Jemen–Die Welt schaut weg, ein Film von Arte

Krieg im Jemen: Die Medien beachten die Katastrophe im Jemen kaum. Da ist es ein Highlight, wenn Arte einen 50-Minuten-Film zum Thema zeigt. Leider hat er in vieler Hinsicht enttäuscht

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Die Katastrophe im Jemen wird von unseren Medien kaum beachtet. Da ist es ein Highlight, wenn ein Sender wie Arte – und das auch nicht zu nachtschlafender Zeit – einen 50-Minuten-Film zum Thema Jemenkrieg ausstrahlt: „Jemen - Die Welt schaut weg“.

Der Film kann in der Mediathek in voller Länge angesehen werden. Er wird dort mit den folgenden Worten (hier leicht verkürzt wiedergegeben) eingeführt:

Jemen versinkt in einer humanitären Katastrophe: zwischen Sunniten und Schiiten tobt Krieg, der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran erschüttert das Land. Ein idealer Nährboden für Radikalisierung und Terror. Unser Autor hat ein Land bereist, das für ausländische Journalisten kaum zugänglich ist.

Und doch weiß man fast nichts über diesen Krieg, der sich quasi hinter verschlossenen Türen abspielt. Die Konfliktparteien schotten das Land ab und verwehren der Welt den Blick auf die tatsächliche Situation. „Jemen - Die Welt schaut weg“ gibt erstmals erschreckende Einblicke in die Realität des kriegsversehrten Landes. Die Reporter fuhren von Aden im Süden des Landes bis ins nördlichere Sanaa und überquerten dabei auch die dazwischenliegende Frontlinie bei Tais. Begleitet wurden sie von Peter Maurer, dem Präsidenten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, der als einer der wenigen Menschen durch das Land gereist ist und der internationalen Gemeinschaft von der kritischen Lage berichtet hat. „Jemen - Die Welt schaut weg“ zeigt ein vom Bürgerkrieg zerstörtes Land, das den regionalen Mächten als Spielball dient und von der internationalen Gemeinschaft völlig vergessen wird.

https://www.arte.tv/de/videos/069931-000-A/jemen-die-welt-schaut-weg/

(https://www.youtube.com/watch?v=44dlLzlEiL0 und https://www.youtube.com/watch?v=2QP9N1Gy19k )

Leider hat der Film in vieler Hinsicht enttäuscht – das sei gleich vorab gesagt. Die Filmemacher haben den Präsidenten des Internationalen Roten Kreuzes Peter Maurer auf seiner Reise in den Jemen begleitet. Diese Reise fand Ende Juli 2017 statt (1): Es hat also volle acht Monate gedauert, bis der Film überhaupt ausgestrahlt wurde. Warum so lange? Offenbar genoss das Thema keine Priorität.
Es ist leider ein recht oberflächlicher Film, in dem man weit weniger über den Krieg und das menschliche Leid erfährt, als es 50 Minuten bringen könnten. Über weite Passagen ist der Film wenig mehr als ein „Road movie“, bis auf eine 5-Sek-Sequenz ausschließlich aus selbst gefilmtem (oft reichlich belanglosem) Material. Vieles wird überhaupt nicht erwähnt: Die saudische Blockade, die Beteiligung des Westens durch Waffenlieferungen an Saudi-Arabien und seine Verbündeten, durch logistische und politische Unterstützung.
Dieser Film gibt auch nicht „erstmals erschreckende Einblicke in die Realität des kriegsversehrten Landes“. Erstmals? Diese Einblicke gibt es schon längst, man muss sie halt nur zur Kenntnis nehmen.

Dass der Jemen deswegen kaum Aufmerksamkeit im Westen bekommt, weil „die Großmächte“ wenig Interesse an dem Land hätten“, ist Unsinn und lenkt von der Wahrheit ab. Es geht hier nicht um „die Großmächte“, sondern vor allem um die USA, und in deren Gefolge um die Briten. Beide haben sehr wohl erhebliches Interesse am Jemenkrieg. Dieser Krieg ist ein wesentlicher Grund für die riesigen Waffenverkäufe der Amerikaner und der Briten an Saudi & Co., worauf die amerikanische wie die britische Regierung so unglaublich (man verzeihe den Ausdruck, hier passt er) geil sind. Das konnte und kann man bei den Besuchen des saudischen Kronprinzen in London und Washington genau beobachten.

Und noch mehr: Die Amerikaner benutzen den Jemen und den Jemenkrieg gezielt, um damit eine Politik gegen den Iran zu betreiben. Die Propaganda, wonach der Iran schon fast als die treibende Kraft hinter der ganzen Jemenkatastrophe hingestellt wird, übernimmt der Westen fast 1:1 von den Saudis. Die Amerikaner toben so ihre Obsession gegen den Iran aus (zu den Hintergründen habe auch ich mich schon ein anderes Mal geäußert). Der Jemen ist nur Werkzeug, wobei der Propaganda eine ganz entscheidende Rolle zukommt: Er ist der wichtigste Nagel, den die USA in den von ihnen dem Iran zugedachten Sarg schlagen wollen. Dass der Nagel dabei kaputt geht, ist egal.

Das ist der springende Punkt: Der Jemen und seine Menschen sind dabei völlig egal. Solange man das Land weiter auf diese Weise benutzen kann, passt das alles.

Und die westlichen Medien spielen dieses Spiel ja zum großen Teil mit. Eine angemessene Berichterstattung über den Jemen würde in der Öffentlichkeit eine breite Stimmung erzeugen, die ein Ende des Jemenkrieges und damit auch ein Ende der Waffenlieferungen an die Saudis und des antiiranischen Sargnagel-Spiels fordern würde. Daran besteht aber kein Interesse.
Das ist das „Wegschauen“, das der Autor des Films hier beklagt, aber das ist doch genau die eigene Schuld der Medien, also auch der Kollegen des Filmautors, wenn der Medienmainstream sich zum Werkzeug der amerikanischen Geopolitik machen lässt. Das verbalisiert er natürlich nicht.

Und so kann es ja wohl auch kaum stimmen, dass Peter Maurer vom Roten Kreuz „einer der wenigen Menschen [sei, der], durch das Land gereist ist und der internationalen Gemeinschaft von der kritischen Lage berichtet hat“. Ist der Jemen nicht von Menschen bewohnt??? Das wäre mir neu. Jemeniten bringen über das Internet, über soziale Medien und andere Kanäle jede Menge an Berichten, Filmen und Fotos, die die katastrophale Lage im Jemen mehr als ausreichend schildern.

Man muss sie nur zur Kenntnis nehmen und das in die eigene Berichterstattung aufnehmen, wie man es ja für andere Länder auch tut. Warum man es eben unterlässt, dazu siehe oben. Zu schrecklich wäre das alles, und es sind eben genau die Verbündeten des Westens und duch seine Unterstützung der Westen selbst, die für einen Großteil der ganzen Katastrophe verantwortlich sind, und dann schaut man halt einfach weg.

Und auch die Journalisten aus dem Westen, die es in den Jemen schaffen und von dort berichten, wie die großartige Iona Craig mit ihren hervorragenden Berichten, nimmt man dann lieber gar nicht zur Kenntnis und druckt stattdessen irgendwelchen drittklassigen Propagandadreck ab oder lässt Leute ran, die vom Jemen wenig Ahnung haben – Hauptsache, das „Framing“ stimmt.
Der Jemenkrieg ein Kampf der Regionalmächte Saudi-Arabien gegen Iran, wie es gleich zu Anfang heißt. Das ist das „Framing“, in das nicht nur die saudische, sondern auch ein Großteil der saudischen und der westlichen Berichterstattung bzw. Propaganda diesen Konflikt stellen will. Tatsächlich geht die Rolle des Iran wenig über die eines (freilich den „Falschen“) zujubelnden Zuschauers hinaus. – Die Huthis sind auch keine „Schiiten“, sondern Zaiditen, und zu einer „Minderheit“ kann man die Zaiditen im Jemen auch nicht verkleinern. Und: Die Krise hat keineswegs erst 2014 angefangen, wie es einmal heißt, auch nicht etwa 2011.

Das „Huthi-Problem“ – wenn man ein solches annehmen will – begann vielmehr schon 1979, als im Kerngebiet der Zaiditen, in Dammaj in der Provinz Saada, mit Unterstützung durch viele aus Saudi Arabien kommende Milliarden Dollar ein religiöses Zentrum zur Verbreitung des Salafismus (sprich: des saudischen Wahabismus) gegründet wurde. Die Entstehung der Huthi-Bewegung war eine (zunächst friedliche) Abwehrreaktion darauf. Das Zentrum in Dhammaj war für die Saudis freilich nur ein Punkt in einer weltweiten Kampagne zur Verbreitung ihres radikalen Wahabismus – mit etwa 100 Milliarden Dollar haben sie diese Kampagne weltweit betrieben, damit die islamische Welt in kurzer Zeit radikalisiert und umgestülpt, dem Jihadismus die passende Ideologie (wenigstens das) beschert und auch uns in Europa den Salafismus.

Da lässt man im Film authentisch wirkend eine Angestellte im Krankenhaus in Sanaa sagen, die Cholera im Jemen hätte nichts mit dem Krieg zu tun. Und das bleibt so stehen. Und das, obwohl 1) viele Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser mehr haben, weil vor allem die saudischen Luftangriffe viele Wasserversorgungseinrichtungen zerstört haben, 2) viele Wasserversorgungseinrichtungen nicht mehr arbeiten können, weil der Treibstoff fehlt; er kommt wegen der weitgehenden saudischen Blockade nicht mehr in den von den Huthis kontrollierten Landesteil, und wegen der Zerstörung vieler Straßen und Brücken kann auch der vorhandene Treibstoff schlechter verteilt werden, 3) sich die Ernährungssituation vor allem wegen der saudischen Importblockade drastisch verschlechtert hat, wozu noch die Zerstörungen in der einheimischen Landwirtschaft und die Transport- und Verteilungsprobleme wie beim Treibstoffkommen, die Menschen auch dadurch gesundheitlich wesentlich geschwächt sind, 4) durch die Zerstörungen des Krieges für viele die wirtschaftliche Basis ihrer Existenz weggebrochen ist, viele seit einem Jahr kein Einkommen mehr haben und sich damit weder ausreichendes Essen noch medizinische Versorgung leisten können, 5) wegen des Krieges über 10 % der Bevölkerung ihre Wohnung verloren haben und völlig unzureichend untergebracht sind, und 6) 45 % der Gesundheitseinrichtungen durch den Krieg, auch hier vor allem durch die Luftangriffe der saudischen Koalition, zerstört sind und 7) die katastrophale Versorgungslage bei Medikamenten (sie wird im Film angesprochen, ohne die Hauptursache zu nennen) ebenfalls ursächlich mit der saudischen Blockade zusammenhängt. Hier soll es also keinen Zusammenhang geben? Nun ja, die Schuld daran fällt größtenteils auf die Saudis und ihre westlichen Verbündeten zurück…

Die Lage in Aden wird insgesamt viel zu rosig dargestellt, die zusammengebrochene Sicherheitslage und der Konflikt zwischen „Regierung“ und Separatisten kommen überhaupt nicht vor. Man gewinnt den Eindruck, die Hadi-Regierung wäre dort Herr der Lage, was überhaupt nicht zutrifft. Zwar wurde der Film schon vor 9 Monaten gedreht, als die Lage noch besser war, in den Text hätte diese Aktualisierung aber gehört.

Auch mit keinem Wort erwähnt wird die Tatsache, dass das Mandat von Präsident Hadi (und damit auch seiner ganzen Regierung) am 27. Februar 2015 ausgelaufen ist – also vier Wochen BEVOR die Saudis mit der Begründung, ihn als „legitimen“ Präsidenten wieder ins Amt zu setzen, in den Krieg eingegriffen haben. Dies festzustellen, begründet noch keine Parteinahme, es wäre nur eine Konstatierung der Fakten.

Interessant ist, dass der Film klar zeigt und das auch deutlich erwähnt wird, dass in Taiz Truppen der jemenitischen (Hadi-)Regierung im Bündnis mit Al Kaida und dem IS gegen die Huthis kämpfen (ab Min. 21:00). Das ist auch von anderer Seite vielfach belegt. Indirekt also Al Kaida und IS als Verbündete des Westens?

Fazit: Was im Jemen tatsächlich abläuft und wie katastrophal die Lage ist, kommt in diesem Film nur sehr unvollständig „‘rüber“. Oder sollte es das etwa auch gar nicht?

Anmerkung

(1) Maurer im Jemen im Juli 2017:

https://www.voanews.com/a/red-cross-chief-visits-besieged-city-on-yemen-front-lines/3956510.html

http://www.xinhuanet.com/english/2017-07/25/c_136469425.htm

https://www.swissinfo.ch/eng/cholera-epidemic_icrc-president-condemns-man-made-humanitarian-catastrophe-in-yemen/43359012

Film, Tweet von Maurer vom 25. Juli 2017, genau das sehen wir auch in dem Arte-Film: https://twitter.com/PMaurerICRC/status/889793127720112130

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dietrich Klose

Vielfältig interessiert am aktuellen Geschehen, zur Zeit besonders: Ukraine, Russland, Jemen, Rolle der USA, Neoliberalismus, Ausbeutung der 3. Welt

Dietrich Klose