Schöner sterben ist nicht möglich. Deshalb gehen wir ja in die Oper. Die Diven stürzen sich in den Tod, verröcheln tuberkulös, werden erdrosselt, erstochen, verbrannt. Doch was wir hören, ist reiner Genuss. Anders als im wahren Leben erhöhen die durchwegs von Männern geschriebenen Opern das Leid von Frauen vor allem. Oper ist Wahnsinn in seiner mitreißendsten Form. Und wenn dann noch die Callas singt! Also kann dieses „Opernprojekt“ von Marina Abramović an der Bayerischen Staatsoper gar nicht schief gehen. Eigentlich.
Sieben Tode von Tosca bis La Traviata, von Carmen bis zu Othellos Desdemona, von der schottischen Lucia di Lammermoor bis zur japanischen Madame Butterfly, die gallische Priesterin Norma nicht zu vergessen. Maria Ca
Priesterin Norma nicht zu vergessen. Maria Callas steht in Gestalt der Marina Abramović an der Rampe, trägt ein mondänes Goldglitzerkleid – und endlich hören wir dazu ihre Schallplattenstimme: Casta Diva – keusche Göttin. Um uns ist es geschehen. Aber da ist es schon zu spät. Norma bricht jäh ab. Wie gemein! Gemein vor allem gegenüber der Sängerin Lauren Fagan, einer von sieben jungen, durchweg hochbegabten Sopranistinnen. Sie hat das himmlisch erschütternde Stück gerade live gesungen und muss sich nun vergleichen lassen. Auch sehr schön, ihr Gesang. Wie alle sieben Stimmen. Aber eben nicht die unvergleichliche Callas. Zum Glück versuchen die leibhaftigen Sängerinnen nicht, die Ikone nachzuahmen. Sie sind nicht die Callas. Maria ist für Marina reserviert.Die sieben Tode der Opernrollen der Callas spielt die Abramović in sieben Filmen, die während der live gesungenen Arien auf einer riesigen Leinwand (Regie: Nabil Elderkin) zu sehen sind. Das alterslos glatte Gesicht der 73-jährigen Abramović in Großaufnahme, dazu das verknitterte ihres Filmpartners Willem Dafoe. Der Desdemona hängt er eine Riesenschlange um den Hals, fesselt Carmen, ehe er sie ersticht. Toska stürzt sich nicht von der Engelsburg, sondern von einem New Yorker Wolkenkratzer, und schwebt in Zeitlupe wie ein Engel über der Stadt. Diese Tode sind ästhetisierte Rituale.Eine Schauspielerin ist die Abramović nicht. Sie ist immer nur sie selbst. Die andere Diva. Die, die nicht singt. Marina hat sich als Maria kostümiert. Es sind grandiose Roben des Modeschöpfers Riccardo Tisci, in die sie sich hüllen lässt. Die wirklichen Sängerinnen sind nur als Zimmermädchen verkleidet, nicht als Carmen oder Toska. Sie machen das Bett der soeben Verstorbenen, dekorieren das Zimmer in der Pariser Avenue Georges-Mandel Nr. 36 mit Trauerflor. Die Callas ist am 16. September 1977 im Alter von 53 Jahren gestorben. Es ist der achte Tod an diesem Abend.Geliehenes PathosWährend die sieben Sopranistinnen singen und die Filme dazu flimmern, liegt Marina-Maria vollkommen regungslos im Bett. Schläft sie? Träumt sie? Hört sie Musik? Ist sie schon tot? Performance geht nur mit Publikum, findet Marina Abramović: „Ohne Publikum kann ich nichts machen. Ich brauche dessen Energie.“ Davon ist nichts zu sehen. Eine gute Stunde lang liegt die leibhaftige Abramović einfach nur im Bett. In The Artist is present hat sie einmal mehr als siebenhundert Stunden lang im New Yorker Moma unzähligen Besuchern stumm gegenüber gesessen. Dagegen ist das nichts.Die sieben Arien sind verklungen, die sieben Tode erlitten, da regt sich Maria-Marina endlich. Sie steht auf, schaut sich alte Fotos an, erinnert sich. An Aristoteles Onassis? Sie nähert sich desorientiert dem Fenster, lässt eine Vase auf dem Boden zerschellen. Die einsame Callas. Aber unsterblich. Wenigstens das.Doch es ist zu wenig. Marina benützt Maria nur. Geliehenes Pathos. Auch wenn sie sich total mit Maria identifiziert. Sie sehen sich sogar ähnlich. Die Stimme Marinas hören wir nur als Konserve, wenn sie zwischen den Arien zu dramatischen Wolkenbildern schlichte Moderationstexte spricht. Nicht einmal die sind von ihr. Erklärtes Ziel ist es, „ein neues Publikum in die Oper“ zu bringen. Aber so wird das nichts. Dieser Abend ist weder Oper noch Performance. Eine echte Performance wäre etwas ganz anderes. Sie wäre nicht wiederholbar. Das Blut, das auf der Leinwand fließt, ist nur Farbe. Wenn die Abramović wirklich performt, ist alles echt. In Rhythm O setzte sie einst ihr Leben aufs Spiel, ließ sich mit Nägeln, Rasierklingen, Messern quälen. Auch die Callas benutzte ihren Körper als Instrument, hungerte sich zur glamourösen Kunstfigur. Streng und zerbrechlich zugleich. Eine tragische Opernheldin, fast so wie die, die sie auf der Bühne gab. Eine Figur, die öffentlich am Leben litt – Marinas Schmerz war immer nur Kunst. Sie sagt selbst: „Sie ist wirklich an gebrochenem Herzen gestorben, ich nicht.“Trotzdem triumphiert die Musik auch an diesem Abend wegen der Melodien von Verdi, Puccini, Bellini, Donizetti und Bizet. So soll es auch sein: Für Marina Abramović steht Musik unter den Künsten „an erster Stelle, weil sie körperlos ist.“Kunst ist stärker als AngstOuvertüre und abschließende Szene im Pariser Sterbezimmer schrieb der junge Komponist Marko Nikodijević, effektvoll verwoben mit Elementen aus den sieben Arien. Eine echte Uraufführung also, geleitet von einem Shootingstar am Pult, dem israelisch-amerikanischen Dirigenten Yoel Gamzou. Die Musiker des Staatsorchesters coronabedingt auf Abstand gebracht im stark vergrößerten Orchestergraben. Man könnte fast meinen, diese anderthalbstündige Hommage an die Callas sei speziell für die Wiedereröffnung nach der coronalen Zwangsschließung konzipiert worden. Als eine Art Wunschkonzert mit Kino zum leichten Eingewöhnen mit Tiefgang für gerade einmal 500 Zuschauer von 2.100 möglichen. Man ist schon froh, dass es überhaupt wieder Opernmusik live gibt in Söderland, nicht bloß in Salzburg, wo das Festspielkonzept mit der immerhin halben Zuschauerzahl und richtigen Opern prächtig funktioniert hat (der Freitag 34/2020). Bloß will in Deutschland niemand die vermeintlich leichtsinnigen Österreicher als Modell akzeptieren. Der Münchner Intendant, der Österreicher Nikolaus Bachler, schimpft über die hierzulande starren Vorschriften, „wo nur noch Anordnungen und Verbote gelten und die Eigenverantwortung schwindet“.Der Abramović-Abend sollte schon im April herauskommen. Im normalen Opernbetrieb hätte er wohl weniger Beifall gefunden. In der „neuen Normalität“ geht er dem Publikum zu Herzen. Sie erleben, dass die Kunst der Maria wie der Marina stärker ist als die Angst vor dem Tod.Placeholder infobox-1