf Ihre Einladung hin in Frankfurt über die "unbedingte Universität". Seitdem scheint die Universität immer bedingter geworden zu sein, ob man nun an die Bachelor-Studiengänge denkt oder an allgemeine Studiengebühren. Wie schätzen Sie diese Reformen ein?
AXEL HONNETH: Das kommt vielleicht am besten darin zum Ausdruck, dass unser Fachbereich sich bislang geweigert hat, den Bachelor einzuführen. Wir stehen natürlich ziemlich isoliert da mit diesem Versuch und wissen nicht, wie lange er sich überhaupt halten lässt. Aber bislang halten wir in modularisierter Form den alten Magisterstudiengang bei, weil wir mehrheitlich überzeugt sind, dass der Bachelor-Studiengang zu einer drastischen Aushöhlung der Studienerfahrung führt, die wir unseren Studierenden nicht zumuten wollen. Es handelt sich um eine solche Komprimierung von Wissensgehalten, verbunden mit einer derart erzwungenen Didaktik, dass das mit den Ansprüchen eines geisteswissenschaftlichen Studiums nicht mehr zu vereinbaren ist. Wir glauben auch nicht, dass der Bachelor-Abschluss in irgendeiner Weise berufsqualifizierende Funktionen hat, die über das hinausgehen, was bislang in Zwischenprüfungen geliefert wird.

Im Wintersemester führt auch Hessen Studiengebühren von 500 Euro ein. Wie werden die Folgen sein?
Die Hauptfrage ist wohl, welche Darlehensregelung gefunden wird, aber das ist schwer abzusehen. Insgesamt habe ich dazu noch kein wirklich gereiftes Urteil. Es hängt auch davon ab, wie man die Finanzkrise des Staates oder überhaupt die Chancen einer soliden staatlichen Hochschulfinanzierung einschätzt. Die Finanzkanäle, die der Staat öffnet, verdanken sich ja auch immer bestimmten Vorentscheidungen, die institutionell verankert sind und leicht zu Ungunsten der Bildung gehen. Betrachtet man diese Bedingungen als im Augenblick schwer änderbar, dann sind Studiengebühren vielleicht ein Mittel, um die Qualität der Lehre zu verbessern.

Braucht es dazu wirklich Gebühren? Die brutale Ökonomisierung schließt sich ja mit einem Wust kostspieliger, oft grotesker Bürokratisierung zusammen. In Bochum etwa hat der Senat die Forschungslinie "Global Change" ausgegeben und alimentiert Institute je nachdem, wie sie sich daran ausrichten. Daran knüpfen sich Verwaltungsprozesse, in denen zuhauf Gelder verschwendet werden, die der Lehre zur Verfügung stehen könnten.
Das finde ich noch schwer überblickbar. Man sollte verschiedene Ebenen unterscheiden, auf denen es unterschiedliche Entwicklungen gibt. Auf der Ebene der Fachbereiche hat die im weitesten Sinn neoliberale Universitätsführung auch gewisse Vorteile, etwa wo es größere Spielräume für die Selbstbestimmung gibt. In gewissem Maß findet die Entkopplung von einer bisherigen zentralisierten Rechnungsführung statt. Das heißt, ein Fachbereich oder Institut verfügt über eine gewisse ökonomische Autonomie, die es erlaubt, eigene Prioritäten zu setzen. Auf der Ebene der Hochschulverwaltung führt das zu einer gewissen Entlastung, die aber sofort zunichte gemacht wird durch den Bedarf, der sich aus den neoliberalen Fragen ergibt. Denn durch den Umbau der Hochschule zum Dienstleistungsunternehmen müssen ganz neue Verwaltungseinheiten eingeführt werden. Es gibt da inzwischen alle möglichen neuen Einrichtungen, für die Einwerbung von Drittmitteln, für die Akquirierung von Studiengebühren, für die zentrale Verwaltung der Räume, für die ökonomische Ausleihung der Räume. Und auf der Ebene der Gesamtuniversität führt der starke Profilierungsdruck durch die Einführung des Konkurrenzgedankens in die Hochschullandschaft dazu, dass Schwerpunkte gesetzt werden müssen. Auch darin sehe ich eine Gefahr. Ich würde nur die unterschiedlichen Gefahren unterschiedlichen Ebenen zuordnen und hier zwischen Gewinnen und Verlusten unterscheiden. Insgesamt überwiegen sicherlich die Verluste.

In Frankfurt gibt es den speziellen Fall der Umwandlung zur Stiftungsuniversität, die durch eine Stiftung öffentlichen Rechts finanziert wird. Was halten Sie davon?
Soweit wir das bislang überblicken, wird es keine größeren Schäden anrichten, über die hinaus, die sich in den vergangenen zehn Jahren ohnehin entwickelt haben. In dieser Zeit hat der Präsident nach und nach mehr Machtbefugnisse bekommen, die es ihm erlauben, in die Autonomie von Fachbereichen einzugreifen, sowohl bei Berufungslisten als auch bei der ökonomischen Ausstattung. Die alte Vorstellung, dass in einem halbwegs demokratisch besetzten Senat Entscheidungen über das Gesamtgeschick der Universität getroffen werden, ist im Grunde genommen schon da ausgehöhlt worden. Die Stiftungsuniversität wird das zementieren. Ich glaube aber nicht, dass ein Präsident so unklug ist und das beratende Organ rein nach Gesichtspunkten ökonomischer Rentabilität besetzen wird. Das hätte zu große Nachteile für die Situation der Universität auf dem sich etablierenden Markt wissenschaftlicher Konkurrenz. Vielleicht gibt es an einem Ort wie Frankfurt sogar tatsächlich eine gewisse Chance, zusätzlich Gelder zu akquirieren. Natürlich wird das mit dem Versprechen einhergehen, genau die Bereiche auszubauen, die im Interesse möglicher Sponsoren liegen. Das ist eine Gefahr, aber man darf sich wiederum die Interessen der Sponsoren nicht zu einseitig vorstellen. Ich glaube nicht, dass Banken nur das Interesse haben, das Bankwesen an der Universität zu unterstützen. Manchmal ist dort das Interesse, geisteswissenschaftliche Fächer zu stärken, sogar größer als in den Universitäten selber. Insofern wird sich die Sponsorentätigkeit wohl nicht unmittelbar auf die Privilegierung einzelner Fachbereiche durchschlagen. Da sehe ich also keinen Grund zum Alarmismus. Den sehe ich viel stärker im Umbau zur Drittmittelfinanzierung und den Folgen, die das großflächig für Lehre und Forschung haben wird.

Wie werden diese Folgen sein?
Es wird sich ein neuer Typus von Professor herausbilden: Der Kleinmanager, der seine eigene Arbeitseinheit verwaltet und sich ständig durch das Nachliefern von Drittmittelprojekten versorgt. Dieser Kleinmanager wird zu eigener, autonomer Forschung gar nicht mehr in der Lage sein, weil dazu der geregelte Rückzug aus dem administrativen Geschäft der Universität gehört. Er wird immer mit einem Auge auf die Drittmittelchancen achten und sich selber nicht mehr die Zeit für intensive Forschung nehmen können. Das schlägt sich dann natürlich sofort in der Lehre nieder, weil sie in Abhängigkeit treten wird von dieser Schmalspurforschung. Wobei die Modularisierung ohnehin schon zerstört hat, was wir traditionell Universitätsbildung genannt haben. In unseren Fächern kann seit einigen Jahren von universitärer Ausbildung kaum mehr die Rede sein. Wir haben ja nicht nur die Grundkurse auf ein höchst verschultes System umgestellt, wo es um den Erwerb von Credit Points geht und gerade nicht um das Ausdiskutieren theoretischer Probleme. Auch das Aufbaustudium im Ganzen wird modularisiert, so dass die Moratorien, die bislang existierten, um geistige Inhalte zu bewältigen, schrittweise zerstört werden. Europa ist sich noch gar nicht im Klaren darüber, was es durch die Bologna-Verträge anrichtet.

In Hessen gibt es die Verfassungsklage gegen die Gebühren, es gab Autobahnblockaden. Ansonsten scheint es aber erstaunlich ruhig zu sein.
Es ist trostlos, ja. Das sehe ich auf allen Ebenen so. Aus der Studierendenschaft heraus gibt es keinen massiveren Widerstand; zumal nicht gegen die Verschulung der Universität, vielleicht noch am ehesten gegen die Gebühren. Von Seiten der Lehrenden sehe ich diesen Widerstand ebenso wenig, was nicht heißt, dass nicht extremer Unmut herrscht. Aber auf irritierende Weise existieren die Medien gar nicht mehr, die es einem erlauben könnten, diesen Unmut kollektiv zu äußern. Zudem hat eine enorme Individualisierung stattgefunden, auch unter den Lehrenden. Formen organisierter Hochschulpolitik sind gar nicht mehr vorhanden. Das mag auch an der Schnelligkeit der Reformen liegen; man kommt kaum nach im Aufarbeiten der Effekte jeweiliger Reformprozesse. Sobald man sich etwa in einem kollektiven Kreis damit zu beschäftigen beginnt, wird schon wieder die nächste Reform angedroht. Aber insgesamt habe ich keine wirkliche Erklärung dafür, warum der hochschulpolitische Widerstand so gering geworden ist.

Ist die Universität historisch gesehen nicht erschreckend schnell immer wieder den jeweiligen Ideologien und Einflussnahmen verfallen? Gibt es da einen grundsätzlichen "Geburtsfehler"?
Ich war da eigentlich immer optimistischer. Ich habe ja gerade noch das Ende der 68er-Bewegung miterlebt; da kam ja der Widerstand gerade aus der Universität heraus. Auch in anderen Ländern ist es weiterhin so, dass sich politischer Widerstand zunächst stärker in der Universität artikuliert als in anderen sozialen Bereichen. Insofern glaube ich weiterhin, dass sie der gesellschaftliche Ort ist, an dem Fehlentwicklungen am ehesten reflektiert und politisiert werden. Wobei die gegenwärtige Lage der Universitäten ja auch einen gesamtgesellschaftlichen Zustand spiegelt, in dem es überhaupt eine Art der Lähmung und des apathischen Abwartens gibt.

Haben Sie denn eine Idee, wie Gegenstrategien aussehen könnten?
Wirklich helfen könnte wohl nur eine stärkere Koordinierung des Widerstandes. Das sagt sich aber leichter, als es getan ist. Es wäre ja schon an vielen kleinen Punkten Widerstand nötig; man muss nur die Tageszeitung aufschlagen. Etwa Roland Kochs Plan, die Studiengebühren für ausländische Studierende mit 1.500 Euro besonders hoch anzusetzen. Das ist abenteuerlich, besonders, wenn man bedenkt, dass die deutschen Universitäten gleichzeitig attraktiver gemacht werden sollen für ausländische Studierende. Überhaupt ist das Studium für Ausländer in Frankfurt besonders erschwert, auch durch eine enorm skeptische Ausländerbehörde, die sich mit Aufenthaltsbescheinigungen sehr schwer tut. Aber auch die Idee, dass wir den Semesterrhythmus umstellen und dem amerikanischen System anpassen, die die Rektorenkonferenz im Augenblick diskutiert, ist für mich ein undurchdachtes Planspiel. Bislang profitieren wir gerade davon, dass unsere Semester zu den amerikanischen querliegen, weil wir dadurch interessante Gäste gewinnen können. Es werden also unglaublich viele Nebeneffekte produziert, die den entsprechenden Behörden und Instanzen offenbar selbst nicht klar sind und mit denen sie ihre eigenen Ziele permanent hintertreiben. Wie man dem genau begegnen kann, weiß ich nicht; deutlich ist nur, dass sich von Nord bis Süd enormer Unmut angesammelt hat. Es gelingt aber zur Zeit nicht einmal, einen gemeinsamen Aufruf zu starten, und sei es gegen die kleinsten Reformschritte.

Das Gespräch führte Sebastian Kirsch

Axel Honneth, geboren 1949 in Essen, gilt als einer der wichtigsten Exponenten der "Frankfurter Schule". Nach Stationen in Konstanz, Berlin und New York wurde der studierte Philosoph und Schüler von Jürgen Habermas 1996 Professor für Philosophie in Frankfurt am Main. Seit 2001 leitet er dort das in den fünfziger Jahren von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno neu begründete Institut für Sozialforschung. Zuletzt erschien von Honneth im Frankfurter Suhrkamp-Verlag der Band: Pathologie der Vernunft.

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