Als in diesen Tagen die Fernsehdirektoren und Intendanten der ARD über das Erste Programm sprachen, dominierten die großen, schwergewichtigen Fragen. Darf Günther Jauch, wenn er denn zur ARD wechselt und die Nachfolge von Sabine Christiansen antritt, weiterhin werben und wenn ja, für wen? Soll Harald Schmidt statt zweimal die Woche eine halbe Stunde nun einmal am Mittwoch eine Stunde lang auf den Bildschirm? Will man den Montag zum "Info-Tag" deklarieren, indem man auf eine Tiersendung eine Dokumentation ausstrahlt, in der es entweder um prominente Kriminalfälle, Schlachten oder Industrielle, Sportler und Politiker geht, und das Ganze mit einem der sechs politischen Magazine krönt, die sich die ARD nicht aus Gründen der Logik sondern nur wegen der politisch motivierten Eitelkeiten ihrer Landesrundfunkanstalten leistet?
In der Tat weltbewegende Fragen, die so wunderschön über die wirklichen Probleme des Ersten Programms hinweglügen. Die bestehen beispielsweise darin, dass man im riesigen Senderverbund anscheinend keine kompetente Journalistin oder Journalisten auftreiben konnte, der wöchentlich politische Themen sinnvoller als Sabine Christiansen angeht, die derzeit wohl den allerletzten Rest an politischen Verstand in der Maske abgegeben haben muss, wenn sie am 26. November das Thema der Jugendgewalt mit den Fachleuten Susanne "Moppel-Ich" Fröhlich und Ralf "Schauspieler" Möller diskutieren lässt. Es musste für die ARD Günther Jauch sein, der in seiner wöchentlichen RTL-Sendung Stern TV stets den gesunden Menschenverstand spazieren führt, wenn er mit Unfall- und Verbrechensopfern spricht oder die Probleme des Alltags durchdekliniert. Indem die ARD Jauch ihre einzige politische Gesprächssendung anvertraut, die sie wöchentlich ausstrahlt, signalisiert sie den Zuschauern, dass ihr Marketingeffekte wichtiger sind als politische Gehalte. Jauch soll nicht diskutieren, sondern Zuschauer anziehen und binden.
So wie im nächsten Jahr Günther Jauch zur ARD zurückkehren soll, kehrte vor zwei Jahren Harald Schmidt zur ARD zurück. Sonderlich erfolgreich ist seine nach ihm benannte Sendung am Mittwoch und am Donnerstag nach den Tagesthemen nicht. Der Scheibenwischer zieht beispielsweise wesentlich mehr Zuschauer an, wenn er einmal im Monat statt Schmidt am Donnerstag ausgestrahlt wird. Doch hier schaut der Programmdirektor Günter Struve nicht so streng auf die Einschaltquote wie bei allen anderen Sendungen. Denn auch Harald Schmidt ist weniger wegen seiner satirischen Bemerkungen und Einfälle, die ja immerhin in jeder zweiten oder dritten Sendung so pointiert ausfallen, dass sich das Zuschauen lohnt, von der ARD eingekauft worden, sondern ebenfalls als Markenartikel, mit dem man sich gut schmücken kann. Dafür muss er dann auch gelegentlich etwas wegmoderieren, was er selbst in seiner eigenen Sendung als unterirdisch bezeichnete, wenn er ehrlich wäre. So stand er am 30. November der Verleihung des Bambi vor, einer mehrstündigen Reklameveranstaltung des Burda-Verlages, die von der ARD zur besten Sendezeit ins Programm gehoben wurde.
Hätte die ARD, wie einige planten, Harald Schmidt mit einer einstündigen Sendung mittwochs programmiert, wären die Dokumentationen und die hier gelegentlich ausgestrahlten Dokumentarfilme noch weiter in die Nacht geschoben worden. Das machte aber nach der Logik der Programmverantwortlichen nichts, da man ja gleichzeitig den Montag ganz der Information widmen wollte. Dass zu diesem Zweck Tierfilme, die bereits in den 1970er-Jahren an diesem Abend nach der Tagesschau ausgestrahlt wurden, ebenso zur Information gerechnet werden wie die Quasselstunde mit Reinhold Beckmann, deutet den Obskurantismus an, der man mittlerweile in der ARD pflegt und den man nur als Selbstbetrug bezeichnen kann. Die Dokumentationen, die seit einige Zeit montags um 21.00 Uhr ausgestrahlt werden, hat man konsequent so popularisiert und damit entpolitisiert, dass sie kaum noch jemand sehen will. Früher liefen politische Reihen wie Story (WDR) oder das Rote Quadrat (HR) noch auf diesem Sendeplatz. Doch dann waren sie den Managern nicht erfolgreich genug. Sie verschwanden vom Schirm oder wurden in die Dritten Programme verbannt. Statt ihrer fabriziert man seitdem Prominenten-Plotten und bunte Historienschinken, die - wie gesagt - weniger Zuschauer anzogen und anziehen als die politischen Reihen.
Man muss in dieser Schärfe sagen: Intellektuell ist die ARD mittlerweile auf den Hund oder auf jenes Tier gekommen, das man nun montags den Zuschauern näher bringen will. Es gibt kaum ein Feld jenseits des Krimis und gelegentlich des Fernsehfilms, auf dem man sich irgendwas intellektuell oder künstlerisch wagt oder sich traut. Am grauenhaftesten sieht es auf dem Feld aus, auf dem man früher die meisten Zuschauer mobilisieren konnte: die Unterhaltung. Am 2. Dezember beispielsweise moderierte Florian Silbereisen, der wie ein Klon aus Vico Torriani (Der goldene Schuss) und Paola Felix (Verstehen Sie Spaß) wirkt, eine wiederbelebte Show von Rudi Carell aus den 1970er-Jahren: Am laufenden Band. Das war schon der Höhepunkt an Wagnis und Risikofreude. Ansonsten dominieren Volksmusiksendungen und Themenshows, die man in der ARD bei RTL entdeckt und dann freihändig kopiert hat.
Insgesamt herrscht in der ARD eine Marketing-Ideologie vor, nach der nur die Vermittlung, aber nicht das Vermittelte zählt. So vertraute man Ulrich Wickert, nach dem dieser das von ihm stets nur unzulänglich versehene Amt als Moderator der Tagesthemen abgeben hat, eine Büchersendung an. Vermutlich weil Wickert in der Nachrichtensendung bewiesen hat, dass er lesen kann und eine Lesebrille trägt. Und weil der gute Mann mit einer Sendung versorgt werden muss. Dass es ihm an literarischer Neugier wie Bildung gebricht, um halbwegs sinnvoll über Bücher zu sprechen, zählte da nicht. Nun ist die Sendung auch quotentechnisch eine Katastrophe, was bei allen anderen Kultursendungen sofort zu ihrem Ende geführt hätte. Wickert gibt man in der ARD nun ein Gnadenbrot am späten Sonntagabend. Vielleicht weil man die Abfolge aus Jauch und Wickert für einen intellektuellen Frontalangriff hält.
Die Marketing-Ideologie hat sich wie Mehltau auf das gesamte Erste Programm gelegt. Zur Legitimation der Gebührengelder wird sie aber auf Dauer nicht ausreichen. Eines Tages wird man sagen, der Niedergang des öffentlich-rechtlichen Fernsehens setzt mit seiner gnaden- und schamlosen Popularisierung ein.
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