Ziviler Realismus

AUSSENPOLITIK Der rot-grüne Lack ist ab, und die PDS muss Farbe bekennen

Als "angeschlagenen Wunderknaben" bezeichnet die FAZ den Außenminister. Die Frankfurter Rundschau moniert tagespolitisches Flickwerk und vermisst eine Grundsatzdebatte zur deutschen Außenpolitik. Die Süddeutsche fragt, ob Fischer spürt, wie weit er seine eigene Klientel zurückgelassen hat. Setzt sich der Trend verlorener Landtagswahlen fort, kann das für die SPD die Frage der Mehrheitsfähigkeit aufwerfen. Für die Grünen ginge es dann um ihre parlamentarische Existenz. In diesen Sog gerät auch der grüne Außenminister.

Parlamentarisch stützt sich Fischers Außenpolitik auf eine faktische Koalition aus SPD, Grünen, CDU und FDP. Differenzen liegen nicht im Grundsätzlichen, und sie wurden minimiert, als die Regierung Schröder-Fischer Deutschland in die Kriegsbeteiligung führte. Da waren sich alle Parteien einig. Alle, außer der PDS, die sich nicht in ein solches Konzept "nationaler Verantwortung" einbeziehen ließ. An Versuchen dazu mangelte es freilich nicht.

Außerparlamentarisch hat die Außenpolitik der Regierungskoalition ihre Wurzeln zur Friedensbewegung und zu den NGO's gekappt; die Beteiligten wissen nur noch nicht so recht, wie sie mit dem Verlust umgehen sollen.

Militarisierung statt Zivilisierung, Machtpolitik statt Selbstbeschränkung - das ist die Linie deutscher Außenpolitik seit 1990. Joseph Fischer vollendet das Werk Helmut Kohls. Unter der Schröder-Fischer-Regierung fallen alle Begrenzungen und Selbstbeschränkungen, die einer Weltmachtrolle Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg entgegen standen. Dabei war die Nachkriegszeit mit dem 2+4-Vertrag abgeschlossen, der völkerrechtlich die Funktion eines Friedensvertrages einnimmt und eine nicht-militärische deutsche Außenpolitik vorzeichnet. In Artikel 2 bekräftigten die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, "daß von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird ..., daß das wiedervereinigte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen".

Beides, Grundgesetz und Charta der Vereinten Nationen, brach die Schröder-Fischer-Regierung mit der deutschen Kriegsbeteiligung im Kosovo. Dabei wusste der Außenminister, was er tat. Er hat sich die Selbstbeschränkungen nicht als Chance zu eigen gemacht, sondern gesprengt als eine lästige Fessel der Siegermächte.

Damit begann ein Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik. Von nun an soll auch die militärische Karte wieder stechen. "Keine Begrenzung deutscher Verantwortung, heißt auch volle militärische Verantwortung", erklärt Fischer. Und Kriegstagebuchautor Scharping will der deutschen Außenpolitik mit "militärischen Mitteln Geltung verschaffen". Bundeskanzler Schröder, der Mann mit der Richtlinienkompetenz, beschreibt diese Wende in der Außenpolitik als " Politik des aufgeklärten Eigeninteresses".

Würde sie als "Politik des aufgeklärten Eigeninteresses" offen vertreten, dann wäre die deutsche Außenpolitik zum einen kalkulierbar und zum zweiten einer öffentlichen Kontroverse zugänglich. Beides ist nicht der Fall. Joseph Fischer stellt sie ausschließlich als den Menschheitsinteressen, den Menschenrechten verpflichtet dar. Unter dem grünen Vizekanzler wird die deutsche Außenpolitik zu einer "Außenpolitik der Gefühle" (Günter Gaus), zu einem moralischen Gut.

Das aber ist gleichzeitig ihre Achillesferse bei der eigenen Klientel. Solange sie sich "moralisch glaubhaft" wähnten, trugen viele Sozialdemokraten und Bündnisgrüne sogar die "humanitäre Intervention" mit. Erst die weitaus weniger einschneidende Ankündigung, der Türkei einen Leopard-II-Panzer liefern zu wollen - ihm könnten 999 weitere folgen - löst Turbulenzen aus.

Die Moral ist weg, und Außenpolitik erscheint als das, was sie ist: Interessenpolitik - von Schröder und Fischer auf drei Säulen gebaut: Ökonomische Leistungfähigkeit, militärische Stärke und das transatlantische Bündnis mit den USA als Kern der neuen NATO.

Deutscher Sonderweg? Den haben die rot-grünen Regierungspolitiker verlassen. Sie wollen die Weltmachtrolle Deutschlands innerhalb internationaler Organisationen durchsetzen. " Wir haben Interessen, und in der Welt von morgen werden die Vereinten Nationen als Plattform unserer Interessen eine wesentlich größere Rolle als in der Vergangenheit spielen," sagte Fischer im Bundestag. Klaus Naumann, bis Mai Vorsitzender des Nato-Militärausschusses, konkretisierte: "Wir sind nur von Freunden umzingelt und müssen Risiken von uns fern halten. Dazu braucht man die Fähigkeit, die Armee außerhalb des Landes einzusetzen."

Und das nicht nur ein Mal, sondern immer wieder. Die "Initiative zur Verteidigungsfähigkeit", die auf dem Washingtoner NATO-Gipfel im April beschlossen wurde, bezieht sich explizit auf Bereiche außerhalb des traditionellen Zuständigkeitsgebiets der NATO. Dem "Neuen Strategischen Konzeptes" (NSK) der NATO entsprechend, wird die Bundeswehr umgerüstet. Umrüstung und Aufrüstung statt Abrüstung. Auch das gehört zur Bilanz rot-grüner Außenpolitik.

Mit der Fischer-Konzeption verschieben sich in der deutschen Außenpolitik die Achsen - und auch die Kontroversen, die Argumente.

In der Vergangenheit war die Warnung vor einem deutschen Sonderweg geradezu ein Markenzeichen linker Politik. Heute ist es notwendig, eigene deutsche Wege einzufordern. Es liegt in deutschem Interesse, von den USA tatsächliche Partnerschaft zu verlangen, sich einer Militarisierung der EU zu verweigern, Abrüstung und eine Vertragspolitik wieder in die internationale Diskussion zu bringen und Länder der dritten Welt durch Entschuldung zur Entwicklung und Teilhabe an einem fairen Welthandel zu befähigen.

Zwischen den Großmächten werden die weltpolitischen Gewichte neu verteilt, und klar ist: Diese Bundesregierung will mehr. "Vor der Wiedervereinigung war die deutsch-französische Partnerschaft eine notwendige Größe", kommentiert der außenpolitische Kanzlerberater, Michael Steiner. "Seitdem ist sie ein freiwilliger Prozess". Unter Helmut Kohl stand die Achse Deutschland-Frankreich für die Konzeption eines "Kerneuropas". Fischer und Schröder setzen jetzt auf die Triade Berlin-Washington-London, und damit verbunden, auf eine Militarisierung der EU. Schon zeichnet sich ein vereinigter Generalstab als Zentrum einer direkten Militärorganisation der Europäischen Union ab. Der ehemalige NATO-Generalsekretär Solana soll als "Mister Gasp" die Außen- und Sicherheitspolitik der EU so umbauen, dass sie zu der künftigen Militärstruktur der EU passt.

Mit Außenpolitik sind Wahlen nicht zu gewinnen, wohl aber zu verlieren. Fischer weiß das sehr genau. Und er weiß, daß die Außenpolitik der Bundesregierung nichts mehr mit den Programmen der Koalitionsparteien und nichts mehr mit der Koalitionsvereinbarung vom Oktober letzten Jahres zu tun hat. Seine Reaktion darauf ist taktisch. Das alte Spiel "Guter Polizist - Schlechter Polizist" werden wir nun häufiger erleben. Schröder entscheidet, die Panzer werden geliefert; Fischer lässt durchsickern, er sei dagegen. Die Medien greifen den "Koalitionskrach" auf, in dem die Grünen als Korrektiv zu Rot erscheinen.

In der sozialen Frage ist es umgekehrt, hier treten die Grünen als Modernisierer auf und die Sozialdemokraten als Korrektiv. Im Wechselspiel wird der Eindruck vermittelt, die Koalition sei noch ein lebendiges, streitbares Projekt, in dem vieles offen ist. Ein offenes Projekt ermuntert zum Mitgestalten, es bindet Ideen, Engagement, Energien von Parteimitgliedern und Gewerkschaften, Bewegungen, NGO's, die sich mit dieser Regierung verbunden fühlten. Würden die Entscheidungen des ersten Regierungsjahres als Weichenstellungen analysiert, die vorzeichnen, wie es weiter geht, dann müsste sich das ganze große rot-grüne Umfeld entscheiden, wie es zu dieser Regierung steht. So aber votieren zwar viele Wählerinnen und Wähler gegen diese Koalition, im organisierten Umfeld von Rot-Grün aber wird das Urteil von Mal zu Mal noch vertagt. Die Angst vor der Rückkehr der Konservativen ist der Kitt, der außerparlamentarische Bewegungen, Gewerkschaften und NGO's mit dieser Regierung verbindet. Doch er wird brüchig.

Der außenpolitische Rechtsschwenk von SPD und Grünen hat links eine Lücke hinterlassen, die zu füllen der PDS zufällt. Darauf war sie nicht vorbereitet. Vor einem Jahr noch hätte sie sich schwerlich zugetraut, auf einem so weiten Feld zu agieren. Heute muss sie sich als parlamentarischer Arm der sozialistischen Linken anbieten. Ob dieses Angebot angenommen wird, darüber entscheiden andere. Die PDS arbeitet an ihrer außenpolitischen Kompetenz, am Dialog mit der Friedens- und Konfliktforschung, an der Zusammenarbeit mit den Netzwerken der NGO's, und nicht zu vergessen: die Kooperation mit anderen Linksparteien in der gemeinsamen Fraktion des Europaparlaments.

Natürlich löst die notwendige Inventur der außen- und friedenspolitischen Konzepte heftige Debatten innerhalb der PDS aus. Das kann auch nicht anders sein in einer linken Partei, die als "bunte Truppe" gerade dabei ist, sich dauerhaft im politischen Spektrum des vereinigten Deutschland zu etablieren - und für die Zukunft den Anspruch erhebt, innerhalb eines Mitte-Links-Bündnisses, Verantwortung zu übernehmen.

Mit ihren außenpolitischen Grundsätzen steht die PDS heute nur im Parlament allein. In der Gesellschaft nicht. Dass deutsche Außenpolitik Friedenspolitik sein muss und Krieg ein untaugliches Mittel der Politik ist, zeigt sich auf dem Balkan ebenso deutlich wie in Tschetschenien. Militärorganisationen und Militärbündnise sind strukturell friedensunfähig. Sicherheit gibt es auf dieser Welt nicht gegen-, sondern nur miteinander, durch Kooperation, Armutsbekämpfung, Entwicklung und soziale Gerechtigkeit.

Die europäische Integration bietet dafür riesige Chancen. Aber nicht als EU-Militärmacht, die anti-russische Reflexe bedient, den globalen Ambitionen der NATO folgt und im transatlantischen Konkurrenzverhältnis die höchste Form europäischer Emanzipation erblickt. Der europäische Weg heißt kollektive Sicherheit - also: OSZE und UNO. Eine mit regionalen Organisationen verbundene UNO wäre in der Lage, internationale Konflikte auszugleichen. Das freilich geht am Ende nur, wenn auch Institutionen wie die Weltbank und der Internationalen Wäh rungsfonds in das UN-System einbezogen sind, um so die außer Kontrolle geratenen internationalen Finanzmärkte wieder in die Politik zurück zu holen.

Die UNO ist das wichstigste Instrumentarium auf dem Weg zu einer weiteren Verrechtlichung internationaler Politik. Zum Ausbau des Völkerrechtes inklusive einer unabhängigen internationalen Gerichtsbarkeit gibt es für die europäische Linke keine Alternative. Das heißt nicht, jede politische Entscheidung der Weltorganisation und ihres Sicherheitsrates automatisch begrüßen oder unterstützen zu müssen. Für die PDS kommt es heute darauf an, sich grundsätzlich zur UN-Charta, inklusive des in ihr festgeschriebenen Gewaltmonopols, zu verhalten.

Die Bundestagsfraktion hat dafür plädiert, dieses Gewaltmonopol zu akzeptieren und anhand klarer Kriterien von Fall zu Fall über Zustimmung oder Ablehnung zu entscheiden. Dass die PDS damit auf eine "schiefe Bahn" geraten würde und Gefahr läuft, dem rot-grünen Irrweg einsamer Kriegsentscheidungen zu folgen, ist absurd. Es geht um Ausnahmen und nicht um Regelfälle. Und es geht um die Konsistenz und Glaubwürdigkeit einer sozialistischen Politik, die zur Stärkung der UNO nur schlechtere Alternativen sieht, ohne sich die Weltorganisation deshalb schön zu reden.

Außenpolitik gehört in die Öffentlichkeit. Sie darf sich nicht länger mit der Aura des Geheimen und streng Vertraulichen umgeben. Durch öffentlichen Meinungsstreit, durch Aktionen, Proteste und Auseinandersetzungen erst können Menschen ihre Interessen einbringen. Dass sie dazu in der Lage sind, haben die Friedensbewegungen in Ost und West als Erfahrung gelehrt.

Die Chancen einer zivilen und den Frieden fördernden Außenpolitik müssten gar nicht so schlecht stehen, wenn sich nur die Linksregierungen und Mitte-Links-Regierungen Europas darauf verständigten. Dann allerdings wäre der bessere Kandidat für den Posten des Mr. Gasp nicht Xavier Solana, sondern sein Genosse aus der Sozialistischen Internationale, Oskar Lafontaine.

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