Links: Louis Armstrong blickt durch den Vorhang im Berliner Friedrichstadt-Palast bei seinem Konzert am 20.03.1965; rechts: Collage von Romare Bearden 1975 zeigt Duke Ellington und Louis Armstrong
Fotos: Helmut Raddatz/DDR Fotoerbe (links), Steven Bates/Romare Bearden Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Louis Armstrong möchte nicht streiten. Als ein Journalist – 1965 in Berlin, Hauptstadt der DDR, bei einer Pressekonferenz – fragt, ob er in Südafrika auftreten würde, erklärt er, überall gerne spielen zu wollen, vor allem in Afrika. Und legt dann nach, neulich in Ghana sei ihm eine Frau begegnet, die habe genauso ausgesehen wie seine Mutter. Er habe sie küssen müssen. Als der Fragende insistiert, dass in Apartheid-Südafrika zu spielen ja bedeuten würde, vor einem ausschließlich weißen Publikum zu spielen, erklärt er, dass er von den Zuständen in Südafrika nur aus der Presse weiß, er müsse sich selbst ein Bild machen. Im Süden (der USA) hätten sie aber gerade überall vor einem nicht se
segregierten Publikum gespielt. Es ist ein seltsames Rumeiern, Armstrong raucht hektisch und stößt beinahe ein Glas um. Ein schludriger Übersetzer unterschlägt stets die Hälfte seiner Worte, und der Moderator der Pressekonferenz macht die seltsame Bemerkung, er stelle fest, dass die einzige politische Frage nicht von den eigenen Leuten, sondern von einem Reporter aus dem Westen gekommen sei. Das mache ihn froh. Hä?1965 spielte Louis Armstrong in mehreren Städten der DDR, darunter Berlin. Das Konzert wurde mitgeschnitten, war später als Album erhältlich. Es gibt neben der kurzen Filmdokumentation von der Pressekonferenz auch Ausschnitte aus dem Konzert. In der von dem Musiker und Künstler Jason Moran und der Kuratorin Paola Malavassi zusammengestellten Ausstellung im Minsk, Potsdam, werden die beiden Filme (als Arbeit von Moran) mit offenem Ton auf nebeneinanderhängenden Bildschirmen so gezeigt, dass sie einander in die Quere kommen, als Allegorie auf das Knirschen der Situation: Ein afroamerikanischer Musiker, zu Zeiten noch nicht abgeschaffter Segregation oft von seiner Regierung als Goodwill-Botschafter eingesetzt, kommt in ein Land, das seine eigene abgeschottete, abschottende Kulturpolitik betreibt. Und er besteht darauf oder muss darauf bestehen, dass man bitte alles andere vergessen möge, wenn er spiele, und sich nur auf ihn konzentrieren. Schließlich spiele und singe er seit über 40 Jahren dafür, dass die Leute eine Freude haben.Allerdings hatte sich Armstrong nicht immer so fügsam mit der Rolle des Botschafters abgefunden: Eine Tour in die Sowjetunion sagte er 1957 ab, weil er die Rolle der US-Regierung bei der Niederschlagung der Bürgerrechtsbewegung unerträglich fand. Eisenhower sei „two-faced“. Damit sind wir hier mitten in einem dritten Leben von Armstrong, mit Weltruhm und einem Botschafter-Status (je nachdem: des Jazz, der USA, der afroamerikanischen Kultur, des Westens), der erst in der Nachkriegszeit in den Mittelpunkt seiner Aktivitäten rückte. Bis weit in die 1930er hinein war er ein führender, prägender Musiker der New-Orleans-Tradition, der diese erneuerte, entwickelte und musikalisch, aber auch von der Mentalität her erweiterte und voranbrachte. Dann wurde er zum Crossover-Star, der den Mainstream eroberte und bei vielen kulturindustriellen Rollen der erste Afroamerikaner war, der sie ausfüllte. Man sah ihn in Filmen und auf den Titelblättern der Illustrierten.Parallel entwickelte sich aber die afroamerikanische Kultur, sein erster Kontext, in eine andere Richtung. In den späten 1920ern, frühen 1930ern war er vorn dabei gewesen, als die Harlem Renaissance in allen kulturellen Genres neue Maßstäbe setzte, einflussreiche und brillante Autor_innen, Poet_innen, Künstler_innen und Musiker_innen wie Langston Hughes, Jean Toomer oder Bessie Smith hervorbrachte, und stand mit dieser Kulturelite in enger Verbindung. Mit Bebop und der radikaleren Nachkriegskultur konnte er nichts anfangen. Was auf Gegenseitigkeit beruhte: Das weiße Publikum möge ihn zu sehr, es gebe bei ihm eine Verbindung zur Kultur der Minstrel Shows, mit der seine radikalere Generation nichts zu tun haben wolle, so sinngemäß Miles Davis in einem Playboy-Interview mit Alex Haley im September 1962. Aber Armstrong hatte gewissermaßen einen dritten Weg gefunden: Den Widerspruch der Double Consciousness, gleichzeitig von weißer Mehrheitsgesellschaft und afroamerikanischer Community beansprucht zu werden, umging er in dieser Zeit des Kalten Kriegs, indem er seine Musik zur Trademark-Show-Version stilisierte. Ohne direkten Draht zu einem aktuellen Kontext reiste sie um die Welt und stand nun für einen Blues oder New-Orleans-Sound an sich.Louis Armstrong als SpeditionsunternehmerEs gibt zahlreiche Dokumente aus dieser Zeit im Erdgeschoss des Minsk: Armstrongs rührende Collagen und kleine Kistchen für Tapes, sein digitalisierter Reisepass, jede Menge Fotos. Ein klassischer afroamerikanischer Künstler, Romare Bearden, ist mit einer seiner sehr typischen Collagen vertreten, die sich von Armstrongs Hobby-Arbeiten gar nicht so sehr unterscheidet, aber ihn (und Duke Ellington) zum Gegenstand hat. Ein kurzer Spielfilm mit fiktiven Backstage-Szenen zu Originalbandaufnahmen aus Armstrongs Privattapes von Darol Olu Kae, in dem sich die Musiker mit einem Speditionsunternehmen vergleichen, das die Musik irgendwohin bringt, um dann wieder ab- und zum nächsten Ziel zu fahren, bringt die Kontextlosigkeit von Armstrongs Nachkriegs-Position auf den Punkt. Er ist ein Lieferant, und sein Produkt ist überall auf gleiche Weise gefragt. Es gibt keine eigenen Leute, aber auch keine explizit als Antagonisten benannte Gegenseite.Deswegen ist der sehr allgemeine Charakter des Rests der Ausstellung im ersten Stock, der überwiegend nicht mit unmittelbar auf Armstrong bezogenem Material arbeitet, gar nicht einmal unangemessen oder beliebig. Armstrong übernahm eine allgemeine Repräsentationsfunktion für alles Mögliche, wenn auch überwiegend afroamerikanisch gelesene Themen. Genauso diskutieren auch die aus verschiedenen, überwiegend etablierten Ecken der Gegenwartskunst kommenden Arbeiten hier den Blues und die Conditio der Blackness in den USA. Höhepunkte sind die konkret-poetische Schriftbild-Improvisation von Ruth Wolf-Rehfeldt über die Bürgerrechtsbewegungshymne We Shall Overcome und das von Gordon Parks inszenierte Foto, das die Schlussszene aus Ralph Ellisons Jahrhundertroman The Invisible Man illustriert. Der Protagonist dieses Romans hört in seinem mit zahllosen Glühbirnen überilluminierten Versteck Louis Armstrong – und zwar dessen Version eines von Harlem-Renaissance-Protagonisten wie Fats Waller, Harry Brooks und dem madegassischen Königinnen-Abkömmling Andy Razaf geschriebenen Klassikers: (What Did I Do to Be So) Black and Blue.Adrian Pipers Mauer hat weniger mit der Berliner Mauer zu tun, die der Ausstellung ihren Titel gab (I’ve Seen the Wall) – obwohl Armstrong nach der Erwähnung dieses Blickkontakts bei der Pressekonferenz auf das besagte Bauwerk nicht mehr zurückkommt. Piper baut mit ihrer Mauer aus Monitoren eher eine Allegorie auf Kommunikationsunmöglichkeiten, die von Kommunikationstechnologie hervorgebracht werden: schwarz-weiße Testbilder und Störungen auf Fernsehgeräten, dazwischen Farbbilder von Rosen, die im Inneren der Monitorinstallation blühen. Armstrongs Sehnsucht nach einer kontextbefreiten Schönheit fallen einem ein. Rosen mochte er auch.Neben vielen internationalen Kunstgrößen wie Rosemarie Trockel und Glenn Ligon, die über die Farbe Blau nachdenken, sind auch einige Musiker als bildende Künstler vertreten. Dabei überraschen die knarzigen rustikalen Objekte aus der Hand von Peter Brötzmann, die sich mit der Physik der Klangerzeugung beschäftigen. Auch Lorna Simpsons Installation Hypothetical? von 1992 bringt Trompetenmundstücke, ein Foto von Lippen, Atemgeräusche und einen Kommentar zum Fortbestehen des Rassismus in einer Weise zusammen, die – entsetzlicherweise – jenseits ihres ursprünglichen Kontexts funktioniert: Was sich einmal auf den Rodney-King-Skandal bezog, lässt einen jetzt an George Floyds letzte Worte denken. Offen bleibt nur, was der Willi-Sitte-Schinken sagen soll, dessen Präsenz die seltsam enge Verbindung von Angela Davis zur DDR wieder einmal nur benennt oder bezeugt, statt sie zu kommentieren oder gar aufzuarbeiten.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.