Die Kommissarin hat gekündigt

Medientagebuch Ein Hoch auf Hannelore Hoger und auf Bella Block, die an einem Wendepunkt angelangt ist

Der Krimi im deutschen Fernsehen boomt. Kein Tag, an dem nicht mindestens zwei oder drei oder noch mehr Serien zu sehen sind. Das ZDF hat sich dabei zum deutschen Krimikanal Nummer 1 entwickelt. Der Mainzer Sender produziert alles - den regional verorteten Kurz-Krimi der SOKO-Varianten, den klassischen Freitagskrimi wie Stolberg, den innovativen (und doch amerikanische Formate imitierenden) Ensemblefilm KDD - Kriminaldauerdienst oder, mit ausländischen Partnern, Serien wie Kommissarin Lund. Besonders erfolgreich ist das ZDF auf dem Feld des auf eine bestimmte Schauspielerin bezogenen Ermittlerfilms: Senta Berger als Kriminalrätin Prohacek in der Reihe Unter Verdacht, Ulrike Kriener als Kommissarin Lucas oder - jüngst gestartet - Mariele Millowitsch als Kommissarin Marie Brand.

Als Prototyp dieser Konzeption gilt Hannelore Hoger in der Rolle der Kommissarin Bella Block. Hier ging die Figur der Wahl der Schauspielerin voraus. Die Schriftstellerin Doris Gercke hat in den achtziger Jahren eine für die Bundesrepublik ungewöhnliche Ermittlerin erfunden. Bella Block ist keine strahlende Schönheit, die unberührt durch die Welt des Verbrechens stapft, sondern eine Frau mittleren Alters mit privaten und beruflichen Ecken und Kanten. Die Rolle mit Hannelore Hoger zu besetzen, die auf dem Theater in Inszenierungen bei Peter Zadek auffiel und Kinorollen bei Alexander Kluge (Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos) spielte, war eine glänzende Idee der ZDF-Redakteure. Die Schauspielerin versteht es wie nur wenige andere, mit minimalen Mitteln tiefgehende Gefühle anzudeuten. Und sie verfügt über die Gabe des leisen Witzes. Hogers Bella Block ist eine Kommissarin, die darunter leidet, dass sie Mord und Totschlag aufklären muss. Diese Melancholie einer strukturellen Vergeblichkeit umflort Bella Block bis zur Depression.

Von Anfang an hat das ZDF gute Regisseure für die einzelnen Folgen verpflichtet. Die ersten aus dem Jahr 1994 inszenierte beispielsweise Max Färberböck, der hier in der Schauspielführung souveräner wirkte als in seinen teuren Kinofilmen. Die Drehbücher selbst entfernten sich rasch von den Geschichten der Doris Gercke, was zugleich eine gewisse Emanzipation für die Fernsehfigur bedeutete. Sie unterhielt beispielsweise eine Beziehung zum Literaturwissenschaftler Simon Abendroth (Rudolf Kowalski), später wurde ihr mit Kommissar Martensen (Devid Striesow) ein adäquater beruflicher Partner zur Seite gestellt. Besonders im Zusammenspiel mit Kowalski und Striesow lebte das Spiel der Hoger sichtlich auf. Es wurde deutlich, wie sehr sie das Ensemble-Spiel liebt.

Unlängst gelangte die Krimi-Reihe um Bella Block vielleicht an ein Ende, gewiss aber an einen bedeutenden Wechselpunkt. In der ersten Doppelfolge der Reihe Das Schweigen der Kommissarin, die Mitte des Monats ausgestrahlt worden war, vollzieht die Fernsehfigur Block das nach, was ihr literarisches Vorbild im ersten Roman vorgemacht hat: Sie kündigt ihren Job. Die Gründe sind vielfältig: Ein neuer Chef, der nach den Methoden neuer Personalführung den Laden aufmöbeln und das Personal an die Kandare legen will. Die Trennung vom Lebensgefährten, der lieber allein um die Welt segelt, als Bellas Depressionen auszubaden. Ein Fall, in der die Liebe gleich zweimal in Mord mündet. Und schließlich ein körperlicher Angriff, den die Kommissarin schwer verletzt übersteht.

Wie in den besten Folgen war dieser zweiteilige Fernsehfilm, für den Beate Langmaack das Buch schrieb und den Markus Imboden inszenierte, stark in seinen leisen Momenten. Die Trennungsszene zwischen Block und Abendroth war von einer bestürzenden Zärtlichkeit, die von Striesow gespielte Hilflosigkeit angesichts der Verletzung von Block wunderbar bis in die kleinste Geste, und die Abschiedszene im Kommissariat ein gelungener Beamten-Slapstick. In diesen Szenen, die ja jenseits der Kriminalgeschichte geschrieben und inszeniert werden, kommt die Ahnung eines Fernsehfilms auf, der von der komplizierten sozialen Gegenwart in Deutschland, den beruflichen und privaten Erfahrungen der Menschen, von ihren Ängsten und ihrem Eigensinn erzählt.

Dass diese Sorte von Fernsehfilm jenseits des Krimis so selten ist, und dass ein Kinoregisseur wie Christian Petzold (Jerichow) mit seiner präzisen Schilderung sozialer Verhältnisse eine Ausnahme darstellt, ist vielleicht eine Folge davon, dass hierzulande so unendlich viel in die Genreform des Fernsehkrimis gepresst wird. Es bedarf anscheinend immer noch eines Mordes, um genauer vom Leben der Menschen erzählen zu können. Und umgekehrt: Es bedarf der großen künstlerischen Leistung einer Hannelore Hoger und ihrer Mitstreiter, sich vom Krimigenre zu emanzipieren, ohne es zu verraten. Mit ihrem letzten Film, der jetzt schon zu den Höhepunkten des Fernsehjahres gezählt werden muss, schürt Bella Block die Spannung, wie es mit ihr weitergeht.

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