Es muss 1994 gewesen sein, als auf dem Abonnement-Sender Premiere die ersten Folgen einer englischen Serien-Komödie liefen, die für deutsche Verhältnisse drastisch, frech und unverschämt war: Absolutely Fabulous. Im Mittelpunkt der Erzählung, die im England der Thatcher-Zeit spielte, stehen Mutter und Tochter. Doch der klassischen Generationen-Konflikt ist hier radikal umgedreht. Die Mutter Edina, groß geworden in den wilden sechziger und reich in den habgierigen achtziger Jahren, gibt sich immer noch als ein lauter, vorlauter Hippie, der über die Stränge schlägt, wild leben will und leben lässt. Die Tochter Saffron hat sich als Gegenentwurf zu einem ruhigen Wesen entwickelt, dem innere Werte wichtiger sind als ein attraktives Äußeres, die jedweden Mammon ablehnt und sich für die Natur und nicht den gesellschaftlichen Aufstieg interessiert. Ergänzt wird dieses Duo durch Edinas Freundin Patsy, eine koksende, Männer verschleißende Blondine, die sich im Alter von Mitte 40 immer noch so kleidet, als sei sie Anfang 20. Die Gruppe komplettiert Edinas Mutter, die hinter einer kleinbürgerlichen Maske durchaus ihre eigenen Interessen und Lüste pflegt.
Die Situationen des Quartetts, das von der Edina-Darstellerin Jennifer Saunders gemeinsam mit Dawn French entwickelt wurde, trieben in der ersten Staffel die ohnehin schon besonderen Charaktere ins Extrem. Die Mutter fühlt sich von der Tochter verraten, wenn diese sich mehr für die Schule als für Mode und Sex interessiert. Die Tochter verzweifelt an der Mutter, weil deren Hedonismus nur aufgesetzt und nicht gelebt wird; seit der Scheidung von ihrem zweiten Ehemann, der aus Schrecken vor Edina zur Homosexualität konvertierte, hat sie vermutlich keinen Sex mehr gehabt. Patsy (Joanna Lumley) lebt in einem permanenten Drogen- und Alkohol-Delirium, in dem sie die gesamte Welt und also auch Saffron als Feinde wahrnimmt und auf das boshafteste bekämpft. Gemeinsam mit Edina und deren zufällig erworbenen Reichtum lebt Patsy den egozentrischen Traum des Thatcherismus aus, dem jeder sozialer Gedanke so absolut fremd ist, wie ihr Streben auf absoluten Ruhm in der Mode- und Klatschpresse ausgerichtet ist. Die Großmutter (June Whitfield) und Saffron (Julia Sawalha) hingegen versuchen, eine familiäre Normalität aufrecht zu erhalten, was zu ihrem Glück permanent scheitert, da sich eben diese Normalität als kleinbürgerliche Variante jener Hölle herausstellt, in der Edina und Patsy hausen.
Der Mischung realer gesellschaftlicher und sozialer Konflikte Englands, die in der Extremform dieser Familienverhältnisse gleichsam kondensiert und konzentriert wurde, entsprach eine Mischung der kulturellen Stile und Moden von mehr als zwei Jahrzehnten. Das begann schon beim Titelsong: This Wheels on fire, den Bob Dylan 1967 für die legendären Basement Tapes einspielte, aber erst 1975 veröffentlichte und den 1969 Julie Driscoll mit der Band von Brian Auger interpretierte. Ein Song, der von der Erinnerung an die gemeinsame Zeit spricht und von der Hoffnung auf ein Wiedersehen, wenn nicht das Gedächtnis der im Song angesprochenen Person einen Streich spielt. Diesen Song hatte Julie Driscoll mit Adrian Edmondson für die Serie neu eingespielt, in einer eher herausgebrüllten New-Wave-Version der achtziger Jahre. Das ging weiter über die vielen Anspielungen auf die Modegötter der achtziger und frühen neunziger Jahre und über Gastauftritte von Schauspielern und Modells. Und das endete nicht zuletzt in den Anspielungen auf die bildende Kunst der Zeit, die sich Edina so zulegte, wie sie kartonweise Kleider orderte oder sich auch mal fünf Babys aus Rumänien liefern ließ, um möglicherweise eines zur Adoption auszuwählen.
Absolutely Fabulous wurde kurz nach der Ausstrahlung von Premiere durch Arte übernommen und in den Jahren darauf immer mal wieder mit seinen damals insgesamt drei Staffeln gezeigt. In den USA erwarb Roseanne Barre die Rechte, um die Serie neu zu verfilmen, aber keiner der großen Sender traute sich das Wagnis. Verglichen selbst mit den schrillsten US-Serien, die wie Six feet under (derzeit auf Vox) oder The Sopranos (im ZDF nach der dritten Staffel abgesetzt) alle nur auf einem Abonnement-Kanal wie HBO möglich sind, ist Absolutely Fabulous radikaler, frecher und unverschämter. Um so schöner, dass die BBC die Serie 2001 fortsetzte.
Arte zeigte nun in den vergangenen Woche die Serie weitgehend komplett, also von der ersten Staffel aus dem Jahr 1992 bis zur letzten, die 2003 von der BBC produziert wurde. Wer sich den Luxus gönnte, jeden Werktag zwischen 20.15 Uhr und 20.45 Uhr den deutsch-französischen Kulturkanal einschaltete, wurde reich belohnt. Denn die alten Folgen haben selbst im Abstand von mehr als zehn Jahren nichts an Bosheit verloren. Ja, die dreist artikulierte und exzentrisch ausgelebte Erfolgs- und Lustmaxime von Edina und Patsy wirkt in Zeiten, in denen in Deutschland die Reichen mit moralischen Maximen die Armen auffordern, den Gürtel enger zu schnallen und noch mehr zu arbeiten, wie eine geheime gesellschaftliche Wahrheit, die keiner auszusprechen wagt: Dass der Luxus der einen weitgehend auf der Armut der anderen basiert.
An der Qualität ändert auch nichts, dass die Serie in den späteren Staffeln mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hat wie die Protagonistinnen: Wie kann sie sich seriös fortentwickeln, ohne den jugendlichen Charme des Unverschämten zu verlieren? So rückt zunehmend Saffron in den Mittelpunkt der Erzählungen, die sich als Schriftstellerin versucht, als Entwicklungshelferin nach Afrika geht, zur Überraschung aller Sex hat und dann gleich schwanger wird. Edina und Patsy wiederum durchstöbern die englische (und in einer Folge die französische) Gesellschaft nach absurden Riten und Gebräuchen, die sie mit hedonistischer Lust zu zerdeppern versuchen.
Das wirkt täglich hintereinander gesehen gelegentlich bemüht und erscheint wie die Deklination möglicher komischer Situationen statt naturwüchsig entwickelt. Doch selbst in den schwächsten Folgen ist sie in ihrer Lust am Detail, in ihrem bizarren Witz, in der Spielfreude ihrer Darsteller, mit diesem Quartett starker Frauen vergleichbaren deutschen Serien unendlich überlegen. Wenn etwas den verregneten Sommer hat ertragen lassen, dann waren es die Wochen mit Absolutely Fabulous.
Absolutely Fabulous. Mo-Fr um 17.45 auf Arte
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