Zum Schluss friert das Bild mit Tiger (Ella Rumpf) und die Schrift „Tiger Girl“ malt den Titel nur über diese eine Person. Dabei geht es, wenn es überhaupt um etwas geht, um zwei Girls, Vanilla (Maria Dragus) und Tiger. Die schüchterne, gern gequält lächelnde Vanilla, vom Leben eher überfordert und die ultracoole, brillante, souverän schöne Tiger, die sich als urbane Zen-Kriegerin illegal, mutig und auch mal mit Gewalt durch Berlin schlägert. So was von lebenstüchtig. Der anderen ist dagegen ein Song von Großstadtgeflüster gewidmet, der sich gleich zu Beginn über Versager lustig macht, die immer brav gelernt haben, aber nicht einmal wissen „wie man Feuer macht“. Wozu auch? Gibt ja überall Feuerzeuge, würde ich sagen.
Die rudimentäre Story dieser auf seine improvisierten Dialoge und jugendfrechen Frotzeleien stolzen Berliner Toughness- und Girlpower-Feier erzählt, wie die schüchterne Vanilla selbst tough wird – und es übertreibt. Sie hat zwar die Freuden der mutig ergriffenen Macht kennengelernt, nicht aber die gerade im Straßenanarchismus so wichtige Verantwortlichkeit verstanden. „To live outside the law you must be honest“, wie der Nobelpreisträger sagt. Aber selbst diese narrative Zuspitzung, die ausschließlich als Entwicklung von Vanilla erzählt wird, ist dem Film nicht übertrieben wichtig – die reine Bewegung, die vielen kleinen akzelerierenden Schnitte, die unvorhergesehene Situation in Nacht und Straße und die Überraschungen im Kleinen, das sei sein Terrain.
Wie in der „Lindenstraße“
Das Juvenile-Delinquent-Genre war früher immer an sozialer Realität interessiert: einem Hintergrund, vor dem erzählt wurde, warum jemand von ganzem Herzen und hier auch mit hohem Körpereinsatz dagegen ist oder was anderes will. Etwas Besseres als … Das ist bei Tiger Girl so wenig von Interesse wie etwaige Vorgeschichten der Mädchen. Wie immer, wenn deutsche Produktionen Außenseiterinnen, prekäre und periphere Lebensformen zeigen, werden diese von Darstellerinnen gefüllt, denen man ansieht, dass ihre Eltern meistens nett zu ihnen waren und sich gefreut haben, wenn die Kinder einen kreativen Einfall hatten. „Wenn du Schauspielerin werden willst, legen wir dir keine Steine in den Weg.“ Das Außenseitertum kommt einmal mehr als ansehnliche Mittelschichtsperformance rüber. Immerhin macht der Film nicht den geringsten Versuch, Stadtarchitektur, Malls oder Autoritätspersonen als würdige Anlässe für etwaige Empörungen auszuflaggen. Der Baseballschläger schwingende Zug durch die Gemeinde ist reines Genre, und zwar eines der Fantasy. Das hier gezeigte Bild des frechen Mädchens ist der frühen Jacqueline aus der Lindenstraße näher als irgendeiner Girlgang da draußen.
Auch die Männer sind nicht das Problem – was bei zwei rebellierenden Freundinnen nahe gelegen hätte. Nur in der Kennenlern-Szene, in der Tiger, natürlich am Angstort U-Bahn-Station, Vanilla aus der Bedrängnis von drei sexuellen Angreifern rettet, werden sie als lästige Plage geschildert, gegen die es gut ist, sich zu bewaffnen. Andere Vertreter dieses Geschlechts haben andere Eigenschaften, sind sogar ganz originell in ihrer zeitlos berlinernden Jugendsprache.
Sie lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Stattdessen fällt eine andere Obsession auf: Uniformen. Vanilla arbeitet im Zivilberuf für einen Wachdienst und macht eine diesbezügliche Ausbildung. Zentrales Motiv bleibt das Beschaffen, Klauen und Spazierenführen von Wachdienst-, Ordner- und als Fashion-Highlight Polizei-Uniformen. Die Liebe zu diesen kleinen Rüstungen ist noch die originellste Schrulle unseres kleinen Couples, das sich ansonsten nicht mal in Sachen Gewalt und Verbrechen so wahnsinnig weit ins Verbotene hineinwagt. Als Fake-Wachmeisterinnen Mall-Besuchern kleine Besitztümer abluchsen, das ist der Heidenspaß. Das angstfreie Spiel mit der Maske der Autorität und der am Anfang von Tiger geäußerte programmatische Satz „Höflichkeit ist Gewalt gegen dich selbst“ bleiben die stärksten erkennbaren Motive in einem Film, der die Tendenz hat, in der flotten Formlosigkeit seiner Szenenfolge sich ständig selbst zu überschreiben.
Zugute halten muss man Tiger Girl, dass drei, vier Mal Szenen sich ganz anders entwickeln, als es Genre und Konvention erwarten ließen. Nach einem eher müden Anti-Kunstwitz – in einer Galerie werden mit Edelsteinen besetzte Gasmasken als Paraphrase auf Damien Hirsts Totenschädel ausgestellt – in einem sonst von Gegenwartsbezügen, Zitaten und Anspielungen freien Film kann sich die beklaute und veräppelte Galeristin plötzlich durch Karate wehren. So was passiert häufiger.
Delinquenz als rein ästhetische Disziplin – ohne erkennbaren Gegenwarts-, Politik- und (Jugend-)Kulturbezug – warum nicht? Nur bleibt Tiger Girl auch in dieser Disziplin ein bisschen fußgängerisch: Vielleicht verfilmt jemand mit Lust auf City-Girl-Violence Der Beweis von César Aira. Man könnte und müsste jedenfalls sehr viel weiter gehen können, als doch immer wieder zu informellen Villa-Kunterbunt-Schlafplätzen zurückzukehren und sich einzurichten wie in einem Baumhaus im Jugendfilm.
Vielleicht ist diese restbeständige Kinderfilmkomponente, das nicht wirklich Böse und nicht wirklich Delinquente aber auch ein charmanter Zug: ein Zug von Unabgeschlossenheit, Unvollständigkeit, ja, wenn man so will: Essayismus. Reicht dann aber nicht ganz für die Lobeshymnen und Ehrungen, die es gehagelt hat.
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Tiger Girl Jakob Lass D 2017, 90 Minuten
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