Studie belegt diskriminierende Einstellungen gegenüber Ungeimpften

Artikel in "Nature": Eine großangelegte Studie, für die 15.233 Menschen aus 21 Ländern befragt wurden, belegt, dass bei "Geimpften" gegenüber "Ungeimpften" diskriminierende Einstellungen (negative Affekte, Stereotype, Ausgrenzung) weit verbreitet sind

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Die Studie mit dem Titel "Diskriminierende Einstellungen gegenüber Ungeimpften in Zeiten einer globalen Pandemie" wurde in einer noch uneditierten Version am 8. Dezember 2022 in der angesehenen Zeitschrift "Nature" veröffentlicht:

https://www.nature.com/articles/s41586-022-05607-y

und auch https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36482134/

Ich zitiere hier die Zusammenfassung (Abstract) in deutscher Übersetzung:

Während der COVID-19-Pandemie gibt es selbst in Ländern mit hohem Impfstoffzugang beträchtliche Gruppen ungeimpfter Minderheiten. Infolgedessen wurde die Impfung zu einem kontroversen Thema für Diskussionen und sogar Proteste. Hier bewerten wir, ob Menschen diskriminierende Einstellungen in Form von negativen Affekten, Stereotypen und ausgrenzenden Einstellungen in familiären und politischen Einstellungen gruppenübergreifend zum Ausdruck bringen, die durch den COVID-19-Impfstatus definiert sind. Wir quantifizieren diskriminierende Einstellungen zwischen geimpften und ungeimpften Bürgern in 21 Ländern, die eine Vielzahl von Kulturen auf der ganzen Welt abdecken. In drei gemeinsamen experimentellen Studien (N = 15.233) zeigen wir, dass geimpfte Personen diskriminierende Einstellungen gegenüber Ungeimpften äußern, die so hoch sind wie die diskriminierenden Einstellungen, unter denen die üblichen Zielgruppen Zielgruppen wie Einwanderer und Minderheiten leiden. Im Gegensatz dazu gibt es keine Beweise dafür, dass ungeimpfte Personen diskriminierende Einstellungen gegenüber geimpften Personen zeigen, mit Ausnahme des Vorhandenseins negativer Affekte in Deutschland und den Vereinigten Staaten. Wir finden Beweise für diskriminierende Einstellungen gegenüber Ungeimpften in allen Ländern außer Ungarn und Rumänien und stellen fest, dass diskriminierende Einstellungen in Kulturen mit stärkeren kooperativen Normen stärker zum Ausdruck kommen. Frühere Forschungen zur Psychologie der Zusammenarbeit haben gezeigt, dass Individuen negativ auf vermeintliche Trittbrettfahrer reagieren, einschließlich im Bereich von Impfungen. In Übereinstimmung damit deuten die vorliegenden Ergebnisse darauf hin, dass diejenigen, die zum Gemeinwohl der Seuchenbekämpfung beitragen (d. h. die Geimpften), mit diskriminierenden Einstellungen gegenüber vermeintlichen Trittbrettfahrern (d. h. den Ungeimpften) reagieren. Eliten und die geimpfte breite Öffentlichkeit appellierten an moralische Verpflichtungen, die Aufnahme von COVID-19-Impfstoffen zu erhöhen, aber die vorliegenden Ergebnisse deuten darauf hin, dass diskriminierende Einstellungen, einschließlich der Unterstützung für die Abschaffung von Grundrechten, gleichzeitig entstanden sind.

Aus dem weiteren Text:

Um das tatsächliche Ausmaß dieser Effekte einzuschätzen, ist es hilfreich, sie mit ausschließenden Einstellungen gegenüber einer Gruppe zu vergleichen, die in vielen westlichen Ländern mit einem hohen Maß an Diskriminierung zu kämpfen hat: Einwanderer aus dem Nahen Osten. Ausgrenzende Einstellungen gegenüber Ungeimpften unter Geimpften (13 Prozentpunkte) sind zweieinhalb Mal größer als ausschließende Einstellungen gegenüber Einwanderern aus dem Nahen Osten […]. Wir schlagen nicht vor, dass die Merkmale dieser Gruppen vergleichbar sind, aber dieser Befund deutet nichtsdestotrotz darauf hin, dass das wesentliche Ausmaß der Ausschlussreaktionen, mit denen die Ungeimpften konfrontiert sind, hoch ist.

Nicht geimpfte Zielpersonen sind in 11 von 21 Ländern deutlich mehr Ausgrenzungsreaktionen ausgesetzt als Einwanderer, während Einwanderer in keinem der Länder signifikant mehr Ausgrenzungsreaktionen ausgesetzt sind. Bemerkenswerterweise sind die ausschließenden Einstellungen gegenüber Einwanderern zwischen Geimpften und Ungeimpften im Wesentlichen ähnlich und unterscheiden sich nicht signifikant von 0.

[...]

Im Durchschnitt in sind in den sechs Ländern [dabei: Deutschland] sind Ungeimpfte genauso unbeliebt wie Menschen, die mit Drogenabhängigkeit zu kämpfen haben, und deutlich mehr als Menschen, die drogenabhängig sind, Atheisten sind oder an psychischen Erkrankungen leiden.

[…]

Die Forschung zur politischen Polarisierung warnt davor, dass, falls gesellschaftspolitische Meinungsverschiedenheiten – selbst wenn sie auf legitimen Beschwerden beruhen – den Umgang der Bürger miteinander durchdringen, dies zur Verschärfung von Konflikten beitragen kann. In dieser Studie haben wir dokumentiert, dass gegen COVID-19 geimpfte Personen negative Einstellungen gegenüber ungeimpften Personen in Form von Antipathie, Stereotypen, Unterstützung für den Ausschluss aus familiären Beziehungen und Unterstützung für den Entzug politischer Rechte äußern. Insgesamt stimmen diese vier Formen diskriminierender Einstellungen mit der Beobachtung von Vorurteilen nach Standarddefinitionen der Sozialpsychologie überein.

Seien wir ehrlich: Politik und Medien haben hier als Brandbeschleuniger gewirkt, indem sie diese Effekte zielgerichtet befeuert haben.

Der österreichische Psychotherapeut Raphael Bonelli stellt die Studie in einem Film vor:

https://www.youtube.com/watch?v=_iZ9_t1ZPL4

Einleitend sagt er: "Eine große Tabubildung war eben die Diskriminierung der Ungeimpften, die mir immer sehr stark aufgefallen ist." Beim Vergleich mit der Ablehnung von Migranten sagt er: "In der Qualität und Quantität war das zu vergleichen mit den rechtsradikalen Ausländerhassern. Also noch einmal: Die Hasser der Ungeimpften waren genauso psychologisch wie die rechtsradikalen Hasser der Ausländer. [...] In der österreichischen und auch in der deutschen Politik gab es eine Dimension von Hass und Hetze gegen die Ungeimpften, da bin ich vollkommen fassungslos.

Bonelli geht am Ende auf den abschließenden Satz der Zusammenfassung ein, wonach "die diskriminierenden Haltungen sogar soweit gingen, dass man den Ungeimpften oder sozusagen der Minderheit, die man eben hasst, fundamentale Rechte wegnehmen kann. [...] Das haben schon viele gesagt, viele von denen wurden als Verschwörungstheoretiker und Schwurbler und ich weiß nicht was alles verunglimpft, so dass sie das eigentlich entweder nie mehr gesagt [haben], oder niemand hat ihnen zugehört. Und jetzt kommt raus vom allerbesten Journal der Welt, dass diese Diskriminierung sogar messbar ist und dass sie erheblich war, messbar und erheblich. Das heißt, wer heute noch sagt, die Ungeimpften sind nicht diskriminiert worden, ist unwissenschaftlich, ein Wissenschaftsleugner und ein Schwurbler. Das kann man jetzt sagen, wissenschaftlich ist das durch."

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dietrich Klose

Vielfältig interessiert am aktuellen Geschehen, zur Zeit besonders: Ukraine, Russland, Jemen, Rolle der USA, Neoliberalismus, Ausbeutung der 3. Welt

Dietrich Klose

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