Ein guter Staat, das war einmal

Was ist ein guter Staat? Der gute Staat tritt den Bürgern gegenüber möglichst wenig in Erscheinung. Er schafft den Rahmen, in dem sich der Einzelne frei entwickeln kann. Im guten Staat herrscht Gleichgewicht zwischen den Prinzipien Konservativ, Liberal und Sozial

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Ausgangspunkt dieser Überlegung sind zwei Äußerungen des Philosophen Matthias Burchardt (https://de.wikipedia.org/wiki/Matthias_Burchardt) in zwei sehr interessanten Interviews:

August 2022, Gespräch mit Jasmin Kosubek:

https://www.youtube.com/watch?v=iIUWaMrOzuU

April 2022, Gespräch mit Nina Proll:

https://www.youtube.com/watch?v=OrlO6GgGINY

Im Interview vom August definiert Burchardt einen guten Staat als einen solchen, der gegenüber seinen Bürgern möglichst selten in Erscheinung tritt und sich möglichst darauf beschränkt, einen Rahmen vorzugeben, innerhalb dessen der Einzelne sich möglichst frei entfalten kann.

Es ist evident, dass wir uns in den letzten zweieinhalb Jahren mehr als je zuvor von einem solchen guten Staat entfernt haben. Ganz gewaltig Fahrt aufgenommen hat die Entwicklung weg vom „guten Staat“ mit den immer weiter perpetuierten Corona-Maßnahmen, die mit rigiden Vorschriften und schweren Einschränkungen der Grundrechte daherkommen. Hinzu kommen immer mehr Reglementierungen und Vorschriften, die mit wechselnden Begründungen massiv einschränkend in das Leben (und in der Regel auch den Geldbeutel!) der Bürger eingreifen. Beliebteste Begründung: „Klima“, was zur Not für alles herhalten kann. Beispiele wären die andauernde Verschärfung der Regeln für Heizungen und Gebäude (Energiesparverordnung, ab 2020: Gebäudeenergiegesetz). Hinzu kommt – ermöglicht durch die Digitalisierung – eine immer rigidere Kontrolle.

Und in diesem Jahr greift der Staat durch seine selbstmörderische Energiepolitik, bei der sich ein „Wirtschaftskrieg“ ausgerechnet gegen den wichtigsten Energielieferanten mit einer verkorksten sog. „Energiewende“ paart, ständig massiv in das Leben der Bürger ein: Mit Energiemangel, einem drohenden Frier-Winter, galoppierender Inflation, besonders bei Energie und Lebensmitteln, mit drohenden Versorgungsengpässen.

Adieu, „guter Staat“.

In dem Interview vom April definiert Burchardt einen „guten Staat“ bzw. ein gesundes politisches System damit, dass in ihm das Verhältnis von Konservativ – Liberal – Sozial ausgeglichen ist. Alle drei Aspekte seien für einen guten Staat wichtig.

Ja, ich stimme Burchardt hierin vollkommen zu. In der richtigen Mischung sind alle drei Aspekte - Konservativ – Liberal – Sozial positive politische Prinzipien, die das Bewahren des Erhaltenswerten, die Freiheit des Einzelnen und gerechte Verteilung und gesamtgesellschaftliche Solidarität gewährleisten.

Übertrieben, können sich alle drei Aspekte allerdings ins Negative verkehren: Aus Konservativ wird Reaktionär: Das Festhalten an überholten freiheitsfeindlichen und unsozialen Strukturen bzw. der Versuch, solche wieder einzuführen, etwa eine Herrschaft des Adels. Aus Liberal wird „Neoliberal“: Alle menschlichen Beziehungen werden auf Marktbeziehungen reduziert, der Markt wird kaum beschränkt, so dass auf Dauer die Wohlhabenden und die Großen immer mehr begünstigt werden. Aus „Sozial“ wird Kommunismus: Der Einzelne wird im Sinn einer dem Staat übergestülpten angeblichen Gerechtigkeitsideologie immer mehr reglementiert und kontrolliert. Bislang selbstverständliche Rechte und bislang leicht verfügbare Güter werden vom Staat wie ein Gnadenakt zugeteilt.

Wie sieht es denn mit dem "Guten Staat" in der Bundesrepublik des Jahres 2022 aus? Kurz gesagt, schlecht. Von einem ausgeglichenen Verhältnis der drei wichtigen Prinzipien Konservativ – Liberal – Sozial kann längst keine Rede mehr sein, denn: Das politische System, das derzeit entsteht, ist weder Konservativ, noch Liberal, noch Sozial.

Wir sehen, dass diese Entwicklung weltweit vorangetrieben wird, keineswegs nur in Deutschland. Der Gleichschritt, der hier beobachtet werden kann, ist erschreckend. Federführend sind hier u. a. die Europäische Union, die UN mit ihren Unterorganisationen, private Stiftungen der Superreichen bzw. Oligarchen wie z. B. Bill Gates, und das Weltwirtschaftsform WEF mit einer umfassenden Agenda und weltweiter krakenhafter Einflussnahme.

Das neue System ist nicht Konservativ: Wir erleben einen gezielten Kampf von Oben gegen Traditionen aller Art, gegen die Besonderheiten einzelner Nationen, gegen die herkömmliche Familie, gegen Geschlechterverhältnisse, gegen die gewachsene Sprache u.a.m.

Nein, das System, so wie es derzeit entsteht, ist zutiefst Reaktionär: Wir erleben eine weltweite Refeudalisierung: Eine winzige „Elite“ von kaum 0,1 % der Bevölkerung wird immer reicher an Geld und Macht. Eine neue Form der Adelsherrschaft entsteht.

Das neue System ist nicht Liberal, das es auf immer gravierenderen Einschränkungen der Bürgerrechte aufbaut. Es ist Neoliberal: Ungehemmt werden immer mehr Bereiche der Daseinsfürsorge ökonomisiert, d. h. dem Profitstreben geöffnet und geraten in die Hand der Großkonzerne und damit der neuen Feudal“elite“.

Beide Entwicklungen haben sich durch die Politik der letzten zweieinhalb Jahre stark beschleunigt: Corona-Lockdowns und Energieverknappung bringen vor allem kleinere und mittlere Akteure in Bedrängnis und begünstigen die großen Konzerne. Lokaler Einzelhandel gegen Amazon, um nur ein Beispiel zu nennen. Und jetzt werden die noch verbliebenen kleinen Bäckereien dichtmachen, weil sie sich die hohen Energiekosten nicht mehr leisten können. Was bleiben wird, sind die großen Anbieter (und ihr Industriefraß; die Verbraucher haben das Nachsehen, wie so oft).

Das neue System ist auch beim besten Willen nicht Sozial, sondern so unsozial, wie es in Deutschland seit 1949 kam je zuging: Das ist die notwendige Kehrseite der Entwicklung zu Reaktionär und Neoliberal. Stattdessen kommen wir zu einer neuen Art von Kommunismus mit rigider Reglementierung, abgestufter Zuteilung von Rechten und Wirtschaftsgütern durch den Staat, und zunehmender Kontrolle.

Wenn man also gemeint haben sollte, die negativen Extremformen von Konservativ – Liberal – Sozial müssten einander ausschließen wie Wasser, Feuer und der luftleere Raum, sieht man sich nun eines Anderen belehrt. Das neue System, das unsere „Elite“ derzeit schafft, ist gleichzeitig Reaktionär – Neoliberal – Kommunistisch. Es ist nicht mehr Konservativ – Liberal – Sozial.

Gleichgewicht?

Fürwahr, ein „Gleichgewicht des Schreckens“.

Guter Staat, Adieu.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dietrich Klose

Vielfältig interessiert am aktuellen Geschehen, zur Zeit besonders: Ukraine, Russland, Jemen, Rolle der USA, Neoliberalismus, Ausbeutung der 3. Welt

Dietrich Klose

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