Experiment Gottschalk

Medientagebuch Was von Deutschlands größtem Showmaster blieb: Ein Monat konsequenten Zuschauerschwunds bei Thomas Gottschalks neuem ARD-Vorabendformat wird zum Versuch erklärt

Bei lang laufenden Fernsehsendungen, die fast werktäglich ausgestrahlt werden, versagt man sich Prognosen gerne. Solche Sendungen bedürfen Ausdauer, um sich im Bewusstsein der Zuschauer festzusetzen. So war es bei der ersten deutschen Daily-Soap Gute Zeiten, schlechte Zeiten, die RTL mangels Erfolgs aus dem Programm genommen hätte, wäre der Privatsender nicht durch Verträge mit der Produktionsfirma gebunden ge­wesen. Erst nach einigen Änderungen wurde die Serie angenommen. Und RTL sendet sie noch heute – zu einer Zeit, die im deutschen Fernsehen hart umkämpft ist, weil bis 20 Uhr auch die öffentlich-rechtlichen Programme Werbung enthalten dürfen.

Die ARD hat zu dieser Sendezeit viel ausprobiert. Zuletzt startete sie eine Offensive mit wöchentlich ausgestrahlten Regionalkrimis, die sich alle durch einen komödiantischen Tonfall auszeichnen sollten. Kaum waren die Serien mit mäßigem Erfolg gestartet, sollte der nächste Einfall das Werberahmenprogramm aufhübschen. Man verpflichtete Thomas Gottschalk, von Montag bis Donnerstag zwischen 19.20 Uhr und 19.50 Uhr eine von Werbung durch­setzte Show zu veranstalten, in der die Themen des Tages auf leichte Weise abgehandelt würden. Gottschalk schien nach seinen Jahren bei Wetten, dass..? der richtige Mann zu sein, über Klatsch wie Politik, Pop wie Sport sprechen zu können.

So startete Gottschalk Live mit einigen Vorschusslorbeeren, die schneller welkten, als es der ARD lieb sein konnte. Denn die seit dem 23. Januar ausgestrahlte Sendung lahmt in vielen Dingen. Es beginnt damit, dass sich der für viel Geld verpflichtete Moderator für seine eigene Show nicht sonderlich zu interessieren scheint. In vielen Gesprächen wirkt Gottschalk unvorbereitet. Er weiß weder über seine jeweiligen Gäste Bescheid, noch über die Themen das Tages. So mag es für die Masse des Publikums angehen, dass ihm der Name Gerhard Richter nichts sagte und dessen Gemälde ihm wie Selbstgemaltes vorkommen, aber nicht, dass er den Fußballspieler Katsche Schwarzenbeck hartnäckig „Katschenbeck“ nennt oder Oliver Pocher als Rheinländer bezeichnet. Der kabarettistische Einstieg misslingt ihm regelmäßig, und sein Zeit­gefühl hat ihn verlassen. Selten hat man einen Fernsehmoderator erlebt, der äußerst nervös an der Kamera vorbei nach dem Aufnahmeleiter sucht, weil er wieder nicht weiß, ob er weiterfragen, einen Gast ansagen oder zur Werbung zurückgeben soll.

Zwei Monate Frist

Bei den Zuschauern erzielte er nur mit der Auftaktsendung einen Achtungserfolg. Danach verging das Interesse rasch. Längst sind Gottschalks Werte in absoluten Zahlen wie in Relation zu den Konkurrenzsendungen tief gesunken. Sie liegen nach einem ­Monat, und das ist die erste Pointe, ­unter denen der komischen Krimiserien, denen man in der ARD angesichts dieser Zahlen schon den Garaus machen wollte. Die Programmverantwortlichen mussten für Gottschalk, der als Inbegriff des Showmasters galt, eine Form von Artenschutz ausrufen, um ihn aus der Kritik zu nehmen. Danach erscheint, das ist die zweite Pointe, Gottschalk live als das Avantgarde-Projekt der ARD schlechthin („Experiment“) – eine Show, die für den großen Publikumsgeschmack veranstaltet wird!

Ihr wird ein Bestandsschutz zuteil, der für komplizierte Fernsehspiele und komplexe Dokumentarfilme nicht existiert. Aber vielleicht gewöhnen sich die Zuschauer noch an Gottschalk live. Zwei Monate Zeit dürften sie noch haben.

Dietrich Leder ist Professor an der Kunsthochschule für Medien Köln

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