Das Sommer hat metereologisch dann zu Ende zu sein, wenn das Fernsehen mit seiner Herbstsaison beginnt. Das meinen die Programmverantwortlichen des deutschen Fernsehens. Es kann nicht sein, dass sie teures Programm ausstrahlen lassen, und kein Schwein zuschaut. Nur, weil die Zuschauer lieber im Biergarten sitzen und ohne Waldemar Hartmann und Rudi Völler Weizenbier oder anderes trinken. Nichts stört das Fernsehen mehr als gutes Wetter zur falschen Zeit. Im Hochsommer darf die Sonne ruhig scheinen, denn dann wird im Fernsehen alles wiederholt, was sich irgendwie nur billig wiederholen lässt. Nicht, dass das groß angekündigt oder die Wiederholungssendungen gar gekennzeichnet werden. So sitzt zu dieser schönen Jahreszeit der Zuschauer, der zwar nicht dumm ist, aber sich oft übertölpeln lässt, vor dem Apparat und fragt sich staunend, ob er den Kinofilm oder die Serienfolge nicht schon einmal gesehen hat oder ob sich diese mittlerweile so ununterscheidbar angeähnelt haben, dass man neu von alt nicht mehr unterscheiden kann.
Nun naht der Herbst, auch wenn es das Wetter, zum Glück, noch nicht bemerkt hat, und statt der Wiederholungsprogramme werden neben den vielen DDR- und Castingshows (wer nennt ihre Namen und kann sie halbwegs unterscheiden?) neue US-Serien gezeigt. Über 24, diese Serie verhält sich zum Rest des Programms von RTL 2 wie die Perle vor den sprichwörtlichen Säuen, ist schon viel geschrieben worden. Dank ihres hohen Tempos, ihres starken Ensembles und der vielen raffinierten Wendungen ist sie so außerordentlich spannend und aufregend, dass man ihren ideologischen Gehalt der Familienzusammenführung fast vergisst. Empfehlenswert ist auch die neue Serie Without a trace - Spurlos verschwunden, die Pro Sieben mittwochs zeigt und in der eine Sondereinheit der Polizei in New York vermisst gemeldete Personen sucht. Außerordentlich witzig ist die Comedy Scrubs - Die Anfänger (mittwochs bei Pro Sieben), jedenfalls wenn man Ärztewitze mag; hier werden nebenbei auch alle Krankenhausserien kräftig durch den Kakao gezogen. Nicht zu vergessen: Third Watch - Einsatz am Limit läuft zwar bereits in der zweiten Staffel bei Vox, ist er aber mit seinem sozialen Realismus dem Leben näher als viele andere Serien.
Kennzeichnend für das Herbstprogramm sind diese teuer produzierten Importserien allerdings nicht. Für den Trend der Saison stehen ganz andere Formate. Gemeint sind die dokumentarisch angehauchten Billig-Krimis, die sich im Programm von SAT 1 vermehren wie Fußpilz im Schwimmbad. Sie heißen Niedrig und Kuhnt - Kommissare ermitteln, Lenssen Partner und K11 - Kommissare im Einsatz und laufen werktäglich in der Zeit zwischen 17.00 und 20.00 Uhr. Sie entstanden als Abfall- oder Spaltprodukte der Gerichtsshows, die seit zwei Jahren das Nachmittagsprogramm von SAT1 und RTL bestimmen. In diesen Gerichtsshows spielen Schauspiellaien nach vorgegebenen Drehbüchern vor professionellen Juristen Straf- und Familiengerichtsprozesse durch. Es geht immer um verschmähte Liebe, handfesten Betrug, Neid, Eifersucht und Hass. Es wird geschrieen, getobt, gelogen und vorgetäuscht. Doch am Ende bekommen die wackeren Juristen noch während des Verfahrens die Wahrheit heraus, weshalb es auch keiner zweiten Instanz bedarf, um ihre Urteile zu überprüfen.
Bei einer dieser Gerichtsshows von SAT 1 trat der Rechtsanwalt Lenssen auf, der mit seinen herrischen Gesten wie seinem nach oben gezwirbelten Schnäuzer auffiel. Diese Markenzeichen trugen ihm eine eigene Serie ein, in der er nun zwei Detektive im Auftrag von Mandanten auf die Suche nach der Wahrheit schickt. Lenssen Partner ist schauspielerisch genau so schlecht wie die erwähnten Gerichtsshows. Aber filmisch hat die Serie dazu gewonnen. Denn die beiden Detektive schleppen nach der Logik der Serie dauernd eine versteckte Kamera mit sich herum, die alle Gespräche und Begegnungen aufzeichnet. Da diese Kamera natürlich nur technisch schlechte Bilder liefern kann, verschwinden viele schauspielerische Mängel in der Unschärfe oder im Halbdunkel. Es bleiben die Dialoge, in denen permanent alles erklärt und jede Handlung angekündigt wird. Sie kann man nicht überhören, es sei denn, man verlässt das Fernsehzimmer oder schaltet um oder gar aus.
Ähnlich plump verlaufen viele Folgen von Niedrig und Kuhnt, in denen fiktive Kriminalfälle von realen Kommissaren aufgeklärt werden. Auch hier müssen die Protagonisten permanent alles ankündigen und erklären. Es ist, als erwarteten die Drehbuchautoren, Regisseure, Produzenten und Redakteure von den Zuschauern der Serie nicht mehr, dass sie zuschauen, sondern nur, dass sie zuhören. Besonders das Telefon (stationär wie mobil) leistet für diese Ästhetik eine gute Hilfe. Es spart kräftig Personal ein, denn den Anrufer sieht und hört man ja nicht, und nebenbei auch ganze Nebenschauplätze wie Pathologie, Staatsanwaltschaft, Gefängnis oder Gericht. Ideal für die Produzenten wäre demnach eine Serie, die in einer Telefonzentrale oder in einem Call-Center spielt. Was braucht man eine teure Außenwelt, wenn sie per Telefon in eine billige Studiokulisse akustisch frei Haus geliefert wird. Auch K11 spart an vielem, was gute Serien auszeichnet. Die Drehbücher sind konventionell, die Laiendarsteller wirken überfordert, was der Regie jegliche Lust an der Inszenierung austreibt und die Kamera dazu animiert, sich hinter Bäumen, Sträuchern und Regalen zu verstecken und aus dieser Perspektive eines heimlichen Zeugen zu filmen.
Diese Serien mit ihrem ästhetischen Ramsch-Konzept sind kein Zufallsprodukt. Sie entstanden in der großen Krise des privaten Fernsehens, als die Werbeeinnahmen wegbrachen und der Kirch-Konzern Pleite ging. Nun muss drastisch gespart werden. Dass dieses Sparkonzept bei allen Mängeln quotentechnisch aufgeht, hat mit dem Rohstoff zu tun, den sie verarbeiten. Es geht in allen Fällen dieser Serien wie schon bei den Gerichtsshows um kriminelle Vorgänge, wie sie in der Boulevardpresse behandelt werden. Es handelt sich um die Verfilmung jener vermischten Nachrichten, die sonst die Welt nicht spürbar erregen. Die scheinbar dokumentarische Art ihrer filmischen Darstellung fügt ihr entscheidendes hinzu. Es ist, als sei der Zuschauer (oder Zuhörer) Zeuge einer authentischen Entwicklung, an deren Ende natürlich immer die Aufklärung und zugleich eine Festnahme oder ein Urteil steht. So stellt das private Fernsehen derzeit das Recht von den Füßen auf den Kopf. In der Abfolge eines Programmtages werden nachmittags in den Gerichtsshows die Urteile gesprochen und erst anschließend im Vorabend die Täter in den Billigkrimis dingfest gemacht. Die Tat bleibt den anschließenden Nachrichten überlassen.
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