Die Rechnung ging auf. Der zur RTL-Group und damit zum Bertelsmann-Konzern gehörende Sender Vox strahlte am 31. Mai die letzten beiden Folgen der fünften Staffel der Krimi-Serie CSI aus. Diese Ausstrahlung war in den Tagen zuvor heftig beworben worden. Das hatte zwei Gründe: Zum ersten hat sich Vox mit den US-Serien in den letzten drei Jahren kräftig profiliert. Neben der längst vom Bildschirm verschwundenen Rechtsanwältin Ally McBeal waren es vor allem die in Las Vegas spielende Krimiserie CSI und ihre in Miami und New York angesiedelten Ableger, die für den wachsenden Zuschauererfolg des Senders sorgten. Zum anderen waren diese beiden Folgen von Quentin Tarantino geschrieben und inszeniert worden. Mit dem Kinoregisseur, der eine hohe Affinität zum Serienfernsehen besitzt und schon unter anderem eine Folge der Krankenhausserie Emergency Room inszeniert hatte, ließ sich vortrefflich werben.
Nun stehen bei CSI und seinen Ablegern nicht mehr der psychologisierende Kommissar oder der mit drakonischen Mittel vorgehender Fahnder im Mittelpunkt sondern ein Team von Technikern, die den jeweiligen Tatort minutiös untersuchen und mittels der Spuren, die der Täter zwangsweise hinterlassen muss, die Tat aufklären. Um diese Spuren sichtbar werden zu lassen, bedienen sich die Produzenten der CSI-Serien der digitalen Tricktechnik, mit Hilfe derer die Kameras scheinbar ins Gewebe der Körper und der Gegenstände selbst vordringen können und so kleinste Partikel sichtbar machen. Es ist die Vorstellung einer naiven, alles umfassenden Empirie, die ihre Aufklärungsarbeit beseelt. Wenn man nur geduldig genug ist und lange genug auf einen Tatort schaut, propagieren diese Serien, dann offenbaren sich die Umstände einer Tat wie von selbst.
Folglich wird hier am laufenden Band photographiert und gefilmt, werden anschließend diese und andere Bilder (beispielsweise aus dem Fernsehen und dem Internet) genauestens studiert, beispielsweise mit der Lupe und mit Hilfe von Bildbearbeitungsprogrammen, bis sie die Wahrheit preisgeben. Die technischen Bilder sind evident, jeglicher Zweifel oder Widerspruch oder gar Doppeldeutigkeit ist ihnen ausgetrieben. Deshalb fixieren sie sich denn auch auf die Körper. So kann noch der größte Bluffer und Lügner überführt werden, wenn er sich nur lang genug am Tatort aufgehalten und mit dem Opfer Berührungskontakt hatte. Im Verhör wird der Täter dann auch nicht rhetorisch in die Enge getrieben, statt dessen mit den Daten der Ermittlung und ihrer unwiderlegbaren Deutung solange konfrontiert, bis er die Tat gesteht.
Dass diese Vorstellung einer alles umfassenden Evidenz der technischen Bilder eher Wunsch denn Wirklichkeit ist, zeigten just dieser Tag zwei Videomitschnitte eines Verbrechens, die nach viereinhalb Jahren für die Öffentlichkeit freigegeben wurden. Gemeint sind die Aufzeichnungen zweier Videokameras, die am 11. September 2001 den Aufprall eines Verkehrsmaschine auf das Pentagon in Washington aufgenommen hatten. (Ihre Freigabe ist der Bürgerrechtsorganisation Judicial Watch zu verdanken, die sie auf juristischem Wege bewirkte; auf ihrer Website sind die beiden Videos von Überwachungskameras zu finden, siehe http://judicialwatch.org/flight77.shtml.)
Denn auf den beiden Videoaufnahmen ist das Verbrechen selbst kaum zu erkennen. Die beiden Kameras erfassen mit ihren Weitwinkelobjektiven zwar den Vorplatz und jenen Teil des äußersten Gebäudekomplexes, in dem das Flugzeug einschlägt, aber ihre Bandmaschine hält nur jede Sekunde ein Bild fest (und nicht wie für gewöhnlich 25 Bilder). So sieht man auf dem ersten Band auf einem Bild rechts undeutlich die Andeutung einer Flugzeugnase. Im darauffolgenden Bild ist dann schon der Feuerball zu sehen, der durch die Explosion des Aufpralls ausgelöst wurde. Ähnlich sieht es auf dem zweiten Band aus. Folglich bleiben diese Bilder deutungsoffen.
Quentin Tarantino, der sich nach nicht dementierten Internetquellen selbst als Fan von CSI bezeichnet hat, entging als bildbewusster Regisseur der Evidenzfalle. Die von ihm geschriebene Geschichte setzte nicht auf die Detektion eines geschehenen Verbrechens sondern auf die Verhinderung eines angedrohten. Einer der CSI-Kollegen wird an einem vermeintlich, aber in Wirklichkeit inszenierten Tatort entführt, in einen gläsernen Sarg gesteckt und an einer unbekannten Stelle begraben. Der Sarg ist mit Licht und einer Kamera ausgestattet, die ihre Bilder direkt für wenige Sekunden ins Internet stellt. So betrachten die Kollegen, während sie über den Aufenthaltsort ihres Kollegen rätseln, ihn auf dem Bildschirm. Der Täter hat jedoch die Sauerstoffversorgung mit der Kamera gekoppelt. Bei jedem neuen Zugriff bleibt der Ventilator, der Luft in den Sarg pumpt, stehen. Das Betrachten des verschleppten Kollegen verkürzt also dessen Leben.
Am Ende kommen die Rechercheure schließlich doch auf den Ort, an dem der Kollege lebendig vergraben wurde. Genau der Moment, der die Spannung und den Schrecken des Internet- und damit auch des Serienbildes steigerte, verriet letzten Endes, wo man nach dem gläsernen Sarg suchen musste. So wurde der Kollege im letzten Augenblick gerettet, und das Prinzip der Serie blieb intakt. Vox erzielte mit der Ausstrahlung dieser beiden Folgen die höchsten Zuschauerzahlen der Sendergeschichte. Über fünf Millionen Menschen verfolgten den Abschluss der fünften Staffel von CSI. Die Rechnung ging auf.
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