Es war ein Jubiläums-Wochenende. Erst feierte Wetten, dass ...? den 20. Geburtstag, am nächsten Tag Die Sendung mit der Maus den 30., schließlich am Abend dieses Tages Wer wird Millionär? die 100. Ausgabe. An den Daten erkennt selbst der Laie, dass im Fernsehen die Verhältnisse auf dem Kopf stehen. Da wird eine Kindersendung mühelos älter als das Gros der Fernsehreihen für Erwachsene. Da gilt im kommerziellen Fernsehen eine Sendung, die wie das Quiz mit Günther Jauch gerade mal anderthalb Jahre alt ist, als fast schon so ehrwürdig wie Gottschalks Show. Und da wird Wetten, dass..? zum Jahrhundertereignis hochstilisiert, weil es mittlerweile die dienstälteste Unterhaltungssendung im deutschen Fernsehen ist.
Die ZDF-Show hat all die Jahre überlebt, weil sie auf einfache Weise zwei unterschiedliche Elemente miteinander verbindet. Zum einen herrscht phasenweise bei den meist sportiven Wetten eine intensive Augenblicksspannung vor, bei denen der Zuschauer sowohl mit den Kandidaten mitfiebern als auch hämisch auf ihr Scheitern warten kann. Zum anderen entspannt die Show sich und ihre Zuschauer bei eher meditativ zu nennenden Auftritten prominenter Sänger, Schauspieler, Politiker oder Fernsehnasen. Machen wir uns nichts vor, beide Elemente sind weitgehend sinnfrei. Die Wette, dass es ein Kandidat vermag, mittels einer Kettensäge eine Anzahl von Bierflaschen zu öffnen, ist ebenso sinnlos wie ein Kurzgespräch mit einem Filmschauspieler, der nur für seinen jüngsten Film werben will und der deshalb anschließend gedankenverloren dasitzt, weil ihm nicht einfällt, was er in dieser merkwürdigen Sendung verloren hat.
Weil es auf die Mischung beider Elemente ankommt, ist der Moderator von Wetten, dass ...? bedeutsam. Er hat darauf zu achten, dass die Wetten in das normale Maß eines kleinbürgerlichen Lebens zurückgespiegelt werden. Deshalb fragt er nach den Berufen seiner Kandidaten und den Beziehungen, in denen sie stecken. Darum warnt er davor, bestimmte Wetten im heimischen Wohnzimmer zu imitieren. Deshalb zitiert er gern so häufig seine Mutter oder seine Ehefrau. Gleichzeitig hat er vor den Kameras und den Zuschauern im Saal im Minutentakt Kurzgespräche mit den Prominenten zu führen. Das ist ein Drahtseilakt. Zum einen muss er aus der Perspektive der Zuschauer die Stars als überlebensgroße Figuren präsentieren und feiern. Zum anderen hat er seinen Gästen als Gastgeber gleichberechtigt gegenüberzutreten, denn sonst nähmen sie ihn nicht ernst.
Thomas Gottschalk kann wie kein anderer auf diesem dünnen Seil tanzen. Seine Weltläufigkeit erlaubt ihm, den Stars souverän gegenüberzutreten und mit ihnen - fast von gleich zu gleich - zu plaudern. Seine Begeisterung wiederum erlaubt es ihm, vor ihnen in die Knie zu gehen und sie zu feiern; nur gelegentlich merkt man ihm an, wie viel Mühe ihn die Produktion dieser Spontaneität kostet. Schließlich gelingt es ihm dank seiner eisernen Disziplin, sich noch mit den müdesten Bemerkungen und den fadesten Wetten lächelnd einverstanden zu erklären. Seinen Frotzeleien und Witzen ist mitunter anzumerken, dass er sich auch anders verhalten könnte, wenn ihm dies seine Gastgeberpflicht nicht verböte.
Gottschalk unterscheidet sich in diesen seinen Fähigkeiten von den anderen beiden Moderatoren der Show. Frank Elstner, der die Show entwickelte, konnte sich nur wenig für die Showacts begeistern. Er war - und das zeigte er im zweiten Teil der Jubiläums-Sendung - der Sachwalter eines ordentlichen Wettverlaufes. Mehr nicht. Und Wolfgang Lippert, der Gottschalk ersetzen durfte, als es diesen nach mehr Geld zu den privaten Sendern zog, bei denen er kläglich scheiterte, missriet der Smalltalk mit den Stars zu peinlichen Nummern einer Selbstentblödung.
Nein, Gottschalk hat mit der Sendung zu sich selbst gefunden wie die Show mit ihm zum Format wurde. Das bewies - ungewollt - am Jubiläumsabend Ingolf Lück, als er für die Wochenschau (SAT 1) Gottschalk imitierte. Lück charakterisierte Gottschalk mit wenigen gestischen und mimischen Mitteln (dem in die Luft gereckten Zeigefinger und das auf Dauer arretierte Grinsen). Und er führte vor, wie klein der Sprachschatz des öffentlichen (nicht des privaten) Thomas Gottschalk ist. Er rief entweder begeistert "Reschpekt" oder duzte jovial "Mein Liaber". Indem Lück Gottschalk so spielerisch leicht zu imitieren verstand, führte er allerdings weniger seine schauspielerischen Fähigkeiten vor, als dass er somit bewies, wie sehr der Imitierte zur öffentlichen Figur geworden ist, die jeder bis in die Lachgrübchen und in die Lockenpracht hinein kennt. Gottschalk ist so leicht nachzuahmen wie Marcel Reich-Ranicki. Und so wie man diesen nicht recht begreift, wenn man nur das R rollt und anderen ins Wort fällt, erfasste Lücks Imitat den wahren Grund der Popularität des Thomas Gottschalk nicht. Gottschalk langweilt nicht.
Und das ist im deutschen Fernsehen schon eine enorme Qualität, die, nebenbei gesagt, alle drei Jubilare des Wochenendes gemeinsam haben.
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