Genosse Trend

Linkspartei.PDS Das Wählerpotenzial in Ost und West ist weitaus größer als bisher angenommen

Früher wurden Programme geschrieben, diskutiert und beschlossen, alternative Szenarien entworfen, Strategiepapiere erstritten. Aber es war immer alles vergebens, es blieb bei der Dominanz des neoliberalen Zeitgeistes und seiner Standortlogik. Nun scheint plötzlich alles ganz anders. Die Linken sind Thema in Deutschland, noch nicht so sehr ihre politischen Inhalte und Konzepte, aber ihre Zusammenarbeit und ihr Personal.

Auf den ersten Blick ist vor allem Oskar Lafontaine für die Trendwende verantwortlich. Mit seinem Abschied von der SPD und seiner Bereitschaft, für die Linke zu kandidieren, hat er nicht nur Schröders Neuwahl-Kalkül durchkreuzt, sondern auch einen Zug ins Rollen gebracht, der die politischen Kräfteverhältnisse zu verändern beginnt. Die PDS mit Gregor Gysi an Bord und die WASG nahmen diese Steilvorlage auf und schnell wurde deutlich, dass eine solche Zusammenarbeit sicher nicht unproblematisch, aber prinzipiell möglich ist. Seitdem ist Showtime für die Linken in Deutschland.

Bekannte Personen allein aber bewirken wenig, wenn sie nicht von wundersamen Wandlungen der öffentlichen Meinung getragen werden. Während die PDS im ersten Halbjahr 2005 gesamtdeutsch um die fünf Prozent schwankte, im Osten zwar 20 Prozent und mehr erreichte, im Westen aber nur von reichlich einem Prozent akzeptiert wurde, reicht schon die Ankündigung einer linken Kooperation aus, ihre Positionen erheblich zu verstärken.

Seit Ende Juni wird nun von Emnid repräsentativ die Frage gestellt: "Die PDS und die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit WASG bereiten sich darauf vor, bei den bevorstehenden Bundestagswahlen gemeinsam anzutreten. Können Sie sich vorstellen, ein solches neues Linksbündnis mit Gregor Gysi und Oskar Lafontaine an der Spitze zu wählen?" Die Ergebnisse sind überraschend und wären noch vor wenigen Monaten undenkbar gewesen. Gut neun Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland können sich sicher vorstellen, dieses neue gesamtdeutsche Linksbündnis zu wählen, weitere zehn Prozent haben sich für die Antwort "eher ja" entschieden, sie halten eine solche Entscheidung also für möglich. Im Westen, wo die PDS allein bisher immer nur ein Schattendasein führte, ist für knapp sieben Prozent eine Wahlentscheidung für das neue Linksbündnis wahrscheinlich und für weitere knapp acht Prozent immerhin möglich. Im Osten liegen diese Anteile mit jeweils etwa 21 Prozent noch weitaus höher.

Angesichts dieser Stimmungen, die sich in aktuellen Umfragen in einem knapp zweistelligen Stimmenergebnis niederschlagen, fühlt man sich an die Hegelsche List der Vernunft erinnert. Das von weiten Teilen der Bevölkerung als ungerecht und erfolglos angesehene Krisenmanagement der herrschenden Eliten lässt die Linken in Deutschland Positionen gewinnen, die sie aus eigener Kraft nicht erreichen konnten. Schlecht ist die Stimmung im Lande schon lange, aber via Linkspartei kann sich die Ablehnung des rot-grünen Sozialabbaus nun artikulieren, statt als Wahlenthaltung diejenigen zu stärken, die neoliberale Konzepte noch radikaler durchsetzen wollen.

Dass es in der Bundesrepublik wesentlich mehr Menschen mit linken Orientierungen gibt, als bei Wahlen zum Ausdruck kommt, ist seit langem bekannt. Aber während früher Resignation herrschte, ist es nun zu einer Art Aufbruchsstimmung gekommen. Gleichzeitig sind mit dem Auftritt einer möglicherweise einflussreichen linken Kraft alte Bindungen an die SPD ins Wanken geraten. Zu vermuten ist auch, dass die Veränderungen im Westen verstärkend in den Osten zurückwirken und die Umfragewerte der Linkspartei in diesem Teil des Landes nochmals steigern. Natürlich wird die List der Vernunft nicht reichen, um in wichtigen Segmenten der öffentlichen Meinung eine Gegenhegemonie entstehen zu lassen. Aber wenn die Linke ihre traditionelle Untugend interner Grabenkämpfe meidet, wenn sie mit Glaubwürdigkeit und Zukunftskompetenz ihr Image profiliert, könnte vielleicht der gesellschaftliche Diskurs aus seiner grotesken Einseitigkeit befreit werden.


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