Nachruf auf Bert Papenfuß: „Für mich kam er vom Himmel und war perfekt“

Anarcho-Dichter Einige Jahre war man im Westen verzückt über diese Szene im Prenzlauer Berg, von den jungen, unangepassten Dichtern, die auch mal in Bands spielten, mit benachbarten Malern Ausstellungen machten. Bert Papenfuß war einer von ihnen
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Bert Papenfuß in seiner Kneipe Rumbalotte Continua in Berlin-Prenzlauerberg (Archivbild 2013)
Bert Papenfuß in seiner Kneipe Rumbalotte Continua in Berlin-Prenzlauerberg (Archivbild 2013)

Foto: Piero Chiussi/Imago Images

Nur 67 Jahre wurde Bert Papenfuß alt. Im Literaturbetrieb spielte er keine Rolle, er wurde in keine Akademie gewählt, seine zahlreichen Bücher kamen in den großen Feuilletons schon lange nicht mehr vor – und dennoch verlieren wir einen der eigenwilligsten Dichter, der je in deutscher Sprache schrieb. Nun ja, er schrieb kein hohes, eher ein post-barockes, rotwelschhaftes Papenfuß-Deutsch: „ich such die kreuts & die kwehr / kreutsdeutsch treff ich einen / gruess ich ihn kwehrdeutsch / auf wiedersehen faterland / ich such das meuterland“.

So steht es geschrieben in dreizehntanz, seiner 1988 erschienenen ersten größeren Buchveröffentlichung. Sie war der Auftakt einer Reihe, die Gerhard Wolf für den Aufbau-Verlag herausgeben konnte, außer der Reihe, ein genauso kurzes wie glanzvolles Unterfangen: endlich war es in der DDR möglich geworden, den ästhetisch Aufmüpfigen ein Forum zu geben in einem großen Haus. Vorher gaben sie ihre Texte und Cross-over-Arbeiten hektografiert und als Künstlerdrucke weiter, auch in den Westen. In der DDR-Opposition ist unter diesen Umständen bis ins Schriftbild hinein eine Ästhetik entstanden, die sich von der professionellen Glätte des Westens abhob, ein karger Reichtum, der aus dem Selbermachen erwachsen ist. Es gab kein Rollenmodell, in das man schlüpfen konnte, denn man war nicht vorgesehen.

Bert Papenfuß war stets dabei: Der Wilde Osten war en vogue

Vor und nach der Wende gab es einige Jahre, in denen man im Westen verzückt war über diese Szene, die im Prenzlauer Berg besonders fotogen gedieh, von den jungen, unangepassten Dichtern, die auch mal in Bands spielten, performten, mit benachbarten Malern Ausstellungen machten. Luchterhand veröffentlichte den Papenfuß-Band sogleich in Lizenzausgabe, vorher waren bereits bei Kiepenheuer & Witsch und S. Fischer Anthologien erschienen, die auch heute noch imposant sind in ihrem Anderssein. Papenfuß war stets dabei. Der Wilde Osten war en vogue.

Das änderte sich. Was in Kultursendungen oberscharf herüberkommen mag, sah in mittlerweile marktwirtschaftlichen Bilanzen anders aus. Inzwischen war im Prenzlauer Berg ein selbstbestimmtes Verlagsprojekt entstanden, für das sich diese Dichter mit Künstlern zusammengetan hatten, das Druckhaus Galrev, denn sie wollten sich nicht eingliedern in die Strukturen und Bedürfnisse des Westens. Wieder begann das Neue mit einem Buch von Bert Papenfuß. Dass zwei von ihnen, Sascha Anderson und Rainer Schedlinski, bald darauf als Stasi-Spitzel enttarnt wurden, hat den eh abflachenden Hype beendet.

Manche verstummten. Bert Papenfuß indes ging als Anarcho-Poet einen sehr bemerkenswerten Weg. Statt Berufsschriftsteller wurde er Kneipier und Szene-Größe: Torpedokäfer, Kaffee Burger, Rumbalotte – Lesereihen inklusive. Er trug damit weiter zu einer eigenen Struktur bei, die die Abhängigkeit vom Literaturbetrieb vermied, materiell wie mental. Kaum einer hat so viele Gedichtbände veröffentlicht wie er, zwei sehr schöne bei Steidl, die meisten aber in kleinen Verlagen, die nur Insider kennen. Und er hat weiterhin Zeitschriften betrieben mit Underground-Charakter, obgleich das nicht mehr in die Zeit zu passen schien. Selbst im sich verjüngenden und femininer werdenden Lyrik-Betrieb kam er nur noch am guten Rand vor, aber das schien ihn nicht zu jucken. Papenfuß war autark.

Verweigerungsmanifestationen bar jeder Konsumierbarkeit

ARK nannte er in seinen Anfängen das, was er da machte, auch mal, in Anspielung auf Walther von der Vogelweide, unmutstoene. Papenfuß ging in seinem oft zyklischen Schreiben von sich aus, von seinem Lebensgefühl, erörternd und in einer Suchbewegung: „das ist mein Leben, mit dem ich experimentiere“, sagte er in einem langen Gespräch mit seinem Weggefährten Egmont Hesse, „ich sehe mich nicht als Experimentator an der Sprache, sondern das ist mein Leben.“ So persönlich und kommunikativ sein Ausgangsinteresse auch gewesen sein mag, alle seine Verlautbarungen und Gedichte haben einen so eigenen Sound, dass sie beim anderen eher als unglatte Kunstwerke ankommen, als stachlige Sperrigkeiten voller Witz und als Verweigerungsmanifestationen bar jeder Konsumierbarkeit. Mit so einem ist kein Staat zu machen. Papenfuß hat jedes Wort mit Schmirgelpapier behandelt und oft hineingeschaut: Was steckt da drin, was schwingt da mit, wo kommt es her. Hier duftet es nie nach Poesie und subtilen Genüssen, hier stinkt es uns schon mal, hier knallt es auch mal und es darf quietschen und menscheln.

In seinen jungen Jahren sah er aus wie ein Rock-Musiker, in seinen späten wie ein gutmütiger Rocker, mal in Leder, mal im Military-Look, aber nie wie ein Intellektueller. Das Dosenbier passte besser in seine Hand als ein Sektkelch. Ernst Jandl nannte ihn früh „einen Dichter ersten Ranges“. Das war er, aber er war kein Dichterdarsteller. Ende der 80er Jahre begann mit seinem Debüt, aber auch mit dem des Rheinländers Thomas Kling und des Österreichers Peter Waterhouse eine neue Ära für das deutschsprachige Gedicht, die unter zahlreichen Modifikationen durch viele andere bis heute anhält. Gedichte sind sprachbewusster geworden, eigensinniger, näher an den zeitgenössischen Künsten. Bei keinem aber ist das Gedicht dermaßen unbürgerlich geraten wie bei ihm, und keiner hat sich so konsequent wie er einem gesellschaftlichen Aufstieg verweigert. Sein Kollege Jan Faktor verortet ihn nun wie folgt: „Für mich kam er vom Himmel und war perfekt.“

Dieter M. Gräf schreibt seit 1975 Gedichte. 2022 erschien von ihm Versetzung des Hirschs in die Dose (Moloko Print). Gräf lebt in Berlin

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