Mit hochgenommenem Kopf durchpflügt Rudolf Scharping den Pulk aus Journalisten, Kameramännern, Tonleuten, die dichtgedrängt den Gang zu jenem Sitzungszimmer bevölkern, in dem gleich der Verteidigungsausschuss tagt. Dank Phoenix und n-tv sind wir live dabei und deuten die karge Gestik des Ministers, der jovial betont, dass er früher als die Journalisten aufgestanden sei. Da hat sich einer was vorgenommen.
Wie wir später erfahren, hat der Verteidigungsminister sich in langen Sitzungen auf das Verhör in Sachen Nutzung der Flugbereitschaft vorbereitet. Minutiös listete er im Ausschuss die Gründe aller Flüge auf. Gleichzeitig geht er im auf die Sitzung folgenden Phoenix-Interview zum Angriff über, indem er in leicht nölendem Tonfall des Westerwälders darauf hinweist, dass sein Vorgänger, Volker Rühe von der CDU, die Flugbereitschaft in einem vergleichbaren Zeitraum häufiger als er benutzt hat.
Sachlich könnte Scharping an diesem 11. September punkten. Wäre da nicht der merkwürdige Ausdruck auf seinem Gesicht. Eine Mischung aus Beleidigtsein und Hoffart. Eine Maske, mit der er sich schützt. Gewiss. Aber sie gibt auch ein wenig davon preis, wie sich Scharping fühlt. Zum einen sieht er sich als Opfer einer Intrige, die von der Opposition gesponnen wird. Ihm, der eher als peinlich und penibel gilt, Lässigkeiten im Umgang mit öffentlichen Mitteln anzulasten, beleidigt ihn. Zum anderen sieht er die Würde seines Amtes, die er - so denkt und fühlt er - gleichsam verkörpert, attackiert. In seinen Statements, die er vor den Kameras in dem ihm eigenen Stil aus Bürokratendeutsch und Pathosformeln ablässt, betont er immer wieder, dass er ja Tag und Nacht wegen der »Befehls- und Kommandogewalt« erreichbar sein müsse. Und er bekennt nahezu, dass er nun mal seinen »Lebensmittelpunkt« (welch ein Begriff!) nach Frankfurt am Main verlegt habe.
Vier Tage zuvor hatte er in einer Pressekonferenz in Mazedonien, die ebenfalls live übertragen wurde, immer wieder betont, er sei hier, um »meine Fürsorge für die Soldaten zum Ausdruck zu bringen«. Und er sagt damit die Wahrheit: Er sorgt mit seinem Aufenthalt nicht für die Soldaten, noch sorgt er sich für sie. Er will vielmehr etwas zum Ausdruck bringen. Was er ausdrücken möchte, ist nicht irgendeine Fürsorge, sondern seine ganz persönliche. Es geht um ein Signal. Der Minister planscht nicht mehr in Mallorca mit seiner Lebensgefährtin für ein Burda-Blatt, sondern reist fürsorglich dorthin, wo er die Soldaten in dienstlichem Auftrage hingeschickt hat.
Vor über einer Woche konnte man im Magazin von Spiegel TV (RTL) sehen, wie der Kanzler seinem Verteidigungsminister während der Bundestagsdebatte einen Zettel reicht, auf dem deutlich zu lesen steht (nachdem das Filmbild eingefroren und der Bildausschnitt vergrößert wurde), ob er nicht nach Mazedonien zu den Soldaten fliegen wolle. Ein als Frage formulierter Befehl, dem Scharping dann mit seinem ersten Besuch nachkommt. Dummerweise fliegt er via Mallorca zu den Soldaten und damit reitet sich der Minister noch weiter in die Krise. Doch schlimmer als das ist eine andere Szene des Berichtes.
Sie ist bei der obligatorischen Pressekonferenz dieses ersten Besuches aufgenommen. Scharping salbadert wie auch eine Woche später über Sinn und Zweck des Bundeswehreinsatzes und plaudert nebenbei aus, über welchen Grenzübergang die deutschen Truppenteile einrücken. Dem neben ihm sitzenden ranghohen Militär fährt sichtbar ein Schreck durch die Glieder. Er beugt sich vor und flüstert - deutlich vernehmbar -, dass man das doch nicht verraten wollte. Scharpings Kopf ruckt nach oben, sein Gesicht nimmt einen abwehrenden Zug ein, gleichzeitig nickt er mit dem Kopf. Er sagt so etwas wie »Dann machen Sie mal«. Und der Soldat korrigiert umständlich den Minister, indem er sagt, dass man das, was der Minister gesagt habe, nicht berichten solle. Die Berliner Opposition wird ihm daraus den Strick eines Geheimnisverrates drehen wollen, was ebenso dämlich ist wie der eitle Auftritt des Ministers, der halt nur unterstreichen wollte, dass er als Verteidigungsminister auch etwas von militärischen Dingen versteht.
Nach zwei Wochen Scharping-TV beweist sich erneut, dass dieser Mann mit den Massenmedien gerne gut umgehen möchte, aber das nachweislich nicht kann. Er liebt das Fernsehen, aber dieses liebt ihn nicht. So kam es zu den pathetischen Auftritten während des Krieges um das Kosovo, in denen er lutheranisch bekannte, er könne angesichts der Gräuelbilder nicht anders, als die Bundeswehr sich an den Bombardements der NATO-Partner beteiligen zu lassen. So drängt es ihn in die Talkshows, in denen er stets ungelenk und starr wirkt. So will er das Glück seiner neuen Beziehung allen mitteilen, wozu er sich im Frühjahr zu Alfred Biolek begab und nun mit den Badefotos in die Bunte. Er radelt gerne und ist ein Fan der Tour de France, was er dadurch demonstriert, in dem er verschwitzte Radsportler vor laufender Fernsehkamera an seine Brust drückt. Er versucht permanent gegen sein Bild als fleißiger Provinzpolitiker, den die Verhältnisse in die Bundespolitik verschlagen haben, anzukämpfen, das eben nichts von einem Popstar oder nur einem attraktiven Kameraobjekt an sich hat. Mit jeder Aktion, mit der er dieses Bild zu zerdeppern sucht, stabilisiert er es.
Rudolf Scharping ist nicht das Opfer einer Boulevardisierung der Politik oder von etwas, was neudeutsch »Politainment« genannt wird. Er ist das Opfer einer permanenten Selbstüberschätzung. Einer, der mehr sein will, als er ist. Und der deshalb scheitern wird. Demnächst in diesem Fernsehtheater.
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